Halbleiter- oder Autoindustrie – wer treibt wen an?
"Wir müssen umdenken und enger zusammenrücken in der Industrie"
Halbleiter- und Autoindustrie trafen sich auf der Messe Electronica zum Schulterschluss für die Zukunft. Allerdings wurde klar, dass dieser Schulterschluss nur gelingen kann, wenn man sich mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet – und zwar auf beiden Seiten.
Montag, 19. November 2018, 13.56 Uhr
Zusätzlich
Zwischen Roboter-Ballett, Air-Hockey und einem Werk-Tisch, an dem Schüler und neugierig gebliebene Erwachsene ihre wohl erste eigene Leiterplatte zusammenlöteten, wurde die Zukunft der Halbleiterbranche in der Autoindustrie diskutiert: Die Automobilwoche hatte zur Podiumsdiskussion „Halbleiter- oder Autoindustrie – wer treibt wen an?“ geladen – und Entscheider von Daimler, Audi, Bosch, McKinsey, Infineon und Analog Devices kamen, um über die Zukunft ihrer Industrien zu debattieren.
McKinsey Digital Associate Partner Rupert Stützle aus dem Berliner Digital Lab von McKinsey bereitete mit einem Impulsvortrag den Boden für die Debatte. Er trat mit 5 Thesen an:
Das Produkt Auto wird zunehmend von der Software definiert.
Effizienz in der Softwareentwicklung wird somit ein genauso wichtiger Faktor für die Profitabilität wie eine effiziente Produktion.
Konzepte und Standards aus der IT halten Einzug ins Fahrzeug
Der Umbruch erfordert neue Zusammenarbeitsmodelle in der Industrie
OEMs und Zulieferer sollten für nichtdifferenzierende Element über die gemeinsame Nutzung von Standard-Komponenten nachdenken
Mit klarer Position zur zentralen Fragestellung positionierte sich Jens Fabrowsky, Mitglied des Bereichsvorstandes von Automotive Electronics bei Bosch: „Die Halbleiter treiben natürlich die Autohersteller.“ Es sei die berühmte Henne-Ei-Frage – aber für ihn sei klar: Software, die von Zulieferern, von Tech-Konzernen und Herstellern entwickelt wird, kann nur auf einen existierenden Halbleiter geschrieben werden, der wiederum all die Eigenschaften in der Hardware mitbringt, die wiederum die Software brauche.
Verständnis für diese Position bekam Fabrowsky von allen Seiten auf dem Podium, jedoch keine Zustimmung. Frank Cornelius, lange verantwortlich für die Elektrik/Elektronik-Architektur und Komfortsysteme bei Daimler und jetzt Leiter der Batterieentwicklung sagt: „Das Bild hat sich geändert. Wir Hersteller haben erkannt, dass wir die Halbleiterhersteller brauchen, um unsere Innovationen ins Auto zu bringen. Andersrum hat die Halbleiterindustrie erkannt, dass bei den Autoherstellern Innovationen passieren, dass hier ein attraktiver Markt für sie ist. Denn: Wir Autohersteller können mit Lösungen von der Stange nichts anfangen.“
Getrieben durch Elektromobilität, Fahrerassistenzsysteme sowie Konnektivität bekommen Halbleiter im Auto einen völlig neuen Stellenwert. Daimler-Manager Cornelius spricht sogar von „Kooperationen auf Augenhöhe“ der beiden Industrien. Eine solche Aussage war vor fünf bis zehn Jahren so noch nicht denkbar.
Auch an Zahlen lässt sich dieser Marktwachstum festhalten: Weltweit ist der Halbleitermarkt rund 420 Milliarden Dollar schwer. 11 Prozent davon fallen derzeit auf die Autoindustrie zurück – das ist also nicht wirklich viel. Aber die Wachstumsraten sind immens: Sie betragen derzeit acht Prozent. 2023 soll der Halbleiterbedarf in der Autoindustrie 73 Milliarden Dollar betragen.
„Warten wir ab, wie sich der Markt gestaltet, wenn die jetzt angekündigten Modelle von Elektrofahrzeugen der Premium- und Volumenhersteller im Markt sind“, sagt beispielsweise Peter Schiefer, Präsident der Division Automotive beim Halbleiterhersteller Infineon.
Die Münchner, die schon jetzt schneller als der Markt wachsen, setzen vor allem auf die Elektromobilität als Treiber für das eigene Geschäft. In Dresden produziert Infineon bereits Halbleiter, in Österreich am Standort in Villach wird derzeit für 1,6 Milliarden Euro eine neue Halbleiterfabrik gebaut – um eben für die Nachfrage, die sich der Konzern auch aus der Autoindustrie erhofft, gewappnet zu sein.
Dennoch: Glaubt man Thomas Müller, Bereichsleiter Entwicklung Elektrik/Elektronik und CarIT bei Audi, läuft die Zusammenarbeit noch immer nicht ideal. „Man muss enger zusammenarbeiten, enger zusammenrücken.“
Denn bis dato habe man vornehmlich über die Wertschöpfungskette mit Halbleiterhersteller zusammengearbeitet. Diese Wertschöpfungskette ist aber zu lang, um Innovationen schnell genug in die Serie zu bringen. „Wir können kein Lastenheft an den Tier1 geben, Wünsche äußern und dann schauen, was später rauskommt. Stattdessen müssen wir umdenken in der Industrie, enger zusammenrücken und in einen Dialog treten“, so Müller.
Fachkräfte? "Der Markt ist leer gefegt!"
Um als Hersteller aber auf Augenhöhe mit der Halbleiterindustrie arbeiten zu können, um Innovationen Softwareseitig umzusetzen und Wünsche an die Halbleiterhersteller formulieren zu können, hat vor allem die Autoindustrie einen enormen Bedarf an Software- und IT-Experten. „Der Markt ist leer gefegt. Dabei haben wir pro Jahr im Kernteam Bedarf von ein paar hundert Software-Spezialisten“, sagt Audi-Manager Müller. Diese Berechnung betrifft dabei „nur“ den Hersteller, nicht aber die Software- und IT-Dienstleister, die ja ebenfalls aufstocken müssen.
Was tun, wenn die Fachkräfte fehlen? Stefan Steyerl vom Halbleiterhersteller Analog Devices rief auf dem Podium dazu auf, vor allem bei Jugendlichen, aber auch bei Frauen mehr Interesse für Software und den Ingenieurberuf zu wecken. „Wir werden nicht umhin kommen, uns Modelle zu überlegen, um Fachkräfte auszubilden.“ Der zweite oder dritte Bildungsweg sei da eine Möglichkeit, aber auch das frühzeitige Ausbilden und Lehren von Programmiersprachen in Schulen.
Doch neben den Experten, die fehlen, stellen die Unternehmen auch die Arbeitsweisen um. Es wird agil gearbeitet. Cornelius hat in seinem Team die Schwarm-Methode eingeführt, nach der entwickelt wird. Grund für dieses Umdenken: Wer laufend Software-Innovationen implementieren will, muss laufend Software produzieren. Lange Entwicklungszeiten, wie sie die Autoindustrie bislang gewohnt ist, sind da fehl am Platz.
Moderatorin Rebecca Eisert, Online-Chefin er Automobilwoche, schloss die Runde mit dem Fazit, dass die Halbleiter- und die Autobranche sich nicht gegenseitig antreiben, sondern sich gegenseitig beflügeln müsse. Nur kann eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe gelingen.