Zu viele Baustellen
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So schnell kann es gehen. Vor einem Jahr strahlte der Stern noch in vollem Glanz, die Gewinne sprudelten, der Daimler-Konzern und vor allem sein Chef Dieter Zetsche schienen nach einer Dekade stetigen Wachstums und immer neuer Absatzrekorde nahezu unantastbar. Jetzt aber steckt der Konzern mitten in der Krise.
Eine Gewinnwarnung jagt die nächste, erstmals seit zehn Jahren muss das Unternehmen in einem Quartal wieder Verluste in Milliardenhöhe melden. Für Ola Källenius, der im Mai die Konzernlenkung von Dieter Zetsche übernahm, hätte der Auftakt nicht schlechter laufen können.
Das Problem sind dabei nicht die einmaligen Effekte wie der weitere Rückruf von Takata-Airbags, die erneuten Rückstellungen für die Diesel-Thematik oder die schwächeren Markterwartungen. Was wirklich Sorgen bereitet, sind die hausgemachten Probleme.
In den Werken Mexiko und Tuscaloosa klappen die Anläufe der neuen Modelle von Kompaktwagen und SUV hinten und vorne nicht, auch vom Lieferwagen Sprinter könnten deutlich mehr Exemplare verkauft werden, wenn es in der Produktion nicht so knirschen würde. Derart massive Probleme in der Lieferkette waren bisher unbekannt. Auch Modell-Fehlentscheidungen wie der Einstieg in ein voll besetztes Pick-up-Segment mit der X-Klasse schienen der Vergangenheit anzugehören.
Es zeigt sich immer mehr, dass die Konzentration auf neue Mobilitätsdienste, autonomes Fahren oder die Elektromobilität einen Kraftakt darstellt, der zu Lasten des Kerngeschäfts geht. Es sind einfach zu viele Baustellen, die die Mitarbeiter gleichzeitig beackern sollen. Wer überfordert ist, der macht Fehler. Immerhin gibt es auch Lichtblicke.
Der Verzicht auf den Ausbau des Werks Kecskemet in Ungarn oder der schnelle Rückzug bei der X-Klasse zeigen, dass der Konzern die Zeichen der Zeit erkannt hat und gegensteuert. Ob dies allerdings wie bisher beabsichtigt ohne nennenswerten Stellenabbau über die Bühne geht, darf nach der jüngsten Hiobsbotschaft bezweifelt werden. Irgendwo muss das Geld herkommen. Und bisher waren es am Ende noch immer die Mitarbeiter, die Fehlentscheidungen des Managements ausbaden durften.
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