Herr Ohlsen, wie wird das Portfolio der ESG Mobility künftig aussehen?
Wir sind einer der wenigen Dienstleister, der die Themen Elektrik/Elektronik und IT miteinander kombiniert. Die mechanischen Umfänge, die viele klassische Engineering-Dienstleister im Portfolio haben, sind bei uns nicht so stark ausgeprägt.
Wie viel Prozent des Umsatzes entfällt bei Ihnen auf die Car-IT?
Wir liegen im Bereich von 30 Prozent und sind damit vergleichsweise stark aufgestellt. Aber natürlich verstehen wir auch das Thema Fahrzeug insgesamt.
Meinen Sie damit Gesamtfahrzeugkompetenz?
Nein. Das bedienen wir nicht. Derzeit sondieren wir, ob es sinnvolle Partnerschaften mit anderen Engineering-Unternehmen für uns gibt, um bei solchen Projekten ins Geschäft zu kommen. Wir versprechen uns auch viel von Themen wie Data Analytics, Data Science und vor allem Cybersecurity, die im Bereich unserer Schwesterfirma Cyoss GmbH angesiedelt sind. Wir bieten damit unseren Kunden eine hoch interessante und in dieser Form einzigartige Kombination aus Elektrik/Elektronik, IT sowie Data- und Cybersecurity.
Wäre es für Sie nicht besser, wenn den Bereich Cybersecurity direkt im Bereich Mobility angesiedelt wäre?
Das ist nicht notwendig. Durch meine Rolle als Geschäftsführer in der ESG-Gruppe habe ich ja quasi auch Zugriff auf Cyoss. Zudem stammt das Kundenklientel im Bereich Cybersecurity nicht nur aus dem Automotive-Umfeld. Cyoss soll deshalb separat am Markt stehen. Wir sind im Grunde der Vertriebskanal für unser Schwesterunternehmen im Bereich Automotive und profitieren dabei auch von der querschnittlichen Positionierung von Cyoss.
Wie verändert sich das Geschäft mit Entwicklungsdienstleistungen?
Das klassische Entwicklungsdienstleistergeschäft funktioniert so, dass der Kunde ein Problem hat und dafür Unterstützung bei dessen Lösung und der Umsetzung sucht. Die Intellectual Property oder kurz IP-Rechte bleiben beim Kunden. Cyoss bietet jetzt schon eigene Softwareprodukte mit eigener IP, die den Kunden angeboten werden. Das wird für Engineering-Dienstleister das Thema der Zukunft sein und das wollen auch wir in unserem Automotive-Bereich einführen. Wir fragen teilweise heute schon unsere Kunden, ob das, was wir für sie entwickeln nicht sogar durch uns mitfinanziert werden kann. Dann würden die IP-Rechte aber nicht beim Kunden bleiben, sondern wir könnten die Lösungen auch an andere Kunden vermarkten. Es kann einen erheblichen Kosteneffekt bedeuten, wenn wir einmal entwickelte Lösungen mehreren Kunden anbieten können. Wir haben also mehrere tragfähige Konzepte: Zum einen betreiben wir unser klassisches Geschäft als Entwicklungsdienstleister, zum anderen bauen wir eine Domainstruktur auf, mit der wir ganz gezielt eigene skalierbare Produkte entwickeln und anbieten.
Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?
Denken Sie beispielsweise an die Vielfalt von Funktionen innerhalb von Assistenzsystem, bei deren Entwicklung auch die ESG Mobility immer wieder maßgeblich beteiligt ist. Dort bietet es sich in manchem Fall durchaus an, diese einvernehmlich mit dem OEM für ein halbes oder ein Jahr wettbewerbsdifferenzierend – exklusiv – für einen Kunden zu entwickeln und die Funktion anschließend auch an andere Kunden zu verkaufen und in die jeweilige Fahrzeugarchitektur zu integrieren.
Das bedeutet eine stärkere Entkoppelung von Hard- und Software?
Ja, das wird kommen. Vereinfacht gesagt, wollen die Fahrzeughersteller in den neuen Fahrzeuggenerationen nur noch fünf oder sechs Rechner im Auto haben und darauf Funktionen aufspielen. Diese Funktionen müssen sich dann updaten und erweitern lassen. Also quasi eine völlige Entkoppelung von Hard- und Software. Wir bekommen von den Fahrzeugherstellern Signale, dass man sich die ESG Mobility als Partner vorstellen kann, der gewisse Funktionen im Fahrzeug als lizensierte Software anbietet. Es bleiben dann immer noch Funktionen, auf die wir keinen Zugriff haben, weil der OEM diese als wettbewerbsdifferenzierend sieht. Aber es gibt genügend Funktionen im Auto, die sich der OEM mit anderen teilen kann.
Welche Kostenersparnis bringt das?
Das hängt natürlich stark davon ab, wie viel gemeinsame Software die Kunden zulassen. Ich halte eine Kostenersparnis in Höhe von 30 bis 50 Prozent für möglich.
Die ESG Mobility gehört nicht zu den großen Spielern unter den Entwicklungsdienstleistern. Brauchen Sie einen deutlich größeren Umsatz zum Überleben?
Nein. Wir sehen uns eher als Technologieberater und sind daher zunächst nicht so sehr auf Größe angewiesen. Wir erreichen in Deutschland überdurchschnittliche Umsätze pro Mitarbeiter – und das, ohne viel Hardware vorhalten zu müssen. Wir können uns im Wettbewerbsumfeld gut sehen lassen. Aber es gibt natürlich auch Bereiche, wo wir stärker unter Kostendruck stehen. Daher investieren wir auch gezielt in neue Partnerschaften im In- und Ausland.
Aber Sie verfügen schon über Standorte in China und in den USA....
Ja, aber im Grunde machen unsere Tochtergesellschaften in Detroit und Shanghai erst einmal ihr eigenes Geschäft. Entsprechend zielgerichtet und punktuell ist die operative Interaktion mit der ESG Mobility in Deutschland. Woran wir aktuell daher auch arbeiten ist die Anbindung an Best-Cost-Standorte. Hier wollen wir uns strukturell künftig noch besser positionieren.
An welche Länder denken Sie?
Ich war kürzlich bei einem Lieferanten in Griechenland. Hochinteressant. Da ist Know-how vorhanden, da gibt es Hochschulen, aber da gibt es keine Industrie, die das Wissen nachfragt. Ein Uni-Absolvent verdient dort deutlich weniger als in Deutschland oder anderen Ländern Mittel-Europas. Gleichzeitig sind sie hochmotivierte Ingenieure, die in ihrer Heimat zeigen wollen, was sie können. Auch andere südeuropäische Länder wie Spanien oder Portugal sind in dieser Hinsicht interessant. Indien ist natürlich ein Klassiker, wenn es um das IT-Umfeld geht und Ost-Europa bietet den Vorteil der Nähe.
Wollen Sie weiter zukaufen?
Auf jeden Fall. Wir schauen uns relativ intensiv die Szene der kleinen Start-ups an.
Die ESG Mobility ist im Bereich E-Mobilität wie auch Connected Car und autonomes Fahren unterwegs. Ein breites Spektrum. Wollen Sie bestimmte Schwerpunkte setzen?
Den Schwerpunkt setzen wir bei den Themen Konnektivität und hoch autonomes Fahren, weil wir dort auch eine starke Verbindung zu Cyoss sehen. Das sind die Themen Datenanalyse, künstliche Intelligenz und Cybersecurity. Ein dritter Schwerpunkt wäre für die ESG des Guten zu viel. Dafür müssten wir größer sein oder einen größeren Zukauf tätigen. Im Bereich Konnektivität sehe ich gute Chancen für eigene Produkte, sogar im Endkundenbereich. Beim hoch autonomen Fahren gibt es für uns gute Möglichkeiten mit Entwicklungen beim Testing und der Absicherung.
Ist ein Börsengang ein Thema für die ESG?
Das möchte ich nicht beantworten, weil ich nicht in der Gesellschafterrolle bin. Akut ist das kein Thema. Es ist kein Bedarf da, dass wir uns jetzt Fremdkapital besorgen müssten.
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