Herr Kiefer, welche Schwerpunkte wollen Sie bei RLE setzen?
Gefragt sind derzeit Software-Themen, auch bedingt durch die massiven Veränderungen bei den Automobilherstellern. Eine meiner Aufgaben wird es sein, die schon heute gute Vernetzung im Zusammenspiel zwischen den deutschen und den internationalen RLE-Gesellschaften weiter zu verbessern. Insbesondere mit den neuen Themen wie E-Mobilität, Software und Digitalisierung wollen wir auf unsere Kunden zugehen, aber auch bei den internen Prozessabläufen Akzente setzen, ohne die traditionellen Geschäftsfelder zu vernachlässigen.
Wie transformieren Sie die RLE in Richtung E-Mobilität?
Wir können nicht alles auf die E-Mobilität ausrichten, aber wir versuchen stark in den Bereichen Hochvolt und Bordnetze zu wachsen. Das hat auch historische Gründe. Die RLE war schon immer stark im Bereich Bordnetz. Doch die Bordnetze haben sich durch die E-Mobilität verändert und sind nochmal deutlich komplexer geworden. Früher gab es reine Niedervoltbordnetze, heute gibt es mehrere Spannungslagen im Fahrzeug. Dafür sind wir in Kooperationen sowohl mit den Automobilherstellern wie auch mit den Bordnetzherstellern. Die RLE UK hat mit Future Motive eine Tochterfirma gegründet, die nicht nur beim Thema Bordnetze sehr umtriebig ist, sondern sich auch um den Prototypenaufbau von Fahrzeugen mit kompletten elektrischen Antriebssträngen beschäftigt.
Welche Veränderung gibt es in Ihrem Engineering-Portfolio durch den Schwenk zu mehr E-Mobilität?
In der Vergangenheit hat sich die RLE traditionell sehr stark mit Karosseriestrukturen beschäftigt. Mittlerweile gibt es aber einen sehr starken Elektrik-Elektronik-Bereich, in dem in den vergangenen Jahren viele Mitarbeiter aufgebaut wurden. Jetzt befinden wir uns in einer Konsolidierungsphase. Neben der Säule Software mit autonomem Fahren werden die Themen Bordnetz, Integration und Hochvolt die zweite Säule bilden. Die E-Mobilität stellt auch neue Herausforderungen an die Gesamtstruktur des Fahrzeugs. Die Antriebsbatterie bringt nicht nur ein deutliches Mehrgewicht ins Fahrzeug, sondern stellt in Punkto Chrashverhalten auch andere Sicherheitsanforderungen. Dabei rückt der Leichtbau, bei dem wir eine hohe Kompetenz haben, nochmal deutlich stärker in den Vordergrund.
Welche Schwerpunkte setzen Sie im digitalen Engineering?
Zum einen haben wir einen Bereich gegründet, welcher sich um die Automatisierung von Arbeitsabläufen kümmert. Auch die Zusammenarbeit der verschiedenen RLE-Tochterunternehmen lässt sich digitalisiert besser steuern, um Reibungsverluste zu vermeiden. Wir registrieren auch, dass viele Kunden Probleme haben, ihre Arbeitsabläufe zu digitalisieren und optimieren. Es gibt bei den Kunden klassische Engineeringprojekte, bei denen wir feststellen, dass eine Digitalisierung noch Optimierungspotenzial bietet. Zum anderen arbeiten wir schon länger daran, unsere heutigen Arbeitsabläufen über KI zu optimieren. Das ist ein Betätigungsfeld, was wir stärker ausbauen wollen, weil wir uns davon sehr viel Potenzial versprechen, insbesondere in der Vereinfachung der Arbeitsabläufe.
Gibt es noch weitere Bereiche in denen Sie mit KI arbeiten?
KI ist für uns letztlich etwas Umspannendes. Wir sehen zwei Ansätze. Der eine ist der intrinsische, der andere der kundenorientierte Ansatz. Beim kundenorientierten versuchen wir, die klassischen Entwicklungsprozessen der Kunden zu optimieren. Ein Teil davon wird Consulting, ein anderer Teil Engineering sein. Intern versuchen wir mit KI unsere heutigen Arbeitsabläufe so aufzubauen, dass wir keine manuellen Übergaben zwischen den einzelnen Schnittstellen haben, sondern dass über KI-Werkzeuge steuern.
Welche Bedeutung haben bei Ihnen Entwicklungen für Verbrenner?
Wir haben zwar keinen klassischen Footprint in der Motorenentwicklung, aber wir arbeiten natürlich in vielen Projekten mit Verbrennerfahrzeugen. Auch wenn das Thema E-Mobilität von unseren Kunden stark fokussiert wird, glaube ich, dass uns der Verbrenner noch längere Zeit beschäftigen wird. Durch E-Fuels gibt es beispielsweise noch genügend Optimierungsoptionen, damit die Fahrzeuge die CO2-Grenzwerte erfüllen können.
Entwickeln Sie auch im Bereich Brennstoffzelle?
Es gibt relativ wenige Anfragen. Wir haben das Thema mittlerweile aber bei uns in den Fokus gerückt, hauptsächlich um zu prüfen, welche Opportunitäten sich für uns ergeben könnten. Im Pkw-Bereich scheint das Thema an Bedeutung verloren zu haben, anders sieht es im Bereich Nuztfahrzeuge aus. Die Betankung ist leichter, weil sich beispielsweise durch Ruhezeiten der Fahrer Möglichkeiten ergeben und das Netzwerk der Tankstellen leichter aufzubauen ist.
Was macht RLE im Bereich Aftersales?
In der Vergangenheit haben wir uns vor allem mit der technischen Dokumentation der Fahrzeuge beschäftigt. Das heißt, Werkstattliteratur oder Bordbücher für Fahrzeuge. Zudem haben wir die Hersteller bei Marktzugängen unterstützt. Diese Thematik entwickeln wir derzeit massiv weiter. Momentan sehen wir den Schwerpunkt in der Vernetzung und Digitalisierung der Handelsorganisationen. Dabei können wir auch die neuen Fahrzeughersteller unterstützen, die auf keine vorhandenen Prozesse aufsetzen können. Dort fehlen häufig die nachgelagerten Prozesse wie Kooperationen mit Werkstätten, Aufbau einer Ersatzteilstruktur, Logistiksysteme oder Schulungen von Händlern und Mechanikern. Aber auch Zusammenschlüsse von freien Händlern sind für uns potenzielle Kunden. Wir unterstützen diese Verbünde bei Reparaturleitfäden, Werkstattprozessen, dem Abruf von Ersatzteilen, aber auch um die Abläufe dieser Prozesse zu digitalisieren.
In den vergangenen Monaten gab es vermehrt Zusammenschlüssen von Engineering- und IT- Unternehmen. Erwarten Sie eine weitere Konzentration im Engineeringeschäft und erwarten sie eine fortschreitende Verschmelzung von Engineering- und IT-Unternehmen?
Ja, davon bin ich überzeugt. Mittlerweile orientieren sich die IT-Unternehmen sehr stark in Richtung Industrie. Sie fokussieren nicht nur die Automobil-, sondern auch andere Branchen. Für die IT-Unternehmen bieten die Engineeringdienstleister einen sehr guter Marktzugang. Ein Großteil der IT-Unternehmen bietet vor allem Dienstleistungen, Cloud-Lösungen, klassische SW Entwicklung und Tools. Der klassische Engineeringdienstleister hat in der Vergangenheit beim Fahrzeug aufgehört. Alles was die Luftschnittstelle betrifft, wurde von anderen Firmen übernommen. Jetzt wächst die Erkenntnis, dass die Automobilhersteller und auch die Engineeringdienstleister über diese Schnittstelle hinausgehen müssen, weil viele Funktionen im Fahrzeug über die Cloud vernetzt sind. Auch wenn die Systeme, wie Navigation oder Assistenzsysteme getestet werden, kann nicht an der Schnittstelle zum Fahrzeug gestoppt werden. Das heißt, es wird eine End-to-End-Kette in die Cloud oder ins Backend benötigt. Und an dieser Stelle kommen die klassischen IT-Unternehmen mit ihren Kompetenzen ins Spiel.
Ist RLE auf Partnersuche, um bestimmte Umfänge zu bewältigen?
Wir arbeiten heute schon in Kooperationen, allerdings projektbezogen. Beispielsweise werden wir mittlerweile häufig mit dem Thema Cyber-Security konfrontiert. Das beschäftigt nicht nur die Automobilindustrie, sondern die gesamte Industrie. In diesem Themenumfeld arbeiten wir mit Partnern zusammen.
Wie sieht ihre Internationalisierungsstrategie aus?
Wir sind heute schon sehr international aufgestellt. Zwei Drittel unseres Umsatzes erzielen wir außerhalb Deutschlands. Das Besondere der RLE ist, dass wir sehr stark lokal entwickeln und dort eigene Geschäftsbeziehungen unterhalten. Da unterscheiden wir uns von einigen anderen Dienstleister, die ihre Auslandsstandorte als verlängerte Werkbank einsetzen, um Kosten- und Ressourcenstrukturen zu optimieren. Natürlich versuchen wir auch in einem gewissen Umfang unsere Auslandsaktivitäten global zu vernetzen. Das hilft uns vor allem bei größeren Projekten. Teilweise arbeiten bis zu 400 Mitarbeiter an einem Fahrzeugprojekt. Derzeit planen wir das Thema Softwareentwicklung im europäischen Umfeld weiter ausbauen.
Wollen sie das durch Zukäufe oder Partnerschaften erreichen?
Im ersten Schritt durch Partnerschaften. Wir haben heute bereits eine Softwarebrücke zwischen Deutschland, England und Indien und werden diese nochmal mit einer europäischen Lösung anreichern.
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