Herr Lenke, warum hat sich die Unternehmensführung von Nuance dazu entschlossen, die Automobilsparte abzustoßen?
Nuance-CEO Mark Benjamin wollte die Firmenstruktur von Nuance vereinfachen. Sie war sehr kompliziert aufgebaut, weil immer neue Bereiche entstanden sind, weil das Thema Sprachsteuerung für jede Branche in irgendeiner Weise relevant geworden ist. So auch in der Automobilindustrie. Hier sind wir in den vergangenen Jahren sehr schnell gewachsen, weshalb es sinnvoll ist, den Bereich eigenständig weiterzuführen.
Gab es noch andere Gründe?
Als Teil von Nuance konnten wir nicht so wachsen, wie wir es uns vielleicht erhofft hatten und waren gehemmt, weil wir nicht so in unsere Produkte, die Entwicklung und Forschung investieren konnten, wie wir es uns gewünscht hätten. Durch die Unabhängigkeit, die wir jetzt erlangt haben, können wir alles, was wir verdienen, selbst reinvestieren.
Das war damals nicht so?
Nuance musste Prioritäten setzen und hat vermehrt in Bereiche wie das Gesundheitswesen investiert – nicht, wie wir es uns vielleicht gewünscht hätten, in die Grundlagenforschung und Entwicklung für den Automobilsektor. Denn Sprachsteuerung ist nicht gleich Sprachsteuerung. Es gibt für jede Branche andere Anforderungen, andere Normen – einfach etwas anderes, was es zu berücksichtigen gilt. Jetzt können wir nicht nur selbst alles, was wir verdienen, reinvestieren, sondern sind am Nasdaq gelistet, haben also direkten Zugang zum Kapitalmarkt und können so eigenständig wachsen.
Spielt Nuance künftig noch eine Rolle bei Cerence?
Nein, Nuance besitzt keine Anteile und hat keinerlei Durchgriff auf Cerence. Wir sind komplett eigenständig und fokussieren uns voll auf den Bereich Automotive.
Wo wird Cerence künftig sitzen?
Wir haben 1400 Angestellte insgesamt und sitzen weiterhin in der Nähe von Boston. Davon sitzen 400 Mitarbeiter von Cerence in Deutschland - sie sitzen in Aachen und Ulm.
Ihre Konkurrenten sind die ganz Großen. Apple, Amazon und Google bieten ebenfalls Sprachsteuerung fürs Auto an. Was ist ihre Strategie um gegen die Konkurrenz bestehen zu können?
Wir haben sind dabei, neue Geschäftsmodelle und Services zu etablieren. Derzeit ist es so, dass Autohersteller unsere Software einsetzen und pro Lizenzierung im Fahrzeug bezahlen.
Künftig wollen wir uns noch mehr auf unser Cloud-Geschäft fokussieren, und womöglich Sprachsteuerungssoftware dort als ein sogenanntes "Abo-Modell" anbieten. Außerdem entwickeln wir Geschäftsmodelle, die Sprachsteuerung für selbstfahrende Autos oder Carsharing-Fahrzeuge entwickelt wird - also, dass sich Kunden per Sprache und nicht über die App identifizieren, das Auto an der Straße ansprechen können und fragen können: "Bist du frei, fährst du mich nach Hause?". Denn die Kommunikation hört nicht auf, wenn die Passagiere aus dem Auto aussteigen, sondern beginnt weit davor.
Herr Lenke, Danke für das Gespräch.
Über Cerence: Für das Jahr 2019 erwartet Cerence einen Umsatz von 310 Millionen Dollar. Im Jahr 2017, also der Automobilbereich noch Teil von Nuance war, hatte der Umsatz noch bei 398 Millionen gelegen. Unter anderem erhoffe man sich durch den direkten Zugang zum Kapitalmarkt schnelles Wachstum. Geht es nach Cerence-Vorstand Sanjay Dhawan, soll Cerence bis 2025 ähnlich wie der Markt um bis zu 40 Prozent zulegen.
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