Herr Tostmann, VW hat sich entschieden, ganze Werke komplett auf die Fertigung von Elektroautos umzustellen. PSA hingegen baut Verbrenner und Stromer parallel in einem Werk. Die VW-Strategie ermöglicht eine stärkere Spezialisierung, die Strategie von PSA hingegen bietet mehr Flexibilität in einem ungewissen Hochlauf der E-Mobilität. Geraten Werke wie das von VW in Zwickau in Not, wenn die Kunden beim ID.3 nicht zugreifen?
Das E-Auto wird sich durchsetzen, daran gibt es gar keinen Zweifel. Wir rechnen damit, dass die Nachfrage nach E-Autos in den kommenden Jahren schnell steigen wird. Für den ID.3 liegen bereits mehr als 36.000 Reservierungen vor. Zudem werden in Zwickau künftig noch weitere E-Modelle gebaut, insgesamt werden es sechs Modelle von drei Marken sein. Das sind alles phantastische Autos – genauso wie unser Bestseller der Golf, den ich auch deswegen erwähne, weil er just in diesen Tagen in der Version 8 zu den Händlern in die Autohäuser kommen wird. Was die Struktur der Werke angeht, die ist vielschichtiger, als es in Ihrer Frage durchklingt. Ja, wir haben und planen eine Vielzahl reiner E-Werke. In ihnen wird unser Modularer Elektro-Baukasten (MEB), verbaut, der speziell für E-Autos entwickelt wurde. Dadurch erzielen wir maximale Skaleneffekte. Aber wir haben auch kombinierte Fertigungen. So investieren wir rund 800 Millionen US-Dollar in unserem US-Werk in Chattanooga, wo wir neben Verbrennern auch E-Fahrzeuge fertigen werden. Und wenn Sie genauer nach Wolfsburg schauen, dann sehen sie auch, dass wir derzeit neben Hybriden täglich auch 165 E-Golf bauen. Und künftig kommen Golf 8 und Tiguan als Hybrid ebenfalls aus Wolfsburg.
Herr Tostmann, die geringere Komplexität der E-Autos ermöglicht eine höhere Automatisierung. Was lässt sich in Verbrenner-Werken durch Automatisierung einsparen?
Wir wollen bis 2023 zwei Milliarden Euro an Performance-Maßnahmen in der Produktion bei der Marke Volkswagen realisieren – vor gegenläufigen Effekten wie Inflation oder Tariferhöhungen. Wir bündeln in den Fabriken markenübergreifende Produktfamilien, um maximale Synergien und Kostenvorteile zu nutzen. Dazu realisieren wir Tausende Maßnahmen. Das hat oft gar nicht -unbedingt mit klassischer Automatisierung zu tun. Wir haben zum Beispiel in Wolfsburg einen Supermarkt der Werklogistik nach dem Lean-Konzept neu gestaltet. Das Ergebnis ist, wir benötigen 15 Prozent weniger Fläche, 60 Prozent weniger Logistikfahrzeuge und schlagen gleichzeitig 20 Prozent mehr Waren um.
Ein schönes Beispiel, aber mit dem Supermarkt allein werden Sie nicht weit kommen.
Es geht natürlich im nächsten Schritt darum, solch gute Lösungen eines Werks auf die anderen zu übertragen. Es ist in unserem weltweiten Produktionsnetzwerk enorm wichtig, dass sich alle Werke trotz verschiedenster Voraussetzungen an gemeinsamen Produktionsstandards ausrichten.
Das dürfte vermutlich nicht so einfach sein.
Richtig, das ist die Kunst. Wir haben an dieser Stelle aber eine Reihe von guten Ansätzen, wie wir das noch besser hinbekommen. Nur mit einer weiteren IT-Plattform, in der sie Projekte dokumentieren, ablegen und hoffen, dass sich das jemand ansieht, wird das natürlich nicht funktionieren.
Wie gehen Sie dabei vor?
Wir haben einen zentralen -Prozess, mit dem wir Ideen und Verbesserungen aus unseren Standorten zügig und verbindlich ausrollen. Derzeit sind das 220 Best-Practices. Zudem haben wir gemeinsame Runden der Werksleiter. Regelmäßig kommen alle Produktionsexperten zusammen und arbeiten an konkreten Themen. Vor allem geht es darum, dass die jeweiligenRunden auch etwas entscheiden können, wenn sie sich beispielsweise auf einen Standard geeinigt haben. Und dass sie nicht mit jedem Vorschlag wieder zum Vorstand müssen und wertvolle Zeit verlieren. Die Leute wissen selbst am besten, wie sie ihren Job gut machen. Wir wollen und müssen schneller und unbürokratischer werden.
Sie haben eben das Thema IT angesprochen. Ihr Cloud-Projekt mit AWS und Siemens ist bekannt. Was sind da die nächsten Schritte?
Es ist ein spannendes, anspruchsvolles Projekt und sicherlich eines der weltgrößten industriellen Cloud-Projekte, das entsteht. Wir sehen hier gute Möglichkeiten, Abläufe und Prozesse in unserer Fertigung noch effizienter zu gestalten. Mit Wolfsburg haben wir bereits ein Werk der Marke Volkswagen an die Cloud angebunden, im nächsten Jahr sollen zwei weitere von uns dazukommen. Beim Time-to-Market, Inbetriebnahme neuer Anlagen und Maschinen und der laufender Produktion dürften wir im eingeschwungenen Zustand noch erheblich schneller werden. Und überhaupt nutzen wir die Chancen der Digitalisierung sehr breitflächig. Die smarte Fabrik, die Fabrik der Zukunft, ist an einigen Stellen schon da: Wir nutzen KI etwa bei der Kontrolle von Lacken und Oberflächen oder 3-D-Druck in der laufenden Produktion. Auch das Thema 5G in der Fabrik, das sogenannte Campus-Netz, schauen wir uns genau an.
Früher waren die deutschen Werke der Maßstab für Fabriken im Ausland. Welche VW-Werke sind heute am effizientesten und wo ist noch Luft nach oben?
Ich habe nichts gegen gesunden Wettbewerb der Werke um die besten Ideen. So etwas ist förderlich und notwendig. Aber mir liegt die Kooperation der Werke sehr am Herzen. Wenn wir besser werden wollen, müssen wir uns gegenseitig helfen. Wir kommen insgesamt gut voran. Aber wir müssen feststellen, dass das Tempo der Verbesserungen und die Ergebnisse im Ausland mitunter besser sind. In Deutschland müssen wir trotz aller Erfolge noch zulegen.
Hat Sie die Entscheidung von Tesla überrascht, sich in Brandenburg anzusiedeln?
Elon Musk expandiert Tesla schrittweise. Der jüngste Schritt ist daher eher konsequent als überraschend und lässt die langfristige Strategie erkennen, in allen wesentlichen Märkten mit Fertigungen vertreten zu sein.
Was bedeutet das für den Automobilstandort Deutschland?
Für den Automobilstandort Deutschland kommt es darauf an, dass alle Fertigungsbereiche unserer Industrie, die gesamte Wertschöpfungskette, vorhanden sind. Daher hat sich auch Volkswagen entschlossen, in Salzgitter gemeinsam mit unserem schwedischen Partner Northvolt eine eigene Giga-Fabrik zu bauen. Ich bin überzeugt davon, dass Deutschland ein attraktiver Fertigungs-Standort war und ist – wenn die Kostenstrukturen stimmen. Es gibt gut ausgebildete Arbeitskräfte, gute Infrastruktur, exzellente Hochschulen.
Wird noch mehr Produktion nach Deutschland kommen?
Wir haben über Jahrzehnte bewiesen: Wir können Produktion. Die Industrialisierung hierzu-lande erlebt eine Renaissance. Der Volkswagen-Konzern will von 2020 bis 2024 insgesamt 60 Milliarden Euro in Elektromobilität, Hybridisierung und digitale Technologien investieren. Davon -werden auch die Standorte in Deutschland stark profitieren. Das Unternehmen geht hierzulande massiv in Vorleistung – und ich bin sicher, die Mannschaft wird das Vertrauen zurückzahlen.
Wegen des Einmarschs der türkischen Armee in Syrien liegt die Entscheidung für das dort geplante Werk auf Eis. Bis wann braucht VW Klarheit über den Standort der neuen Fabrik in Osteuropa.
Die Planungen für das neue Werksindzunächst "on hold". Eine Entscheidung soll noch in diesem Jahr fallen.