Herr Müller, wie gut ist die Automobilindustrie darin, Mechanik und Software miteinander zu verknüpfen?
Bisher leider nicht besonders gut. Es ist mitunter sogar problematisch, dass die großen Automobilhersteller Software und Hardware noch immer separat entwickeln. Erst sehr spät im Entwicklungsprozess werden die Disziplinen miteinander vereint. In der Vergangenheit gab es deshalb schon viele Rückrufaktionen, die auf die mangelnde Verknüpfung von Hard- und Softwareentwicklung zurückzuführen sind.
Fehlt es den Unternehmen womöglich an den richtigen Mitarbeitern?
Das würde ich so nicht sagen. Vielmehr liegt es an mangelnder Kommunikation und den unterschiedlichen Denkweisen von Mitarbeitern: Heute stehen Konstrukteuren, denen ein ausgeprägtes Qualitätsdenken und jahrelange Erfahrung in der Mechanik eigen sind, junge Softwareentwickler gegenüber. Diese sind durch die digitalen Möglichkeiten und die dadurch entstandenen Anforderungen getrieben. Der digitale Wandel führt häufig dazu, dass die Kluft zwischen den Entwicklungsteams größer wird und sich nicht ausreichend ausgetauscht wird. Hinzu kommt, dass viele Teams auch gar nicht auf die Informationen der anderen zugreifen können.
Ein zusätzliches Problem liegt in veralteten Hardwaresystemen, die noch aus Zeiten stammen, in denen Softwareentwicklung keine Rolle spielte. So haben sich in vielen Betrieben aufgrund von veralteter Hardware die Entwicklungsprozesse seit Jahrzehnten nicht geändert.
In welchen Bereichen der Verknüpfung steckt das größte Potenzial?
Die engere Verknüpfung von Mechanik, Elektrik, Elektronik und Software ermöglicht vor allem einen umfassenderen Blick auf die Gesamtentwicklung und die Abstimmung über Abteilungen hinweg. Auch kürzere Entscheidungswege werden hierdurch begünstigt. Durch sie kann wiederum die Entwicklungszeit verringert werden. Die Verzahnung von Hard- und Softwareentwicklung ermöglicht es, den Entwicklungsprozess und Änderungen am Produkt besser nachzuvollziehen. All dies führt letztlich zur Qualitätssteigerung und kürzeren Release-Zeiten.
Für zukünftige Businessmodelle ist es generell entscheidend, Prozesse und Technologien effektiv zu verknüpfen: Digital Thread ist hier das Wort der Stunde, das eine effektive und zeitgemäße Herangehensweise an die Entwicklung und Produktion beschreibt.
Was muss auf der Softwareseite getan werden, um die Entwicklungszyklen zu verkürzen?
Daten aus Autorensystemen (CAD, ERP, PDM) müssen auf einer zentralen Plattform zusammengeführt werden. Diese Daten müssen über sämtliche Phasen des Produktlebenszyklus, über alle Disziplinen, Standorte und Prozessketten hinweg gebündelt werden und jederzeit verfügbar sein.
Diese Plattform sollte zudem flexibel an die aktuellen Bedürfnisse von Unternehmen anpassbar sein: Schließlich weiß keiner genau, welche Themen in den nächsten Jahren in der Automobilentwicklung auf uns zukommen. Denken Sie nur an den Bereich der Services wie Apps, Over the Air Updates, und anderes mehr.
Wie gut funktioniert das Zusammenspiel zwischen Fahrzeugherstellern und Zulieferern?
Hier gibt es auf jeden Fall noch Optimierungsbedarf. Die Zusammenarbeit ist noch nicht genügend standardisiert. Beispielsweise sind die älteren Softwaresysteme nicht mit den neuen kompatibel. In der Praxis führt dies zu Datensilos und dazu, das lange Excel-Tabellen und andere Dokumente per E-Mail umständlich hin und her verschickt werden. Ein regelrechtes E-Mail-Ping-Pong ist die Folge.
Hinzu kommt: Das Entwicklungs-Know-how verlagert sich von den Fahrzeugherstellern hin zu den Zulieferern. Gleichzeitig müssen Automobilhersteller jedoch immer mehr Einzelteile von vielen verschiedenen Zulieferbetrieben verwalten und aufeinander abstimmen. Hierfür benötigen sie Einblicke in den Entwicklungsprozess der einzelnen Produkte. Umso wichtiger wird für Fahrzeughersteller eine zentrale Plattform, mit der sie die Entwicklungsschritte eines Einzelteiles unabhängig vom Zulieferer nachvollziehen können.
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