Herr Al-Saleh, Sie gelten als knallharter Sanierer – würden Sie sich auch selbst so beschreiben?
Seit ich diesen Job habe, nennt man mich so. Vorher nicht. Ich selbst würde mich auch nicht so beschreiben. Ich sehe mich eher als einen Veränderer, einer, der den Wandel ins Unternehmen bringt. Ich mag es nicht, wenn man auf der Stelle tritt und sich nichts verändert.
Ist T-Systems so ein Unternehmen, das auf der Stelle tritt?
Wenn man so will. Die Ergebnisse waren in den vergangenen fünf bis zehn Jahren schlecht. Aber die Zeit für T-Systems ist nicht vorbei. Man muss die Bereiche und die Mitarbeiter befähigen, mehr aus sich rauszuholen. Sie können eindeutig mehr, als sie in den vergangenen Jahren gezeigt haben. Deshalb glaube ich auch: strukturell Verändern und nicht Sanieren ist jetzt der richtige Ansatz für den Wandel.
Warum wollen sie diesen Weg mit T-Systems gehen?
Ich weiß, dass T-Systems viel Potenzial und gute Kunden hat. Über die Hälfte kommt aus der Autoindustrie. Und wir müssen gut arbeiten, damit die gute Autos bauen. Wir müssen uns also verbessern, denn sie zählen auf uns. Ich bin mir sicher: Wenn man an den richtigen Stellschrauben dreht, kann T-Systems wieder sehr erfolgreich werden. Deshalb bin ich hier.
Trotzdem: 6000 Mitarbeiter verlieren ihre Arbeit, 4000 Jobs werden verlagert. Können Sie die Frustration dieser Menschen nachvollziehen?
Natürlich. Das ist sehr schmerzvoll, wenn man an die Einzelschicksale denkt. Viele haben Familie und verlieren jetzt ihren Job. Aber ich muss auch an die 30.000 anderen Mitarbeiter von T-Systems denken. T-Systems geht es nicht gut und niemand will in einem Unternehmen arbeiten, dem es schlecht geht. Meine Mitarbeiter sollen sich endlich wieder wohlfühlen, gern zur Arbeit kommen. Sie sollen wieder stolz sein auf das, was sie tun. Ich will, dass sie wieder wissen, wie es sich anfühlt, zu einem erfolgreichen Unternehmen zu gehören und nicht das Sorgenkind der Telekom zu sein.
Haben Sie, als Sie im Januar hier angefangen haben, Unmut im Unternehmen gespürt?
Die Mitarbeiter waren sehr frustriert. Wissen Sie, die Menschen, die hier arbeiten, sind sehr stolz. Sie arbeiten mit Daimler, VW, BMW und vielen anderen Großkonzernen zusammen. Und diese Kunden sagen: Ihr seid unglaublich wichtig für uns. Darum: Vermasselt es nicht. Aber dieses Versprechen konnten sie viele Jahre nicht geben, weil sie wussten: Dem Unternehmen geht es schlecht.
Was verändern Sie bei T-Systems konkret?
Wir legen künftig den Fokus mehr auf die Produkte, die wir anbieten. Wir sind beispielsweise sehr gut darin, SAP-Anwendungen bereitzustellen. Deshalb werden wir künftig nicht jede SAP-Anwendung völlig neu konzipieren, sondern mit dem arbeiten, was wir schon entwickelt haben. Das erlaubt uns beispielsweise, dass wir uns über Branchen hinaus einen Namen machen können.
Sie wollen ganze Manager-Ebenen streichen. Sind diese Menschen überflüssig geworden?
Wir haben über acht Management-Ebenen in der Organisation. Das ist zu viel Hierarchie. Das lähmt einen Konzern und passt einfach nicht zur agilen, schnelllebigen Welt von heute. Aus acht machen wir drei Ebenen, in ganz großen Bereichen maximal fünf. Und schon allein für unsere Kunden brauchen wir diese Veränderung. Sie spüren tagtäglich, wie hierarchisch wir arbeiten: Wenn der Kunde eine Frage oder eine Bitte hat, brauchen wir oft Wochen, bis wir antworten können – weil die Strukturen so sind, wie sie sind. Ich will aber, dass wir ihnen innerhalb von Tagen, vielleicht sogar Stunden antworten.
Schlechte Zahlen, schlechte Abläufe, zu viele Hierarchien, eine träge Organisation – warum, glauben Sie, sind die Kunden trotzdem bei Ihnen geblieben?
Jeder unserer Kunden sagt: Eure Fähigkeiten, eure Erfahrung, euer Portfolio – all das ist phantastisch, aber es ist unwahrscheinlich schwer, mit euch Geschäfte zu machen. Denn unsere Kunden, agil arbeitende Organisationen wie BMW oder Daimler, brauchen schnell Lösungen, die können nicht warten. Deshalb müssen wir uns verändern. Und das beginnt in den Köpfen des Managements und aller Mitarbeiter. Wir brauchen eine Kultur, die den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt.
Wie machen sie das, wie verändern Sie die Einstellung eines jeden einzelnen?
Ein wichtiger Teil unseres Chance-Management-Programms sind fünf Geschäftsprinzipien, die wir aufgestellt haben und an die sich jeder halten muss. Nummer 1: Es dreht sich alles um den Kunden (Customer Centricity). Nummer 2: Wir fördern individuelle Kreativität, gewinnen aber immer als Team (Teamwork & Collaboration). Nummer 3: Wir streben nach Innovation im Unternehmen und nutzen Technologien für den Erfolg unserer Kunden (Innovation & Technology). Nummer 4: Wir verbessern uns jedes Jahr bei allem, was wir tun (Operational Excellence). Nummer 5: Engagierte, motivierte Mitarbeiter sind die Grundlage für unseren Unternehmenserfolg (People make it happen).
Ich kann eine noch so gute Strategie haben, sie intern und extern vorstellen, neue Kunden ranschaffen etc. Aber wenn ich die Menschen, die hier jeden Tag arbeiten nicht davon überzeuge, dass wir den Wandel schaffen, wenn ich sie nicht ins Boot hole, werden wir es nicht schaffen. Es geht nur zusammen.
Unsere Führungskräfte kommen zudem alle 30 Tage zusammen und wir bringen ihnen bei, was wir damit meinen: Verändere dein Denkweise, verändere die Arbeitskultur und die Arbeitsweise. Was heißt eigentlich Wandel? Wo fängt er an und wo hört er auf. Meines Erachtens sind Vorbilder dabei unerlässlich: Wer als Führungskraft diesen Wandel nicht vorlebt, kann ihn von seinen Mitarbeitern nicht erwarten.
Wie kommt dieser Prozess im Unternehmen an?
Ich besuche derzeit unsere Mitarbeiter, bin dauernd unterwegs, um mit den Mitarbeitern direkt zu sprechen. Wir veranstalten dort sogenannte Y-Zones. Das sind Runden, wo sie all ihre Fragen loswerden können. Etwa: Warum müssen wir uns verändern? Warum können wir uns nur so verändern? Was bedeutet das für mich. Alle Y-Zones sind immer voll. Die Menschen haben Fragen über Fragen. Das ist gut, denn nur so kommen wir in einen Dialog und so kann ich ihnen meine Sicht der Dinge vermitteln.
Wie lange wird dieser Prozess dauern?
Lange. Vielleicht endet er nie. Diese Transformation ist eine Evolution. Man kann nicht ein paar Entscheidungen fällen und dann ist alles anders. Menschen müssen es lernen, adaptieren, leben. Kulturelle Veränderung ist nicht leicht. Es ist harte Arbeit und braucht Zeit.
Am Ende des Tages aber geht es um Zahlen – T-Systems soll wieder profitabel werden. Was haben Sie sich vor allem für ihre Kunden aus der Autoindustrie für Ziele gesetzt?
Die Autoindustrie ist die wichtigste Branche für uns, sie ist unser größter Kunde. Aber die Herausforderung ist: Sie bezieht vor allem klassisches IT-Geschäft von uns, und das ist rückläufig. Allein schon, weil wir ihnen dabei helfen, die Kosten für die IT zu senken. Wir müssen uns also neue Bereiche erschließen, die nicht nur für die Autoindustrie, sondern für alle Großkonzerne wichtig sind. Dazu gehören Cloud-, IoT- und Security-Lösungen. Hier müssen wir wachsen, da unser klassisches IT-Geschäft pro Jahr um knapp ein Prozent zurückgeht. In den nächsten drei Jahren werden wir mit den neuen Wachstumsbereichen und dem parallel rückläufigen IT-Geschäft unseren Umsatz stabil halten. Aber ab 2021 werden wir jährlich mit Wachstumsraten im hohen einstelligen Prozentbereich zulegen.
Können Sie den Umsatzzuwachs und die Nachfrage nach mehr Digitalisierung auch auf Themen wie Autonomes Fahren oder steigende Vernetzung der Fahrzeuge zurückführen?
Am Ende der Kette sicherlich, aber das ist nicht unser direktes Geschäft. Wir managen Daten, stellen die Dienste zur Verfügung. So können Hersteller und Zulieferer Autos vernetzen, Daten verfolgen und Massendaten in Echtzeit analysieren. Wir befähigen die Autoindustrie, selbstfahrende und vernetzte Autos zu bauen.
Ihr Ziel ist, weiterhin größter IT-Dienstleister für die Autoindustrie in Deutschland zu bleiben. Was ist Ihr Ziel für die Regionen außerhalb Europas?
Wir arbeiten heute mit der deutschen Autoindustrie – Herstellern und Zulieferern – sehr eng zusammen. Das ist unser größter Markt. Und hier wollen wir auch groß bleiben. Die Zusammenarbeit ist dabei global angelegt. Entsprechend wollen wir vor allem in Brasilien und Mexiko wachsen. Dort hat die deutsche Autoindustrie ihren größten Anteil in Lateinamerika. Gleiches gilt auch für Europa, vor allem in der Slowakei und in Ungarn. Wir wollen aber auch in Asien wachsen. Denn die Asiaten sind sehr hungrig, wollen Technologie verstehen und nutzen. Da ist viel Potenzial drin. Nordamerika kommt erst danach, denn es ist sehr schwer, sich da durchzusetzen.
Es kommen neue Firmen in den Markt, die die Autoindustrie vor große existenzielle Probleme stellen: Uber, Waymo, Lyft wollen selbstfahrende Taxiflotten auf die Straße bringen, sodass sich viele Leute künftig überlegen werden, ob sie überhaupt noch ein eigenes Auto besitzen wollen. Bedeutet das, dass diese Entwicklung auch die Existenz von T-Systems bedroht?
Nein. Denn wir entwickeln zum einen gerade neue andere Lösungen, die uns nicht zwingend auf bestimmte Industrien festlegen. Außerdem brauchen auch diese Firmen wiederum gut funktionierende Backends, gute Cloud-Services und gutes Datenmanagement. Das können wir liefern. Wir werden die Krise überstehen und gestärkt daraus hervorgehen. Danach wird uns so schnell nicht mehr viel umhauen können.
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