Herr De Carlo, wie verändert sich die Rolle der Entwicklungsdienstleister?
Der nächste Schritt wird in Richtung Kooperationen und Übernahme von mehr Verantwortung gehen. Hier erwarte ich, dass die Entwicklungsdienstleister in einigen Fällen auch die komplette Verantwortung für ein Projekt, inklusive Steuerung der Lieferanten übernehmen werden. Die Anzahl der Marktteilnehmer wird sich insbesondere in Deutschland verringern, wo der Markt noch extrem fragmentiert ist.
Sind die Entwicklungsdienstleister schon bereit für Kooperationen wie das Fahrzeughersteller und Zulieferer praktizieren?
Heute ist die Branche noch nicht so weit, aber das wird kommen. Vor zehn Jahren war die Art der Zusammenarbeit fest definiert und der Fahrzeughersteller hat nur mit den Lieferanten der ersten Ebene gesprochen. Der Entwicklungsdienstleister hat unterstützt. Diese feste Ordnung gibt es heute nicht mehr. Fahrzeughersteller reden miteinander, aber gleichermaßen auch mit Lieferanten der zweiten Ebene wie beispielsweise einem kleinen Softwareentwickler. Das bedeutet, dass es schon bald mehr Kooperationen geben wird, weil die Strukturen mittlerweile viel offener sind. Zudem sind die neuen Technologien kostenintensiv, so dass alle daran interessiert sind, das Risiko und die Investitionen zu reduzieren. Ich kann mir zudem vorstellen, dass ein Entwicklungsdienstleister wie die Edag eigene Anwendungen beziehungsweise Apps entwickelt, die der Endkunde dann im App-Store kaufen kann.
Die Hiobsbotschaften bei den Fahrzeugherstellern und Zulieferern mit Gewinneinbrüchen und Jobabbau reißen nicht ab. Welche Konsequenzen hat das für Ihre Branche?
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass diese Branche weiter wachsen wird. Natürlich bekommen wir zu spüren, dass die Zahlen unserer Hauptkunden in den letzten zwei oder drei Quartalen nicht auf dem gewohnten Niveau waren. Aber ich sehe die Probleme wie WLTP, China oder Brexit als kurzfristiges Phänomen. Sie sind jedoch leider fast zeitgleich aufgetreten und strahlen auf unser Geschäft, insbesondere in der ersten Hälfte des Jahres aus. Mittelfristig sehen wir den Markt aber als intakt an und er bietet weitere Potenziale für Entwicklungsdienstleister.
Sie haben 2018 Ihr Wachstumsprogramm REinvent gestartet. Welche Bilanz ziehen Sie nach einem guten halben Jahr?
Das Programm trägt erste Früchte. Wir haben die Edag Gruppe international besser positioniert und das Thema Elektrik/Elektronik weiter vorangetrieben. Besonders in den USA und China hat sich unser Geschäft sehr gut entwickelt. Unsere Kapazitäten und Kompetenzen in den Best-Cost-Countries haben wir signifikant ausgebaut.
Wo setzen Sie beim Thema Best-Cost-Countries Ihre Schwerpunkte?
Derzeit verfügen wir mit Polen, Ungarn und Tschechien über drei Standorte in Osteuropa, zudem ist die Edag auch in Malaysia und Indien präsent. Unsere ausländischen Standorte arbeiten bei größeren Projekten eng zusammen. Darin sehe ich einen Schlüssel für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens. Jeder Standort verfügt über Experten mit spezifischem Know-how. Dank der Verstärkung und Fokussierung unserer Recruiting-Kapazitäten sind wir in der Lage unsere Best-Cost-Countries überproportional auszubauen.
Profitieren Sie bei der E-Mobilität stärker von den Aktivitäten der klassischen Kunden oder mehr von neuen Start-ups aus dem Silicon Valley oder aus China?
Beides. Der Trend zur E-Mobilität ist für mich ein Point of no Return.
Sowohl die deutschen wie auch die neuen Hersteller von batterieelektrischen Fahrzeugen stellen große Ressourcen für die E-Mobilität bereit. Einige Länder sehen die E-Mobilität als Chance, sich erstmals in der Automobilindustrie zu etablieren. Ich bin mir sicher, dass wir auf diesem Gebiet noch viele Aktivitäten erleben werden.Wie schätzen Sie die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Fahrzeughersteller ein?
Hoch. Wir konnten kürzlich bei der Verleihung eines Awards für ein chinesisches E-Fahrzeug mitwirken und waren beeindruckt von der Reichweite des Fahrzeugs und dessen Fahrdynamik. Die Schere in der Qualität zu etablierten Anbietern wird zunehmend immer kleiner.
Edag entwickelt für Newcomer wie Canoo, Byton und VinFast. Fragen solche Kunden vor allem Ihre Gesamtfahrzeugkompetenz nach?
Es ist die Bandbreite und die integrale Zusammenarbeit der Segmente Elektrik/Elektronik, Fahrzeugentwicklung und Produktionslösungen, die unsere Kunden schätzen. Das bieten nur sehr wenige Wettbewerber. Auch das Thema Unabhängigkeit ist für uns ein wichtiger Vorteil. Es gibt keine Verflechtungen mit Fahrzeugherstellern. Hinzu kommt unsere internationale Aufstellung. Wir stehen für deutsches Engineering, das wir mit vielen internationalen Impulsen anreichern.
Was läuft anders als mit deutschen Kunden?
Bei der Zusammenarbeit mit deutschen Kunden ist man häufig darauf festgelegt, auch deren Prozesse zu nutzen. Auto Start-ups sind hingegen offener, unseren Produktentstehungsprozess einzusetzen und neue Wege zu gehen. Ferner sind diese insgesamt flexibler.
Gibt es bereits Ansätze, dass Kunden mit Ihnen gemeinsam in Ideen investieren, um dann davon auch gemeinsam zu profitieren?
Ja, wir sehen solche Ansätze. Wir möchten eigene Ideen einbringen und dem Kunden zeigen, dass er davon profitieren kann. Doch nicht alle Entwicklungsdienstleister werden diesen Schritt mitgehen und in den nächsten zehn Jahren überleben. Heute ist es in der EDL-Branche in der Regel noch so, dass die Intellectual Property, also das geistige Eigentum, dem Kunden gehört. Aber neue Formen der Zusammenarbeit werden in Zukunft sehr wahrscheinlich entstehen. Dadurch kann sehr viel Geschwindigkeit gewonnen werden. Die gerade veröffentlichte Kooperation mit Siemens, um industrielle Anwendungen von Additive Manufacturing weiter voranzutreiben und gleichzeitig die Engineering- und Produktionsprozesse effizienter zu gestalten, gilt als Beispiel dafür.
Können Sie das konkretisieren?
Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr war ich Gast bei der Fahrzeugpräsentation eines chinesischen Start-ups. Dort waren auch viele deutsche Ingenieure, die darauf hingewiesen haben, dass das Fahrzeug Mängel bei der Materialverarbeitung aufweise und damit unverkäuflich sei. Vielleicht ist das in Deutschland so, aber nicht unbedingt in China, sagte mir der Kunde. Da spielen Konnektivitätsservices und Individualisierungsmöglichkeiten eine viel größere Rolle. Für die internationalen Märkte gibt es keine allgemein gültigen Lösungen. Wir denken und arbeiten multikulturell gepaart mit unserem deutschen Verständnis für Machbarkeit und Qualität.
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