Herr Kirchhoff, was unterscheidet die Krise aus den Jahren 2008/2009 von der jetzigen?
Damals war es weltweit so, dass man in Folge der Finanz- und Immobilienkrise auf eine große Nebelwand zufuhr und kaum noch jemand wusste, wie er sein Unternehmen zu steuern hat. Jetzt haben wir eine ganz andere Lage. Bei den Zulieferern kommt es sehr darauf an, in welchen Märkten, mit welchen Kunden und mit welchen Produkten das Unternehmen unterwegs ist. Wenn sie als Zulieferer beispielsweise einen Schwerpunkt in China haben, dann müssen sie dort Rückgänge im zweistelligen Bereich verkraften. Aber so wie der chinesische Staat das dort nach unten gelenkt hat, werden sie die Nachfrage auch wieder nach oben lenken. Das war in der Vergangenheit auch so.
Und wie sieht das bei Ihrem Unternehmen aus?
Wir sind von den neuen Mobilitätsformen praktisch nicht betroffen. Weder in der Frage des Antriebs, noch in der Frage ob teilautonom oder autonom gefahren wird und auch nicht in der Frage der Konnektivität. Denn Komponenten und Systeme in den Bereichen Karosserie und Fahrwerk, in denen wir aktiv sind, werden eigentlich immer benötigt. Wenn Unternehmen beispielsweise Motorenteile herstellen, sieht das natürlich anders aus. Bei unseren weltweit angebotenen Entsorgungsfahrzeugen wie Müllautos und Kehrmaschinen hatten wir sogar noch nie so hohe Auftragsbestände wie heute.
Woran liegt das?
Uns fehlen für die Fahrzeuge beispielsweise Pumpen und Zylinder, weil bei unseren Lieferanten die Kapazitäten nicht erweitert werden. Den Lieferanten fehlen zum einen Fachkräfte, weil der Arbeitsmarkt leergefegt ist. In den USA herrscht praktisch Vollbeschäftigung. Zudem ist der eine oder andere Lieferant derzeit mit seinen Planungen vielleicht auch etwas vorsichtiger geworden.
Haben die Zulieferer aus der Krise 2008/2009 gelernt?
Ich behaupte, sie haben daraus gelernt. Beispielsweise ist bei vielen Unternehmen das Eigenkapital gestiegen. Insbesondere bei den Mittelständlern und den größeren Unternehmen wurde damals erkannt, dass das verbessert werden muss. Für viele Zulieferer war es eine wesentliche Erkenntnis aus der damaligen Schocksituation. Zweitens sind die Unternehmen jetzt sehr viel sensibler beim Thema Working Capital. Die Zulieferer reagieren schneller. Bis zum Sommer vergangenen Jahres haben alle geschaut, dass sie die Versorgungssicherheit mit Teilen gewährleisten können. Das heißt, die Lager wurden hochgefahren, zum Teil auch höher als das betriebswirtschaftlich sinnvoll gewesen wäre. Jetzt werden die Lager wieder abgebaut.
Wie gefährlich ist die derzeitige Krise vor allem für die mittelständisch geprägte Zulieferindustrie?
Es gibt eine Menge Meldungen, die mich beunruhigen, weil ich natürlich in die einzelnen Firmen nicht hineinschauen kann. Aber normalerweise ist insbesondere der Mittelstand in der Lage, schnell zu reagieren. In unserem Unternehmen haben wir beispielsweise nicht mit Entlassungen reagiert, sondern wir haben in den Bereichen mit weniger Beschäftigung, die Arbeitszeit auf bis zu 30 Wochenstunden reduziert. Zudem wurden bis zum letzten Sommer Überstunden aufgebaut. Jetzt leben wir von den Überstundenkonten und verringern die Zeitarbeit.
Reicht das Instrumentarium oder haben Sie Wünsche an die Politik?
Ja, wir sind mit der Politik dazu auch im Gespräch. Wir wünschen uns, dass das Instrumentarium, das uns bei der Wirtschafs- und Finanzkrise zur Verfügung gestanden hat, wieder in Kraft tritt. Also das Kurzarbeitergeld oder die Entlastung von Kostenblöcken wie den Sozialkosten. Das halte ich für die richtigen Maßnahmen.
Wie ist es um die Finanzierungsmöglichkeiten der Zulieferer bestellt?
Die Anspannung ist natürlich hoch, weil die Mittel benötigt werden, um keine Entwicklung bei den Innovationen zu verpassen. Das heißt, als Unternehmen muss man rechtzeitig damit beginnen, dafür Geld bereitzustellen. Die Banken beobachten natürlich sehr genau, was die Autoindustrie macht. Die Geldhäuser sind zurückhaltender geworden. Das lässt sich zwar nicht pauschalieren, aber das ist zumindest mein Eindruck. Seit dem Dieselskandal sind die Banken gegenüber der Autoindustrie etwas vorsichtiger geworden. Zumindest gehen da schon mal gelbe Lampen an.
In den vergangenen Monaten gab es einige Insolvenzen innerhalb der Autozulieferindustrie. Rechnen Sie mit einer stärkeren Konsolidierung innerhalb der Branche?
Vor dem Hintergrund, dass wir in den vergangenen zehn Jahren kaum Insolvenzen hatten, halte ich das derzeit noch für normal.
Welche Indikatoren haben Sie dafür?
Ein Rückgang auf dem Arbeitsmarkt ist kaum spürbar. In puncto Arbeitsmarkt läuten noch keine großen Alarmglocken. Ein zweiter Faktor ist, dass die Kurzarbeit etwas angestiegen ist. Sie bewegt sich aber längst nicht in den Höhen, wie in der letzten großen Krise. Wie sich die Situation weiterentwickelt, bleibt abzuwarten.
Was raten Sie Zulieferern in der derzeitigen Situation?
Ich hoffe, dass bei den Unternehmen der Werkzeugkasten genau so groß ist wie bei uns. Man muss natürlich auch auf Sicht fahren, und die Unternehmen müssen schauen, wie sich die Bestellungen ihrer Kunden verändern, um dann das Arbeitszeitvolumen rechtzeitig anpassen zu können. Ich denke, dass sich alle Mühe geben, so viele Mitarbeitende wie möglich an Bord zu halten. Das war auch in der letzten Krise beim Mittelstand so. In den vergangenen zehn Jahren konnte ja auch nicht konsolidiert werden.
Können Sie das erläutern?
Konsolidieren in dem Sinne, dass Dinge dort zusammengelegt werden, wo es sinnvoll ist. Damit kann auch mal eine Werks- oder Produktionsverlagerung verbunden sein. Wir betreiben in Kanada beispielsweise drei Werke, aus denen wir jetzt zwei Werke machen.
Warum?
Schon vor einigen Jahren hat sich die amerikanische Autoindustrie dazu entschieden, nicht mehr so viele Fahrzeuge in Kanada, sondern wieder mehr in den USA zu fertigen. In einer Phase, in der es nur darum geht, liefern zu können, lassen sich solche notwendigen Veränderungen, die eigentlich auch zum Werkzeugkasten eines Unternehmens gehören, nicht machen. Jetzt wo sich der Markt etwas beruhigt, haben wir die Chance dazu. Ich gehe davon aus, dass das bei den anderen Zulieferern auch so ist. Es ist nämlich die Frage, welche der Maßnahmen der Unternehmen sind eine Reaktion auf die Krise und was war überfällig und musste ohnehin gemacht werden.
Wie sieht Ihr Ausblick aus?
Es gibt viele Unbekannte. Was passiert mit US-Präsident Donald Trump und den von ihm mehrfach angekündigten Zöllen. Das hätte schon einen sehr negativen Effekt für die deutschen Unternehmen, wenn man bedenkt, wie viel wir in die USA exportieren. Das Gleiche gilt für den Brexit. Ich hoffe, dass es nicht zu einem harten Brexit kommt. Sollte das doch passieren, bekommen wir in Europa einen Riesentanz. Nicht nur in der Autoindustrie. Ich hoffe daher, dass die Welt vernünftig bleibt.
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