Herr Wolf, welche Strategie verfolgen Sie mit Vitesco Technologies nach dem Börsengang?
Wir setzen unsere Strategie, wie wir sie bereits 2019 fixiert haben, weiter konsequent um. Unsere Strategie fußt auf vier Eckpunkten. Erstens einem rasanten Marktwachstum im Bereich der E-Mobilität, zweitens unsere Positionierung als Experte mit breitem Portfolio für elektrifizierte Antriebe. Mit Blick auf konventionelle Antriebstechnologien verfolgen wir – das ist drittens – einen konkreten Transformationsplan: welches Geschäft fahren wir runter, wo wollen wir wachsen. Eine entsprechende finanzielle Stärke ist – last but not least – der vierte Eckpunkt unserer Strategie.
Wie entwickelt sich Ihr Transformationsplan?
Es gibt sehr gute Fortschritte. Es geht im Wesentlichen darum, dass wir unser definiertes Non-Core-Geschäft, also die Verbrenner-Technologien, für die wir keine Wachstumsmöglichkeiten sehen, in den nächsten Jahren schrittweise runterfahren. Gleichzeitig wollen wir die Elektrifizierung deutlich nach vorne bringen. Vitesco Technologies ist hier sehr gut aufgestellt, um die Chancen der Elektromobilität langfristig zu nutzen. Wir sind überzeugt, dass wir aufgrund unserer sehr guten Marktpositionierung und unserer hohen Innovationskraft, zu den Gewinnern der Transformation gehören werden. Als eigenständiges Unternehmen haben wir zudem nun die Möglichkeit, auch aktiv an einer Konsolidierung des Marktes teilzunehmen. Momentan ist das jedoch nicht geplant und auch nicht notwendig, weil wir unser Wachstum aus unserem eigenen Portfolio stemmen können.
An welcher Art von Zukäufen sind Sie interessiert?
Wir prüfen, ob sich auf der Technologieseite interessante Möglichkeiten anbieten. Wir haben uns jüngst an der kanadischen Firma GaN Systems beteiligt, da wir glauben, dass deren Technologie mit Galliumnitrid-Leistungstransistoren tragfähig ist. Es könnte aber auch sein, dass wir künftig stärker mit anderen Unternehmen kooperieren. Wir haben alle Möglichkeiten, auch Firmenteile oder ganze Unternehmen zu übernehmen. Am Ende ist entscheidend, dass wir unseren Kunden dadurch einen Mehrwert bieten können.
Welche Bereiche sollen demnächst aus Vitesco Technologies herausgelöst werden?
Es geht vor allem um das Geschäft mit Verbrennungstechnologie im Umfeld von Einspritzsystemen. Damit meine ich Einspritzdüsen, Hochdruckpumpen, aber auch Turbolader. Für diese Produkte gibt es kein Marktwachstum, da die Anzahl der Verbrennungsmotoren Jahr für Jahr sinkt. In manchen Bereichen war unsere eigene Position im Markt zudem relativ schlecht oder das Geschäft auch defizitär. Wir arbeiten unseren, mit den Kunden abgestimmten Plan, jetzt Schritt für Schritt ab. Da gibt es also keine großen Überraschungen.
Kommt für Vitesco Technologies eine Last-Man-Standing-Strategie für bestimmte Produktbereiche in Betracht?
Alle Aspekte, die mit unserer Restrukturierung zu tun haben, beispielsweise das Runterfahren oder die Schließung von Standorten, haben wir in unserer Bilanz in Form von Rückstellungen abgebildet. Sollte sich jemand melden, der sich beispielsweise für Turbolader oder andere Komponenten interessiert, um ein Geschäft als Last-Man-Standing zu betreiben, dann sind wir gesprächsbereit. Aber wir selbst sehen uns weniger in der Rolle des Last-Man-Standing.
Wann rechnen Sie damit, dass Ihr Geschäft mit Komponenten für die E-Mobilität profitabel wird?
Wir werden mittelfristig, also in den nächsten drei bis fünf Jahren, mit Elektrifizierungskomponenten die Gewinnschwelle erreichen. Das hat damit zu tun, dass wir jetzt enorme Vorleistungen zu stemmen haben. Wir müssen Fabriken bauen, neue Produktionslinien aufbauen und Produkte entwickeln. Das ist extrem wichtig für unsere gesamte Transformation. Wir haben sehr viel investiert. Jahr für Jahr, fast linear, werden wir die Verluste reduzieren bis wir den Break-even – voraussichtlich in 2024 – erreicht haben und gehen dann natürlich in Richtung Profitabilität.
Welche Elemente spielen noch eine Rolle?
Teile des Geschäfts, die jetzt runtergefahren werden, waren in der Vergangenheit für erhebliche Verluste verantwortlich. Es ist uns gelungen, im Jahr 2021 diese Verluste zu stoppen. Das ist für uns ein sehr wichtiger Baustein. Ein weiterer Block betrifft unser Kerngeschäft. Dort wollen wir, wie schon in den vergangenen Jahren, die entsprechenden Renditen einfahren.
Was sind Ihre umsatzstärksten Produkte im Bereich der E-Mobilität?
Alles rund um das Thema Hochvolt. Also die klassischen Produkte wie E-Achsen und Inverter. Das sind unsere Hauptumsatzträger. Zudem haben wir beispielsweise auch das Geschäft mit 48-Volt-Batteriepacks im Portfolio und unterstützen mit unseren Produkten den Mild-Hybrid-Antrieb.
Wie entwickelt sich speziell Ihr Geschäft mit E-Achsen?
Das hat sich gut entwickelt. Ende 2020 hatten wir etwa 14 Milliarden Euro an Elektrifizierungsaufträgen. 2021 konnten wir unser Auftragsvolumen nochmal deutlich steigern. Das Auftragsvolumen für Elektrifizierungskomponenten summierte sich allein im vierten Quartal 2021 auf mehr als zwei Milliarden Euro. Vitesco Technologies hat erst kürzlich einen Auftrag im Umfang von mehr als einer Milliarde Euro von einem großen amerikanischen Automobilhersteller gewonnen. Das Unternehmen wird Millionen von 800-Volt-Invertern mit Siliziumkarbid-Technologie liefern – eine wichtige Voraussetzung für das schnelle Aufladen und die Verbesserung der Effizienz und Reichweite von Elektrofahrzeugen. Vitesco Technologies hat sich so früh und entschlossen auf die Elektromobilität ausgerichtet wie kaum ein anderer Zulieferer. Die jüngsten Auftragseingänge bestätigen diesen konsequenten Kurs.
Wie sehr gefährdet die Chipkrise Ihre Transformation in Richtung E-Mobilität?
Eigentlich wenig. Unser Geschäft mit E-Achsen, Invertern, Batteriemanagement- und 48-Volt-Systemen ist glücklicherweise weitestgehend von der Chipkrise verschont worden. Wir können liefern. Es machen sich natürlich indirekt Effekte bemerkbar. Wenn ein Auto nicht gebaut wird, dann können wir auch unsere E-Achse nicht liefern.
Gibt es Mangelerscheinungen auf der Rohstoffseite?
Nein, davon sind wir nicht betroffen.
Welche Schwerpunkte wollen Sie 2022 bei den Investitionen setzen?
Das ist natürlich die E-Mobilität, aber dazu zählen auch weitere Kerngebiete wie elektronische Steuerungen. Nur noch Ersatzinvestitionen sind für die Bereiche vorgesehen, in denen wir das Geschäft schrittweise herunterfahren.Vitesco hat kürzlich Rückstellung in Höhe von 80 Millionen Euro für mögliche Zahlungen im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal gebildet.
Wie stark beeinflusst das ihre Investitionsvorhaben?
Die gebildete Rückstellung wird keinen Einfluss auf die geplanten Investitionen und das avisierte Wachstum von Vitesco Technologies haben.
Welche Gefahren sehen Sie für Ihr Geschäft durch die Insourcing-Bestrebungen der Fahrzeughersteller?
Wir haben uns schon 2019 mit dem Thema auseinandergesetzt, als wir unsere Elektrifizierungsstrategie definiert haben. In vielen Fällen des Insourcings übernehmen die Kunden Montagearbeiten, aber nicht die Herstellung der einzelnen Komponenten wie beispielsweise eines Inverters oder einer E-Achse. Wir haben diese Situation also bereits heute schon.
Können Sie das näher erläutern?
Wir liefern komplett montierte elektrische Achsen. An einige Kunden liefern wir aber auch nur die Bauteile. Das ist nicht ungewöhnlich. Auch ein Verbrennungsmotor wird nicht von einem Zulieferer geliefert, sondern die einzelnen Komponenten wie Kolben, Kurbelwellen und anderes kommen von unterschiedlichen Unternehmen. Es wird sich jetzt über die Jahre zeigen, wie stark der Montageanteil dann bei unseren Kunden sein wird. Wir schätzen, dass das in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wieder abflachen wird.
Warum?
Auf der einen Seite haben die Kunden das Problem, dass sie ihre Fabriken auslasten müssen, und sie deshalb die ein oder andere Montagetätigkeit selbst übernehmen, aber langfristig ist das für einen Fahrzeughersteller kein zielführendes Konzept. Es hat seinen Grund, dass es in der Marktwirtschaft eine Arbeitsteilung gibt.
In welchen Bereichen arbeiten Sie mit Ihrem Hauptanteilseigner Schaeffler zusammen?
Zunächst einmal sind wir zwei getrennte Unternehmen mit einer gemeinsamen Holding, zu der neben Schaeffler und Vitesco Technologies noch Continental gehört. All diese Firmen kooperieren untereinander, sofern das Sinn macht. Wir schauen uns an, wo wir einen Mehrwert für den Kunden generieren können. Beispielsweise erhalten wir von Schaeffler das Reduktionsgetriebe und Schaeffler verbaut unseren Inverter in seinen elektrischen Achsen. Da unterstützen wir uns. Aber es gibt keine weitergehenden Überlegungen.
Welchen Stellenwert hat das Thema Brennstoffzelle bei Vitesco Technologies?
Wir haben uns intensiv angeschaut, wie sich die Brennstoffzelle im Pkw- und Lkw-Markt, aber auch außerhalb der Automobilindustrie, entwickeln wird. Dabei sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass die Brennstoffzelle im Pkw-Markt eine Nische bleibt. Wenn der Anteil der Brennstoffzellenfahrzeuge am Weltmarkt überhaupt einen Wert von einem Prozentpunkt im Jahr 2030 erreichen sollte, wäre das schon viel. Das ist nicht interessant für uns.
Warum setzt sich die Brennstoffzelle beim Pkw nicht durch?
Vor allem weil die Fahrzeughersteller sehr viel Geld in die batterieelektrische Technik investiert haben. Zudem verbessern sich die Reichweiten erheblich. Das war in der Vergangenheit ja eines der größten Mankos bei der Verbreitung batterieelektrischer Fahrzeuge. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass sich auch die Ladezeiten deutlich verringern. Die großen Vorteile einer Wasserstofftechnik gehen so verloren. Zudem wird die Brennstoffzelle im Vergleich zu batterieelektrischen Fahrzeugen sehr teuer bleiben und es sprechen nach wie vor auch technisch viele Argumente dagegen.
Und wie sieht es bei Lkw aus?
Auch dort mussten wir feststellen, dass sich batterieelektrische Fahrzeuge je nach Reichweitenbedarf durchsetzen können. Auf die Brennstoffzelle wird vermutlich der kleinere Anteil entfallen. Zudem gibt es in Europa diverse Anstrengungen bei der Ladeinfrastruktur für Lkws.
Welchen Wunsch haben Sie an die neue Bundesregierung?
Vor dem Hintergrund, dass die große Welle der E-Fahrzeuge jetzt kommt, ist es mein größter Wunsch, dass die Ladeinfrastruktur schneller ausgebaut wird. Die Reichweitenangst muss den Endverbrauchern genommen werden. Defekte oder nur unzureichend vorhandene Schnellladesäulen können schnell für Verdruss sorgen.
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