Herr Zink, Schaeffler hat jüngst angekündigt, mit E-Motoren für Hybridmodule und -getriebe sowie rein elektrischen Achsantrieben in Serie zu gehen. Wer sind Ihre Kunden?
Den Namen möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht konkret nennen. Nur so viel: Es handelt sich um einen namhaften deutschen Fahrzeughersteller.
Schaeffler hat mit E-Motoren-Anwendungen im Schwerlastbereich ein neues Marktsegment betreten. Was ist von Ihnen in diesem Bereich noch zu erwarten?
Wir waren schon in den vergangenen 20 Jahren im Lkw-Bereich aktiv, beispielsweise mit Radlagern, Kupplungen oder Drehmomentwandlern. Wenn man die CO2- und NOx-Vorgaben sieht, die auf die Lkw-Branche zukommen, dann ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um auf dem Markt weitere innovative Produkte anzubieten. Wir haben jetzt einen ersten Auftrag für E-Motoren mit Wellenwicklungstechnologie in den USA erhalten, befinden uns aber auch mit Kunden in Europa in aussichtsreichen Gesprächen.
Wie viel hat der Bereich E-Mobilität 2020 zum Schaeffler-Umsatz beigetragen?
Wir werden die Umsatzzahlen für den Unternehmensbereich E-Mobilität Anfang März vorstellen. Auf jeden Fall lässt sich sagen, dass der Bereich deutlich wächst.
Welche mittelfristigen Umsatzziele verfolgen Sie bei der E-Mobilität?
Bei den Auftragseingängen, dort wird die Gesamtprojektlaufzeit der Komponenten und Systeme berücksichtigt, hatten wir zuletzt von Volumen zwischen 1,5 bis 2 Milliarden Euro jährlich gesprochen. Diesen Wert werden wir 2020 trotz der Corona-Pandemie übertreffen. Ab 2022 rechnen wir mit jährlichen Aufträgen in der Größenordnung von 2 bis 3 Milliarden Euro.
ZF-Chef Scheider hatte kürzlich angekündigt, keine neuen Produkte mehr entwickeln zu wollen, die rein für Verbrennungsmotoren geeignet sind. Wie sieht das bei Schaeffler aus?
Wir beobachten genau, welche Bedarfe unsere Kunden haben. Auf Dauer können wir nicht alle Antriebsarten mit der gleichen Intensität bespielen. Mit innovativen Produkten wie dem variablen Ventiltrieb oder elektrischen Nockenwellenverstellern leisten wir heute einen wesentlichen Beitrag, Verbrennungsmotoren nachhaltiger und effizienter zu machen. Ich habe den Eindruck, dass es noch eine Generation von verbrennungsmotorischen Antrieben geben wird. Diese wird von den Herstellern gerade definiert. Dabei spielen die gerade genannten Produkte, aber auch Thermomanagement, eine große Rolle. Derzeit werden die Aufträge dafür ausgeschrieben und vergeben. Noch sind auch nicht alle Getriebeformen hybridisiert. Wir transformieren uns aber ganz klar in Richtung E-Mobilität und möchten der bevorzugte Technologiepartner für unsere Kunden werden. Da sind wir auf einem sehr guten Weg.
Im Joint Venture Schaeffler Paravan Technologie arbeiten Sie an Steer-by-wire-Systemen für das autonome Fahren. Auf welche Stufen konzentrieren Sie sich?
Vorweg, wir haben im Jahr 2018 ganz bewusst Paravan als Partner für das Joint Venture ausgewählt, weil das Unternehmen über enorme Innovationskraft verfügt und schon damals mehrere tausend Fahrzeuge auf der Straße hatte, die ohne mechanische Verbindung der Lenksäule ausgekommen sind. Unser Ansatz ist, die Technik der Lenkung für jede Art des autonomen Fahrens vorzubereiten. Unabhängig davon, wie schnell autonome Fahrzeuge der Stufen 4 oder 5 auf den Straßen unterwegs sein werden: selbst bei einem voll funktionsfähigen Fahrzeug der Stufe 3 ist ein solches System schon sinnvoll. Die europäischen Fahrzeughersteller haben ihre Pläne für das vollautomatisierte Fahren zwar nach hinten verschoben, aber ein Blick in die USA, nach China oder in die Logistikbereiche mit fahrerlosen Transportfahrzeugen zeigt, dass Steer-by-wire kommen wird. Der technologische Reifegrad unseres Systems "Space Drive" ist so hoch, dass es bereits in zahlreichen Konzeptfahrzeugen verbaut und erprobt wird. Die Anzahl der bei uns bestellten Konzeptfahrzeuge ist weiterhin auf einem hohen Niveau.
Wie weit stehen Sie beim Steer-by-Wire-System vor Serienanwendungen?
Wir diskutieren mit Herstellern gerade über die Verwendung von Space Drive in Kleinserien. Es gibt aber auch erste Anfragen für größere Serien.
Schaeffler verfügt über Kompetenzen bei Antrieb und Lenkung und hat mit dem Mover schon ein Rolling Chassis gezeigt. Wollen Sie auch ein Komplettchassis anbieten?
Wir werden keine kompletten Mover produzieren. Doch ein Gesamtsystem anzubieten, ist insofern interessant für uns, weil wir in China schon einen Auftrag für unseren Radnabenmotor erhalten haben. Die Anwendung ist für ein Stadtreinigungsfahrzeug. Wir beschäftigen uns immer mehr mit solchen Sonderfahrzeugen. Stand heute würde ich Aktivitäten in Richtung Rolling Chassis nicht ausschließen, aber nur dann forcieren, wenn Projekte wirtschaftlich sind. Es ist nicht unser Ziel, zu zeigen, dass wir ein Rolling Chassis in ein Konzeptfahrzeug einbauen können. Wir möchten Systempartner in Serie sein.
Gibt es denn Interessenten für solche Chassisstrukturen?
Ja, aber das muss nicht unbedingt ein klassischer Fahrzeughersteller sein. Es kommen neue Mobilitätsanbieter auf uns zu, mit denen wir uns Geschäftsbeziehungen vorstellen können. Wenn wir ein Feld sehen, in dem sich ein Engagement langfristig lohnt, dann sind wir als Pionier der Mobilität dabei.
Ist Schaeffler von der Verknappung bei den Halbleitern betroffen?
Für eine Einschätzung zu den konkreten Effekten für Schaeffler ist es aktuell noch zu früh. Wir analysieren die Situation fortlaufend und stehen mit unseren Kunden im engsten Kontakt. In den Abrufzahlen sehen wir derzeit nur bedingte Auswirkungen.
Im Herbst hatten Sie angekündigt, 4400 Arbeitsplätze an 17 Standorten in Europa abzubauen und 6 Standorte zu schließen. Wie weit sind Sie mit den Plänen und halten Sie trotz der besseren Geschäftszahlen daran fest?
Wir befinden uns mit allen Beteiligten weiterhin in einem konstruktiven Dialog. Es bleibt unser erklärtes Ziel, für alle schnell Klarheit zu schaffen und die Maßnahmen an den Standorten möglichst sozialverträglich und in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretungen umzusetzen.
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