Wo Bugatti und Co. auf Hochglanz gebracht werden

Bernd Kußmaul steht im Foyer des kleinen Fabrikgebäudes auf dem Gelände einer ehemaligen Schnapsbrennerei in Weinstadt. Der hochgewachsene Mann mit grauem Haar und breiten Schultern zeigt auf die Ausstellungsstücke hinter ihm. Das erste ist ein Modell eines vor knapp 20 Jahren vorgestellten Motors des Audi RS 6. Knapp dahinter steht der futuristisch anmutende Klapp-E-Roller Ujet eines deutschen Start-ups. Es schwingt ein wenig Stolz mit, wenn Kußmaul über die beiden Projekte erzählt. Für ihn verkörpern sie die Bandbreite und auch die Wertschätzung, die ihm die Kunden entgegenbringen. „Dass wir diese Stücke hier zeigen dürfen, ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt er.

Die Bernd Kussmaul GmbH vor den Toren Stuttgart ist ein klassischer Hidden Champion, also ein Weltmarktführer, den kaum jemand kennt. Seit vielen Jahren hat sich das kleine Unternehmen mit rund 45 Mitarbeitern als Entwicklungspartner und Oberflächenspezialist einen Namen in der Szene der edlen Luxusfahrzeuge und Supersportwagen gemacht. Hohe Komplexität, niedrige Stückzahlen und ein schwäbischer Qualitätsanspruch haben dazu beigetragen, dass Marken wie Rolls Royce, Aston Martin, Bugatti oder McLaren zu treuen Stammkunden des Unternehmens geworden sind.

Kußmaul ist über Umwege in das Geschäft mit edlen Zierteilen gekommen. Der ausgebildete technische Betriebswirt steigt 1991 beim Mercedes-Tuner AMG ein, wo er im Vertrieb und Einkauf für den Bereich Rennsport zuständig ist. Schon damals baut er sich ein Netzwerk an Lieferanten auf, die hochspezialisiert und schnell die notwendigen Komponenten etwa für einen Rennmotor liefern können. Dieses Wissen um vorhandene Kompetenzen im Mittelstand ebnet den Weg für die spätere Karriere als selbstständiger Unternehmer.

Fünf Jahre später verlässt er AMG und versucht sein Glück als Beschaffungsspezialist für mechanische Bauteile im Maschinenbau und in der Medizintechnik. Im Jahr 1999 übernimmt Kußmaul im Auftrag der Audi-Sporttochter Quattro die Beschaffung aller neu zu konstruierenden Bauteile für den Audi RS 4. Der Einstieg in die Welt der Sport- und Luxusfahrzeuge ist geschafft. Der Kundenkreis wird langsam immer größer. Im Jahr 2005 wird das Unternehmen Serienlieferant für Teile des Supersportwagens Bugatti Veyron. Kußmaul begleitet beispielsweise aber auch die Prototypenphase für einen Frachtladesystem des neuen Airbus A 380.

Heute zählt Kußmaul eine ganze Reihe von Luxusmarken zu seinen Kunden. Für den auf 106 Exemplare limitierten Hybridsportwagen Speedtail von McLaren etwa fertigt er unter anderem das Front- und Heckemblem sowie Aluminiumzierteile. Für den kalifornischen Porsche-Veredler Singer und den neu entwickelten 911 DLS liefert er Rundinstrumente ebenso wie Tankdeckel, Lenkrad oder Schaltung. Zusammen mit Rolls Royce entwirft Kußmaul für den auf 25 Stück limitierten Phantom Tranquillity ein Zierteil am Armaturenbrett, das an ein kodiertes Teleskop erinnert, welches auch bei der britischen Skylark-Rakete verwendet wurde.

Kußmaul weiß genau, wer von seinen Lieferanten was am besten kann und bringt seine Erfahrung bei den Fahrzeugherstellern ein, bevor diese in die Entwicklung gehen. Die Rohteile lässt er dann bei diesen Unternehmen aus dem Großraum Stuttgart fertigen. Ist das Teil im Haus, beginnt die eigentliche Arbeit in der Werkstatt. Lautstärke und Geruch im Untergeschoss der Fabrik erinnern an einen Schumacher. In zehn kleinen Boxen sitzen die Mitarbeiter und gleiten mit ihren Poliergeräten immer wieder über die Oberflächen. Wo vorher auf einem Aluminiumteil noch eine grobe Struktur zu sehen war, herrscht anschließend nur Glätte und Glanz. So wird aus einem Schaltknauf für einen Bugatti ein kleines Kunstwerk. „Bis auf die Rohteilfertigung machen wir alle Schritte hier im Haus“, sagt Kußmaul.

Das fängt teilweise schon beim Design und der Wahl der Materialien an. So hat Kußmaul beispielsweise für den Bugatti Veyron das erste Zier-Druckgussteil aus Magnesium entworfen und so dazu beigetragen, das Gewicht des Supersportwagens weiter zu reduzieren. Kußmaul kümmert sich zudem um die Logistik. Für viele Teile hat er eigene Transportboxen kreiert, die nicht nur bestmöglichen Schutz bieten, sondern gleichzeitig den Verpackungsmüll reduzieren. Weil ein Schaltknauf für Bugatti schnell mit 300 bis 400 Euro zu Buche schlägt, soll Ausschuss möglichst komplett vermieden werden.

Die Qualität ist daher auch das, was die Kunden an Kußmaul schätzen. „Genaues Arbeiten, Liebe zum Detail sowie Zuverlässigkeit genießen bei uns als Manufaktur höchste Priorität. Das sind Merkmale, die uns von Mitbewerbern sicherlich auch preislich unterscheiden“, sagt er. Und so sei schon mancher Kunde, der aus Preisgründen abwanderte, nach kurzer Zeit wieder zurückgekehrt. Trotz Corona-Krise ist die Auftragslage in diesem Jahr stabil geblieben. Beim Umsatz will Kußmaul zum 25-jährigen Bestehen der Firma im nächsten Jahr die 10-Millionen-Marke knacken. Dass sich die Branche gerade mitten in der Transformation befindet und viele Hersteller bei den Kosten auf die Bremse treten, sieht er nicht als Problem. „Für in Handarbeit entstandene Zierteile wird es immer einen Markt geben“, ist er überzeugt.

Dazu dürfte auch der seit der Turn-WM in Stuttgart im vergangenen Jahr gesteigerte Bekanntheitsgrad beitragen. Denn das Unternehmen hatte den Auftrag erhalten, die Medaillen für die Sieger zu entwerfen. Kußmaul setzte auf einen Effekt, mit dem er nicht nur die Athleten begeisterte. Die Auszeichnungen in Bronze, Silber und Gold haben im Innern modernste Technik verbaut. Über einen Bewegungssensor fangen im Dunkeln sowohl Medaille als auch das Band aus wieder verwerteten Plastikflaschen in der jeweiligen Farbe an zu leuchten.

Die Medaille ist für Kußmaul nicht nur ein Marketing-Gag, sondern Zeichen der Innovationsfähigkeit seiner Mitarbeiter, die er mit einem „Spielgeld-Budget“ fördert. Damit kann jeder Angestellte neue Materialien und Techniken ausprobieren. Kußmaul sieht in den Geweben mit Leuchteffekt ein riesiges Potenzial für die Autoindustrie. Sitzpolster oder Türverkleidungen könnten so zu Leuchtflächen werden, die sich beispielsweise mit Gesten steuern lassen. Gut möglich, dass sich die Idee in zukünftigen Generationen von Luxus- oder Supersportwagen wiederfindet.

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