Herr Breidenbach, Sie haben den Bereich Software für Frontkameras kürzlich an Volkswagen verkauft. Müssen Sie diese Software nun selber zukaufen?
Im Bereich Frontkamera waren wir auf die Softwareentwicklung und das Testen von Software spezialisiert. Der Business-Case war nicht mehr so attraktiv, dass wir daran festhalten wollten. Zukäufe müssen wir in diesem Feld also nicht tätigen. Unsere anderen Aktivitäten insbesondere im Bereich Fahrerassistenz und dort vor allem die 24- und 77-Gigahertz-Radartechnologie sind von dem Verkauf übrigens in keiner Weise betroffen.
Andere Aktivitäten von Aglaia haben Sie behalten. Warum?
Das sind Bereiche, die zu unserem Kerngeschäft gehören. Beispielsweise Batteriemanagement-Systeme. In Berlin verfügen wir über eine sehr leistungsfähige Entwicklungsmannschaft, die für solche Systeme die Software schreibt. Und Batteriemanagement-Systeme spielen ebenso wie DC/DC-Wandler eine große Rolle in unserer Produktstrategie im Bereich Energiemanagement. Das Gleiche gilt auch für das Thema Lichtsteuerung. Auch dort spielt das bei Aglaia angesiedelte Team eine wichtige Rolle. Das sind Kerngeschäftsaktivitäten, die wir nicht verkaufen werden.
Sie hatten vor einem Jahr angekündigt, vielleicht noch in 2020 ein Lidarsystem serienreif entwickeln zu können. Bleibt es dabei?
Beim Thema Lidar haben sich unsere Prioritäten verändert. Wir sehen gerade, dass sich im gesamten Markt für Fahrerassistenzsysteme die Schwerpunkte verschieben. Gefragt sind eher Lösungen für Fahrerassistenzsysteme der Level 2 bis 3 und weniger im Bereich Level 4 bis 5. Diese Stufen werden aus unserer Sicht mit einer zeitlichen Verzögerung kommen. Unser Lidar zielt auf Anwendungen für diese Level ab. Daher forcieren wir momentan nicht die Industrialisierung der Lidar-Technologie.
Worauf führen Sie diese Veränderung zurück?
Ein wesentlicher Grund liegt in den enormen Aufwendungen, die für die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten erforderlich sind. Auch die Vorleistungen rund um das hochautomatisierte und vor allem autonome Fahren sind riesig. Gerade hier kommt der Lidar-Technologie eine besondere Bedeutung zu, um solche Fahrzeuge entsprechend zu unterstützen. Bei Assistenzsystemen für Level 2 oder Level 3 sind Radarsensoren sehr wichtig und auch schon etabliert. Wir stellen unsere Lidar-Aktivitäten jetzt also zurück und konzentrieren uns voll auf 24-Gigahertz sowie die neue 77-Gigahertz-Radartechnologie. Unser Fokus gilt vor allem Dingen, die wir jetzt für extrem erfolgreich halten. Bei Technologien, wo wir eher verzögerte Entwicklungen sehen – und dazu gehört Lidar –, halten wir uns lieber zurück.
Das hört sich nach einem Abschied von Lidar an?
Wir stellen das Thema erst einmal zurück, um zu schauen, wie es sich entwickelt. Das kann ein genereller Abschied werden, aber vorerst werden wir das weiterhin genau beobachten. Wir sind sehr zufrieden mit der Nachfrage nach Level 2 und Level 3-Funktionalitäten, was dem Absatz unserer 77-Gigahertz-Sensoren zugutekommt. In den letzten zwölf Monaten haben wir allein sieben neue Projekte gewonnen und dabei wird es nicht bleiben.
Gibt es in Ihrem Portfolio weitere Bereiche, die zur Disposition stehen?
Wir schauen immer, ob wir weltweit im Sinne der Marktführerschaft die Positionen eins bis drei erreichen können. Wichtig ist auch die Frage, ob wir einer der Technologieführer sein können und ob wir die finanziellen Kennzahlen, die wir uns für die einzelnen Produktfelder vornehmen, erreichen können. Bei unserem verkauften Relaisgeschäft war es beispielsweise so, dass wir im Bereich der Profitabilität nicht mehr die Möglichkeiten gesehen haben, uns weiter gut zu entwickeln. Kurzfristig sehe ich bei uns keine Notwendigkeit, dass wir eine weitere Portfoliobereinigung vornehmen.
Sie haben vor einigen Wochen die FWB Kunststofftechnik übernommen, um ihre Lieferkette abzusichern. Planen sie noch weitere Akquisitionen dieser Art?
Im Moment beschäftigen wir uns sehr intensiv mit der Stärkung unserer Lieferkette. Wir bieten unseren Lieferanten beispielsweise an, über ein Reverse Factory Program günstig an Kredite zu kommen. Wo es notwendig ist, unterstützen wir unsere Lieferanten im Sinne einer Überbrückung auch finanziell. FWB sehe ich als absoluten Ausnahmefall. Wir waren dort schon zu einem gewissen Prozentsatz Eigentümer und haben dann den Lieferanten komplett übernommen. Aber das ist eine Ausnahme und ich rechne nicht damit, dass wir das in den nächsten Monaten so noch einmal sehen werden.
Hella kann auf ein Finanzpolster von rund zwei Milliarden Euro zurückgreifen. Die Kriegskasse ist also gut gefüllt. Wollen Sie das auch für Zukäufe nutzen?
Wenn sich entsprechende Möglichkeiten ergeben, ja. Auf der einen Seite suchen wir Möglichkeiten, um unser Special-Applications-Geschäft an der ein oder anderen Stelle zu stärken. Gemeint ist damit unser Geschäft mit Licht- und Elektronikkomponenten im Non-Automotivebereich. Da suchen wir schon etwas länger nach Verstärkungen.
Und woran hat es bislang gehapert?
Natürlich muss das Unternehmen zu uns passen und auch der Business-Case sowie der Preis müssen stimmen. Aber die Preise waren in den vergangenen Jahren sehr hoch. Da sehen wir jetzt eine gewisse Normalisierung. Es gab in der Vergangenheit schon den ein oder anderen interessanten Kandidaten. Wir sind also nach wie vor auf der Suche nach Ergänzungen in unserem Elektronikportfolio insbesondere im Bereich Sensorik. Es könnte also sein, dass es mittelfristig zu solchen Transaktionen kommt.
In welcher Größenordnung könnten solche Zukäufe liegen?
Da sind wir flexibel. Das können kleinere Aktivitäten sein, aber auch Akquisitionen in dreistelliger Millionenhöhe. Das ist ein Bereich, den wir uns zutrauen. Eine milliardenschwere Übernahme wäre nicht unsere Kragenweite. Wir wollen uns nicht übernehmen. Größere Übernahmen müssen wir auch nicht tätigen, weil wir mit unserem Kerngeschäft gut aufgestellt sind. Wir haben hier genug Möglichkeiten, um weiter profitabel zu wachsen und investieren auch extrem viel.
Können Sie das konkretisieren?
Rund zehn Prozent unseres Umsatzes investieren wir in Forschung und Entwicklung. Beispielsweise in Batteriemanagement-Systeme, DC/DC-Wandler, 77-Gigahertz-Radarsensoren, Aktuatorik und Lichttechnologien. Etwa den gleichen Prozentsatz investieren wir in Assets, um weiter organisch wachsen zu können. Wir sind in den Jahren vor der Coronakrise und der Marktschwäche, die wir in der Automobil- und Zulieferindustrie seit 2018 haben, immer zwischen fünf und zehn Prozent gewachsen. Das hat für uns in Summe einen deutlichen Umsatzanstieg bedeutet. Und das wird auch weiter unsere Strategie bleiben. Deshalb reicht es uns, kleinere oder mittlere Zukäufe zu tätigen, um in den wichtigen Bereichen weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wie hat sich das zweite Quartal, das bei Hella im September begonnen hat, entwickelt?
Die Aussichten sind im Moment durchaus positiv. Im September hat sich der Umsatz gut entwickelt. Auch der Oktober zeigt eine gute Entwicklung und der Ausblick für den November sieht stabil aus. Der chinesische Markt entwickelt sich schon über einen längeren Zeitraum sehr gut. Das macht einen sehr soliden und nachhaltigen Eindruck. Im Moment gilt das auch für Europa und die USA. Wir sind dort mit den Abrufen zufrieden. Insbesondere das Premiumsegment ist sehr stark. Doch wir können nicht abschätzen, wie sich unser zweites Halbjahr – also der Zeitraum von Dezember 2020 bis Mai 2021 – entwickelt. Zudem ist es ungewiss, was mit der Corona-Pandemie noch auf uns zukommt, jetzt da die Fallzahlen exponentiell ansteigen. Im Moment lässt sich auch nur schwer abschätzen, welche Auswirkungen das kurz- und mittelfristig auf die Stabilität der Lieferketten haben wird.
Bei Hella sollen in Lippstadt in der Verwaltung und Entwicklung bis Ende 2023 rund 900 Stellen wegfallen. Hinzu kommen in den nächsten drei Jahren 300 bis 450 zusätzliche Stellen, an weiteren Standorten in Deutschland. Müssen Sie nochmal nachsteuern?
Es bleibt erst einmal bei diesen Plänen, weil unsere Auftragsbücher bisher gut gefüllt sind. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass wir mittel- und langfristig signifikant stärker wachsen werden als der Automobilmarkt. Die personelle Anpassung ist einfach der Tatsache geschuldet, dass wir in bestimmten Bereichen sehen, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit an der ein- oder anderen Stelle mittelfristig gefährdet sein könnte. Deshalb müssen wir am Standort Deutschland diesen für alle Beteiligten sehr schmerzlichen Schritt vollziehen. Außerhalb Deutschlands hat es solche Schritte bereits gegeben. Von August 2018 bis Mai 2020 sind über 5400 Stellen abgebaut worden. Also im Moment gehe ich davon aus, dass wir mit dem Thema durch sind.
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