Mofas, Roller, Rikschas, Busse und Laster, dazwischen streunende Hunde, wilde Affen, natürlich die heiligen Kühe und vor allem Autos soweit das Auge reicht: Wer sich durch die Straßen der Provinzmetropole Dehradun am Fuß des Himalaya kämpft, der mag kaum glauben, dass je nach Statistik auf 1000 Inder gerade mal 62 Fahrzeuge kommen – und da sind Busse und Laster noch mitgerechnet. Doch die Regierung in Delhi beziffert den Fuhrpark ihrer 1,4 Milliarden Bürger tatsächlich nur mit rund 86 Millionen und registriert angesichts des rapiden Wirtschaftswachstums im Land einen dramatischen Nachholbedarf. In diesem Jahr werden dort deshalb wohl 3,6 Millionen Neuwagen verkauft, nächstes Jahr sollen es vier sein und spätestens 2025 ist Indien der drittgrößte Automarkt der Welt, prognostiziert Piyush Arora.
Als Chef der Skoda Auto Volkswagen India Ltd führt er die Geschicke aller VW-Marken auf dem Subkontinent und will das Stillen dieses Neuwagenhungers nicht allein den Heimspielern Tata, Mahindra und Suzuki-Maruti und aus dem Ausland vor allem den Koreanern überlassen, sondern auch für die Niedersachsen ein großes Stück vom Kuchen schneiden. Nur dass das bislang nicht so recht geklappt hat: Zwar ist der Konzern seit 2007 im Land, dümpelte aber lange Jahre bei einem Prozent Marktanteil herum und konnte einfach keine passenden Autos liefern. Weder in Eigenregie noch in einer Kooperation mit Suzuki ist VW ein billiges und trotzdem gutes Auto gelungen.
Wie Skoda in Indien Erfolg hat
Von wegen, unsere Autos werden immer teurer. In Indien beweist Skoda jetzt für den VW-Konzern das Gegenteil und feiert mit kleinen Preisen große Erfolge. Können sie davon auch bei uns was lernen?
Deshalb hat VW kurz vor der Jahrtausendwende das Ruder herumgerissen, die Strategie India 2.0 aufgelegt, eine Milliarde Euro lockergemacht, Skoda die Verantwortung für den Markt übertragen und einen Anteil von fünf Prozent als Ziel bis 2025 ausgegeben. Und die Tschechen haben geliefert: Auf Basis des geschrumpften MQB-Baukastens haben sie für beide Marken je eine kompakte Limousine und ein kleines SUV für die Produktion im eigenen Werk in Pune entwickelt und damit imposante Erfolge erzielt: Bei VW sind das SUV Taigun und das Stufenheck Virtus auf Anhieb zu den meistverkauften Modellen aufgestiegen und bei Skoda ist der Absatz förmlich explodiert: 2021 haben die beiden Newcomer den Absatz auf 24.000 Fahrzeuge getrieben und mehr damit mehr als verdoppelt, in diesem Jahr kommen die Tschechen wahrscheinlich auf 50.000 Zulassungen, die Indien nach Tschechien und Deutschland bereits zum drittgrößten Markt für Skoda machen, und für das nächste Jahr rechnet Markenchef mit neuen Händlern und weiteren Modellneuheiten auf einen weiteren Sprung.
Die Autos sind zwar deutlich günstiger als ihre europäischen Verwandten. So startet der Kushaq bei umgerechnet knapp 14.000 Euro, während der kaum größere Kamiq bei uns nicht unter 21.000 Euro zu haben ist. Doch vom schnöden Billigbomber sind die Indien-Autos weit entfernt. „Die Zeiten, in denen man den Indern einfach abgespeckte oder gar abgelegte Modelle aus Europa unterjubeln konnte, sind lange vorbei“, sagt Produktstratege Jan Repa und führt den Erfolg der neuen Fahrzeuge vielmehr darauf zurück, dass Skoda sich die indischen Wünsche und Eigenheiten sehr genau angeschaut hat. Das beginnt bei der erhöhten Bodenfreiheit für die extrem schlechten Straßen und die brutalen Temposchwellen und endet bei einer kleinen Vertiefung im Armaturenbrett, in der Hindus gerne ihre Ganesha-Statue als Talisman befestigen.

Vertiefung für die Ganesha-Statue: Skoda hat sich die Wünsche der indischen Kundschaft sehr genau angesehen.
Und während Repa an ein paar Punkten wie der Winterfestigkeit der Scheinwerfer gespart hat, weil es in Indien eben selten Schnee und Eis gibt, sind Kushaq & Co den europäischen Verwandten in anderen Punkten sogar voraus. Wie sonst eher ab der Kompaktklasse aufwärts haben die Kleinwagen wegen des schwülen Klimas eine Sitzlüftung, die permanent eingesetzte Hupe ist auf eine vielfache Lebensdauer ausgelegt und vor allem die Sicherheit ist überdurchschnittlich: Nicht nur, dass der Kushaq die beste Wertung bekommen hat, die bei offiziellen Tests bis dato in Indien ermittelt wurde. „Die ganze Industrie wird hier viel stärker in die Pflicht genommen“, sagt Repa und verweist auf Anforderungen, die Indien sogar vor Europa einführt – den Gurtwarner auf dem Rücksitz zum Beispiel.
Entsprechend gut fühlt man sich im Kushaq aufgehoben, wenn man sich wie ein Kamikaze-Pilot durch das hoffnungslose Verkehrschaos kämpft, Blut und Wasser schwitzt und sich am Ende wundert, dass man trotzdem auf keinen Schnitt über 30 km/h kommt. Erst recht, weil die Skodas mit ihren 1,0- oder 1,5-Liter Benzinern und bis zu 150 PS eher überdurchschnittlich motorisiert sind. Und entsprechend erfolgreich sind die Autos – und zwar nicht nur in Indien. Sondern aus der auf 189.000 Fahrzeuge pro Jahr ausgelegten Fabrik in Pune exportiert Skoda die Autos in mittlerweile über 40 Länder, vor allem am Golf, in Südostasien und bald auch nach Vietnam.

Cockpit eines Skoda Kushaq: Autos für den indischen Markt sind längst keine Billigbomber mehr.
Spätestens an dieser Stelle sollten auch die Europäer hellhörig werden. Denn wenn bei uns alle über steigende Preise und schier unbezahlbare Neuwagen klagen, könnten bezahlbare Autos vom anderen Ende der Welt womöglich plötzlich sehr attraktiv werden, sagt Jan Burgard vom Stategieberater Berylls in München.
Eins zu eins lässt sich das Konzept allerdings nicht übertragen, winkt Landeschef Arora ab. Denn in Europa wird es nun mal kälter als in Indien und es braucht deshalb zum Beispiel Scheibenwischer-Arme und Motoren, die sich nicht von ein bisschen Schnee ausbremsen lassen. Außerdem braucht es schon auch die sehr viel niedrigeren Löhne in der Fabrik in Pune und die lokalen Zulieferer, die zu einem Bruchteil der europäischen Kosten der Teile 95 Prozent der Teile für Kushaq & Co beisteuern, um diese Preise realisieren zu können.
Doch wenn sich das Prinzip nicht exportieren lässt, dann könnten es irgendwann vielleicht die Autos sein, sagt Burgard. „Denn auch die deutschen Hersteller haben erkannt, dass sie für attraktive Preise daheim das Ausland als verlängerte Werkbank brauchen.“ Nicht umsonst kommen der neue Smart und der nächst Mini E aus Xi’an und Zhangjiagang statt aus Hambach oder Oxford. Und was heute mit China klappt, könnte morgen auch mit Indien funktionieren.
Für Kushaq und Slavia, Taigun und Virtus wird das sicher nichts. Denn neue Verbrenner braucht in Europa wohl keiner mehr. Aber Arora und Repa arbeiten längst auch an einem maßgeschneiderten Stromer für den Subkontinent. Schließlich folgt Delhi ähnlich ambitionierten Plänen zur CO2-Reduktion wie Europa. Vivek Srivasta, der für Tata das Marketing der E-Modelle verantwortet, rechnet deshalb bis 2026 mit einer Million E-Zulassungen pro Jahr und einem Verkaufsanteil von rund 25 Prozent. Sieht man von ein paar luxuriösen Importmodellen wie dem Audi e-tron, dem Mercedes EQS und dem Porsche Taycan ab, macht dieses Geschäft aktuell vor allem Tata. Aber je größer der Kuchen wird, desto sehnlicher will auch Skoda davon beißen und hat mit den Arbeiten deshalb längst begonnen, sagt Repa.
Das Auto, das dabei in drei, bis vier Jahren herauskommen dürfte, könnte jene Lücke füllen, die der VW ID2 und sein Skoda-Ableger wahrscheinlich verfehlen werden. Denn der von Skoda nach Wolfsburg beförderte VW-Chef Thomas Schäfer hat bereits eingeräumt, dass der vermeintliche Volksstromer wohl eher 25.000 als die versprochenen 20.000 Euro kosten wird. Es bleibt darunter also noch Platz für einen bezahlbaren und trotzdem familientauglichen Stromer, wie sie ihn in Pune gerade entwickelten.
„An uns soll es nicht liegen“, sagt Statthalter Arora mit einem selbstbewussten Lächeln. Natürlich ist noch nichts entschieden und es gibt allenfalls Gedankenspiele. Aber wer mit Kushaq & Vo unterwegs ist, der hat keine Zweifel an der Qualität der Indien-Autos, und wer mit offenen Augen durchs Land fährt, erkennt schnell, dass es genügend Platz und ausreichend Personal gibt, um die Produktion zu verdoppeln oder zu verdreifachen.
Aus dem Datencenter:

Skoda Kushaq: Der günstige Preis basiert zu einem Großteil auf den deutlich geringeren Löhnen in Indien.