Herr Delius, vor der Corona-Krise bestand Ihre Aufgabe darin, die Lieferkette sicherzustellen. Dann kam die vorübergehende Schließung der Werke, nun soll alles wieder hochgefahren werden. Was ist nun Ihre größte Herausforderung?
Momentan ist Supply Chain Management, unsere Logistik, eine Herausforderung. Die Situation ist hochdynamisch; die Informationen, mit denen wir arbeiten müssen, sind manchmal vage. Vieles wird durch länderspezifische Regularien eingeschränkt: Transport, Reise bis hin zu Ausgangsbeschränkungen. In unserer hochvernetzten Welt erfordert das genaue Planung und gleichzeitig viel Flexibilität. Für mich ist die größte Herausforderung in dieser Situation, die Materialversorgung sicherzustellen.
Worin liegen hier die Schwierigkeiten?
Wir beliefern zirka 80 unterschiedliche Automobilhersteller. Dafür beziehen wir weltweit Material von fast 4000 Lieferanten. Als die Automobilhersteller begannen, ihre Werke runterzufahren, schlug das wie bei einem Dominospiel auf die gesamte Lieferkette durch. Jetzt ist unsere gemeinsame Aufgabe, wieder anzulaufen. Die Herausforderung liegt in den verschiedenen Länderregularien, wie dieses Hochfahren aussehen soll. Man muss herausfinden, welche Lieferanten ab wann theoretisch wieder liefern könnten und so die Kette rückwärts wieder bis zum Kunden hochspielen. Dann kann der Kunde eine Planung aufsetzen, ab wann er die Werke wieder zum Laufen bringen kann.
Die ganze Branche muss also gemeinsam anlaufen. Wer koordiniert das?
In Deutschland gibt es beispielsweise den Verband Deutscher Automobilzulieferer, der wöchentlich sowohl Automobilhersteller als auch die Zulieferer wie uns einlädt. Dort wird ausgetauscht, welche Anforderungen es gibt und wie wir uns noch besser gegenseitig mit Daten versorgen können. Seit Ende April fahren die Benteler-Werke wieder hoch, weil die Kunden in Europa in der Lage sind, zumindest für die nächsten zwei bis drei Wochen abzuschätzen, wie sie produzieren wollen. In Amerika ist das noch nicht der Fall. Die Automobilindustrie ist dort stark von den Zulieferern in Mexiko abhängig. In Mexiko ist jedoch gerade die Produktion vorübergehend gestoppt, weil sich der Coronavirus dort derzeit noch dynamisch verbreitet. Auch bei uns in Deutschland kann es jederzeit bei steigenden Infiziertenzahlen wieder zu strengeren Maßnahmen kommen, von Grenzschließungen bis zur vorübergehenden Schließung von Produktionsstätten.
Wie kann man dennoch die Lieferkette sicherstellen?
Wenn wir einen Engpass bei bestimmten Materialien erwarten, stehen uns mehrere Möglichkeiten offen. Wir haben häufig Plattformprodukte, die global produziert werden – das kann in einem unserer Werke in Europa genauso hergestellt werden wie in China. Wir liefern uns gegebenenfalls also selber zu. Oder wir versuchen gemeinsam mit dem Kunden Lösungen zu finden. Etwa, dass sich mit seiner Unterstützung für unseren Einkauf neue Lieferanten auftun. Oft beziehen wir Material nicht nur von einem Lieferanten – fällt einer aus, können wir versuchen, das über andere abzufedern.
Wie lange wird es dauern, bis die Produktion wieder normal läuft?
Unsere Kunden in Europa planen in den kommenden sechs Wochen den Hochlauf und wollen im Sommer wieder auf Vorkrisen-Niveau produzieren. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Durch das Herunterfahren des öffentlichen Lebens ist die Nachfrage zurückgegangen. Noch können die Automobilhersteller die Produktion nicht so hochfahren, wie sie diese vor ein paar Wochen runtergefahren haben, denn es müssen sämtliche Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter gewährleistet werden. Es ist ein sehr volatiles Umfeld, was die Kundenabfragen angeht. Aber ich rechne damit, dass wir Ende Juni ein stabiles Niveau erreichen werden.
Was sind Ihre Lehren aus Sicht des Supply Chain Management aus der Krise?
Kommunikation ist in solchen Zeiten noch wichtiger als sonst. Unseren Kunden bin ich dankbar für die Transparenz und Offenheit, mit der wir uns gemeinsam Herausforderungen stellen. Intern sprechen wir derzeit täglich mit den Werken, die Werke mit der Region, die Region mit uns als Corporate Function. In der Matrix sind alle mit dem Einkauf und den Business Units in Kontakt. Alle müssen Bescheid wissen, damit wir abgestimmt entscheiden können, wann wir wo wie handeln. Das gilt auch für die höchste Ebene. Bereits seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es regelmäßige Treffen, wo sich unser CEO Ralf Göttel, die Geschäftsführung der Division Automotive sowie die Executive Vice Presidents der Business Units und Regionen austauschen. Zuerst täglich, jetzt noch zwei Mal pro Woche.
All das klingt nach sehr viel Arbeit.
Meine Tage sind momentan lang. Aber damit bin ich nicht alleine. Was die Regionen und Werke derzeit reißen, ist ein gigantischer Akt. Und wenn ich sehe, mit wieviel Einsatz die Kollegen der anderen Abteilungen daran arbeiten, alles wieder hochzufahren, bin ich sicher, dass wir das schaffen.
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