Herr Lange, wie fällt ihr Resümee ein halbes Jahr nach dem Start in Rüsselsheim aus?
Unser Betriebsstart im September ist gelungen. Wir arbeiten an interessanten und anspruchsvollen Projekten mit einem breiten Spektrum von Engineering und Testing mit einer Mannschaft von rund 1100 Mitarbeitern in Deutschland.
Ursprünglich geplant waren etwa 2000 Mitarbeiter. Ist das ein Problem?
Nein, dass nicht die volle Mannschaft zu uns gefunden hat, sondern nur etwa die Hälfte, hat auch Vorteile, weil wir uns in einem kleineren Maßstab auf die laufenden Projekte fokussieren und unsere Prozesse entsprechend entwickeln konnten. Heute sind wir gut aufgestellt und eingeschwungen.
Wie geht es jetzt weiter bei Segula?
Unsere wesentliche Aufgabe besteht jetzt darin, dass wir uns am Markt etablieren. Die Mannschaft ist durch Aufträge von Opel/PSA aktuell gut ausgelastet. Wir erhalten aber auch regelmäßig Anfragen von anderen Fahrzeugherstellern und Zulieferern. Wir wollen zwar weiter wachsen, müssen das aber nicht um jeden Preis. Aufgrund der von Opel/PSA übernommen Anlagen und Einrichtungen verfügen wir über hinreichend Kapazität. Wir sind nicht nur an den Standorten Rüsselsheim und Rodgau-Dudenhofen vertreten, sondern verfügen auch über weitere Standorte in München, Köln und im Stuttgarter Raum. Kürzlich haben wir einen Standort in Chemnitz eröffnet, wo wir uns mit Schienenfahrzeugtechnik befassen. Das ist ein Feld, das wir weiter entwickeln wollen.
Welche Verteilung zwischen Opel/PSA und anderen Kunden streben Sie an?
Es gibt keine Quotierung und keine Begrenzung. Wir wollen möglichst viele Standbeine entwickeln. Derzeit sind wir mit den Aufträgen von Opel/PSA und für General Motors gut ausgelastet. Die Auslastung wird dann über die nächsten Jahre zwei bis drei Jahre sukzessive abklingen. Ich würde mich natürlich freuen, wenn unser strategischer Partner PSA/Opel, insbesondere unser guter Nachbar Opel, auf lange Sicht auch weiterhin ein wichtiger Kunde für uns sein wird. Aber wir sind natürlich auch mit anderen Fahrzeugherstellern im Gespräch.
Können Sie das konkretisieren?
Das sind mehr oder weniger alle bekannten großen deutschen Hersteller, aber auch die hier im Rhein-Main-Gebiet ansässigen asiatischen Importeure, also japanische, chinesische und koreanische Fahrzeughersteller. Und wir wollen uns natürlich auch bei Tier 1 Lieferanten und in anderen Sektoren entwickeln.
Welche Bereiche sind das?
Segula beschäftigt weltweit 13.000 Mitarbeitern in über 30 Ländern an 140 Standorten. Rund 60 Prozent unseres Umsatzes entfällt auf den Bereich Automotive. Die restlichen 40 Prozent entfallen auf die Sektoren Luftfahrt, Schiene, Schiffsbau, Öl und Gas bis hin zu Pharmazie und Medizintechnik. In Deutschland liegt der Fokus auf Automotive. Aber auch innerhalb unserer Automobilkompetenz wollen wir das Geschäft für andere Industriezweige öffnen. Wir haben beispielsweise eine Schlittentestanlage, um Kollisionen untersuchen zu können. Dabei können wir nicht nur die Auswirkungen auf komplette Fahrzeuge, sondern auch Baugruppen und Komponenten betrachten. Das kann auch für andere Sektoren von Interesse sein.
Was für Automotivekompetenzen werden bei Ihnen vor allem nachgefragt?
Auf großes Interesse stößt vor allem die Möglichkeit, auf unserer Teststrecke in Rodgau-Dudenhofen Fahrversuche und Validierungen durchführen zu können. Wir verstehen uns als Generalentwickler. Unsere Kompetenzen liegen neben der Fahrzeugentwicklung und -erprobung vor allem auf Seiten der Antriebsentwicklung und -erprobung. Wir können beispielsweise eine Motorenfamilie entwickeln, bieten aber auch Kompetenzen in Sachen Abgas- und Emmisonsmessung, alternative Brennstoffe bis hin zu Hybriden und batterieelektrischen Fahrzeugen.
Sie haben insgesamt mehr Fläche und Gebäude zur Verfügung als Sie brauchen. Wie wollen sie diese auslasten?
Wir verfolgen von Anfang an einen Campus Gedanken und wollen gerne kleinere Unternehmen oder Start-ups aus angrenzenden technologischen Bereichen aufnehmen. Unsere Nähe zum Flughafen Frankfurt, der gute S-Bahn-Anschluss und die günstige Kostenstruktur der Region sind durchaus ein Standortvorteil in der Mitte von Deutschland.
Erhalten Sie jetzt in den Coronazeiten von ihren Kunden mehr Anfragen, weil diese stärker ihre eigenen Entwicklungsabteilungen zurückfahren?
Wir sind aktuell im Krisenmodus und haben es geschafft, die laufenden Aufträgen und Projekte weiterhin zu bearbeiten. Da bin ich stolz auf die Mannschaft. Wenn Kunden Projekte zeitlich schieben oder Umfänge reduzieren, müssen wir uns als Dienstleister entsprechend darauf einstellen. Solange wir unsere logistischen Prozesse aufrechterhalten können und wir die Motoren und Fahrzeuge zum Prüfen bekommen, werden wir auch weiterhin für unsere Kunden da sein und die entsprechenden Aufgaben ausführen.
In welchen Bereichen wollen Sie wachsen?
Vor allem in den Feldern Embedded Systems und Fertigungs- und Prozessengineering. Viele kennen Segula aus den Bereichen Fahrzeugentwicklung und -erprobung. Wir kümmern uns aber auch um Produktionsplanung und Industrialisierung. Also die ganze Arbeitsvorbereitung bis hin zum Planen von Fertigungsstraßen und Produktionsanlagen und -einrichtungen.
Wann rechnen Sie damit profitabel zu sein?
Erst einmal wollen wir wettbewerbsfähig sein. Ich denke, das ist eine notwendige Voraussetzung um sich am Markt zu etablieren und zu wachsen. Dann müssen wir unsere Kostenstruktur so aufsetzen, dass wir am Markt erfolgreich partizipieren können. Es ist bekannt, dass die Margen bei den Entwicklungsdienstleistern nicht in den Himmel wachsen. Das wird sicher nicht im ersten Jahr mit der vorhandenen Auslastung geschehen. Dazu müssen wir weiter wachsen und auch neue Kunden für uns gewinnen. Für diesen Übergang nehmen wir uns zwei bis drei Jahre Zeit. Wir sind dabei nicht direkt abhängig von den verkauften Stückzahlen der Fahrzeughersteller.
Können Sie das erläutern?
Bei der Engineeringdienstleistung sind Entwicklung und Erprobung nicht unmittelbar an die Stückzahl der produzierten Fahrzeuge oder an die Anzahl der verkauften Autos im Markt gekoppelt, sondern eher an die Vielfalt und Komplexität der unterschiedlichen Portfolios unserer Kunden und natürlich auch an der Anzahl der Fahrzeughersteller. In den vergangenen Jahren sind viele neue Spieler auf den Markt gekommen, die eigene Fahrzeuge entwickeln, planen oder konzipieren. Diese Unternehmen sind als potenzielle Kunden für einen Generalentwickler wie Segula von Interesse. Für uns ist eher wichtig, wie sich die Komplexität weiterentwickelt.
Was meinen Sie damit?
Wir denken über alternative Kraftstoffe genauso nach wie über die verschiedenen Antriebstechnologien. Die Vernetzung der Fahrzeuge wird weiter fortschreiten und auch dafür werden Engineeringlösungen benötigt mit der entsprechenden Validierung, Erprobung und Umsetzung. Wir sind nicht so sehr auf die Suche nach der neuesten Technologie, sondern eher auf die Integration dieser Lösungen und Technologien in das Gesamtkonzept spezialisiert. Es muss auch in Zukunft jemanden geben, der ein Fahrzeug konzipieren kann mit Fahrwerk, den verschiedenen Interieur- und Exterieurlösungen und all dem, was zu einem kompletten Fahrzeuggesamtsystem bis hin zur Erprobung und Zulassung dazugehört.
Vor welchen Herausforderungen sehen Sie die Branche der Entwicklungsdienstleister?
Die Arbeitsteilung zwischen Fahrzeugherstellern und Entwicklungsdienstleistern wird sich weiter ausprägen. Die Entwicklungsumfänge der Dienstleister werden weltweit weiter zunehmen. Wenn sich die Fahrzeughersteller mehr in Richtung Anbieter von Mobilitätslösungen entwickeln, wird sich der Anteil an der Gesamtfahrzeugentwicklung mehr in Richtung der Engineeringunternehmen verschieben. Auch wenn sich batterieelektrische Fahrzeuge einen zunehmenden Marktanteil erobern, werden sie den Verbrennungsmotor auf lange Sicht nicht ersetzen. Und wir werden hybride Systeme sehen, nicht nur in der Kombination von Batterie und Verbrennungsmotor, sondern auch zwischen Batterie und Brennstoffzelle. Auch auf dem Feld der alternativen Kraftstoffe engagieren wir uns stark.
Wollen Sie auch zukaufen?
Die Branche befindet sich in einer gewissen Konsolidierung. Da wird sich für uns noch die eine oder andere Möglichkeit zur strategischen Vergrößerung ergeben. Da sind wir mit offenen Augen unterwegs.
Würden Sie eher Umsatz oder gezielt Technologie kaufen?
Das eine schließt das andere nicht aus. Nur Größe an sich ist nicht hilfreich. Wir müssen in der Lage sein, das gesamte Portfolio anzubieten und da würden wir sicherlich auch auf die Technologie schauen. Am Ende muss es passen.
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