Herr Porth, zum Halbjahr hat die Mitarbeiterzahl von Daimler erstmals die Schwelle von 300.000 überschritten.
Darauf wurde ich kürzlich schon angesprochen. Für mich ist das gar nicht so bedeutsam.
Immerhin waren das knapp 10.000 Mitarbeiter mehr als Ende 2017. In welchen Bereichen haben Sie hauptsächlich eingestellt?
Dabei geht es hauptsächlich um 4800 zusätzliche Ferienarbeiter in Deutschland. Der Rest war ein Aufbau in den Werken wie im spanischen Vitoria und im ungarischen Kecskemet. Wegen der hohen Nachfrage nach Lkw haben wir bei Freightliner in den USA und Bharat Benz in Indien aufgestockt, dazu kommt unser neues Sprinter-Werk in Charleston.
Wird die 300.000-Marke damit dauerhaft geknackt?
Nein, ich könnte mir vorstellen, dass wir ohne die Ferienarbeiter am Ende des Jahres wieder darunter liegen.
Wie schwer ist es, für die Zukunftsfelder wie Elektromobilität oder automatisiertes Fahren noch Mitarbeiter zu finden?
Wir stehen vergleichsweise gut da, weil wir sehr international aufgestellt und mit der starken Marke Mercedes-Benz weltweit ein attraktiver Arbeitgeber sind. Wir haben Hubs in Lissabon, Tel Aviv, im Silicon Valley und Berlin errichtet, wo wir solche Fachleute leichter finden. Wir gehen bei der Bewerbersuche neue Wege, veranstalten zum Beispiel Jobmessen im Netz. Außerdem gibt es derzeit wohl nur wenige Branchen, die spannender sind als die Autoindustrie: Viele wollen dabei sein, wenn das Automobil neu erfunden wird. Aber natürlich ist der Fachkräftemangel auch in unserer Branche da. Manche Lieferanten bekommen das deutlicher zu spüren, die müssen richtig kämpfen.
Was muss passieren, um den Fachkräftemangel in Deutschland zu beheben?
Das Bildungssystem hier muss sich komplett umstellen. Das geht schon in den Kindergärten und Grundschulen los, wo es den Erziehern und Lehrern an Voraussetzungen fehlt. Sie sind weder in Technik-Fächern ausgebildet noch haben viele eine Affinität dazu. Statt erster wichtiger Impulse werden die klassischen Rollenbilder gepflegt. Wenn die Kinder dann an weiterführende Schulen kommen, sind sie entsprechend vorgeprägt und scheuen später technische Studiengänge.
Wie lässt sich das ändern?
Wir müssen die Technologie zu einem festen Bestandteil attraktiver Ausbildungsangebote machen. Wir haben der Landespolitik bereits angeboten, einen Bildungspakt zu gründen mit Patenschaften zwischen einzelnen Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Verbänden. Es geht darum, das Wissen um Technologie und neue Berufe früher in die Bildungskette einfließen zu lassen. Wenn ich nach Vietnam oder China schaue, da sind die Kids heiß auf Ingenieursberufe. Bei uns ist das teilweise negativ belegt.
Daimler arbeitet am Kulturwandel, will agiler werden. Wo ist das Unternehmen heute schneller als früher?
In ganz vielen Bereichen. Ein gutes Beispiel für den Kulturwandel ist unser Organigramm, das bisher ganz klassisch und hierarchisch aufgebaut war. Jetzt haben wir eine Möglichkeit gefunden, die Fähigkeiten und Kontakte der Mitarbeiter im Unternehmen darzustellen. Wer kann was, sitzt in welchen Gremien, ist mit wem vernetzt? Wenn wir das wie früher klassisch vorgegeben hätten, wäre dies ein Projekt für 100 Millionen Euro und fünf Jahre Laufzeit gewesen. So hat es nur wenige Wochen von der Idee bis zur Umsetzung gedauert.
Ziehen da alle Mitarbeiter mit?
Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir dort, wo wir hinwollten. Ich muss aber auch nach den Grundvoraussetzungen unterscheiden. Die sind in der Produktion am Band sicher anders als bei Mobilitätsdiensten wie myTaxi. Letztlich ist es ein nachhaltiger Prozess. Wir wollen den Mitarbeitern zeigen, dass Veränderungen in der Zusammenarbeit zu besseren Ergebnissen für alle führen.
Zum Kulturwandel gehört auch die Erhöhung des Frauenanteils. Wo steht Daimler da?
Unser Ziel von 20 Prozent bis 2020 werden wir erreichen, wir sind hier voll im Plan. In den unteren Führungsebenen liegen wir zum Teil sogar schon darüber. Diversity ist für uns ein Wettbewerbsvorteil und wir fördern Vielfalt aktiv. Es hat keinen Sinn, wenn der Gesetzgeber dies von oben verordnet.
Was bedeutet die neue Konzernstruktur mit den drei Divisionen Pkw, Trucks und Mobility für die Mitarbeiter?
Für die Mitarbeiter ändert sich eigentlich nichts. Die Auswirkungen sind äußerst gering, denn wir arbeiten ja schon längst in diesen Strukturen. Jetzt bilden wir das auch gesellschaftsrechtlich ab. Wenn Mitarbeiter tatsächlich in eine neue Abteilung umziehen müssen, dann unabhängig von der neuen Struktur, sondern wegen verbesserter Arbeitsabläufe. Neu ist, dass viele Mitarbeiter keinen Vertrag mehr mit der Daimler AG haben werden, sondern mit der Mercedes-Benz AG oder der Truck AG. Es ein Betriebsübergang, der in solchen Fällen üblich ist.
Können Mitarbeiter dem auch widersprechen?
Ja, dann verbleibt dieser Mitarbeiter in der Daimler AG. Er kann dann in die neue Gesellschaft verliehen werden. Wir rechnen aber nicht mit viel Widerspruch, denn die Konditionen bleiben ja genau gleich. Und wir haben im Vorfeld alles gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern besprochen und uns geeinigt.
Die Elektromobilität wird in Zukunft viele Jobs kosten. Reagieren Sie schon heute darauf?
Im Moment sind wir sehr gut ausgelastet, um die große Nachfrage zu bedienen. In den nächsten Jahren werden wir außerdem noch einen signifikanten Anteil an traditionellen Technologien haben. Es handelt sich also um eine längere Phase des Übergangs, die sich gut planen lässt. In den nächsten Jahren werden außerdem überproportional viele Mitarbeiter in Rente gehen. Die brauchen wir beispielsweise nicht mehr umzuschulen. Und wir können einen geringeren Bedarf auch über die Fluktuation ausgleichen.
Von der Arbeitnehmerseite gibt es durchaus das Bestreben, in diesem Fall weitere Tätigkeiten in der Wertschöpfungskette zu holen.
Der Betriebsrat will natürlich möglichst viele Mitarbeiter haben. Wir als Unternehmen müssen alle Faktoren berücksichtigen. Diese Balance haben wir bisher ganz gut hingekriegt, indem wir zum Beispiel in Untertürkheim oder Sindelfingen neue Batteriefertigungen ansiedeln. In der Summe wird es aber ganz langfristig gesehen in der Motoren- und Getriebeproduktion weniger Arbeitsplätze geben, weil die Arbeitsinhalte bei Elektroautos schlicht weniger sind. Das gilt aber nicht für die Montagewerke. Und zudem haben wir auch Wachstumsziele, die wir verfolgen.
Wird die Zahl der Konzernmitarbeiter also bald zurückgehen?
Wenn man die Elektromobilität und Digitalisierung einzeln anschaut, dann wird es sicher weniger. Ob sich das auch insgesamt niederschlägt, ist noch nicht absehbar.
Auch die Digitalisierung dürfte zusätzlich Stellen kosten, oder?
In den Fabriken haben wir eher den Effekt, dass wir wegen der Flexibilität Automatisierung rausnehmen. Dort wird nicht der große Hebel sein. Den sehe ich eher in den indirekten Bereichen, weil dort das Thema Digitalisierung noch nicht so angekommen ist wie in den Werken. In Verwaltungsbereichen wie Entwicklung, Personal, Finanzen oder Recht werden wir Effekte haben, die zu weniger Beschäftigung führen. Beispielsweise mussten früher Arbeitsverträge von Rechtsanwälten überprüft werden. Das geht heute über einen Algorithmus automatisch.
Im jüngsten Tarifvertrag wurde verschiedenen Gruppen erstmals die Möglichkeit eingeräumt, zwischen Lohnerhöhung und mehr Freizeit zu wählen. Glaubt man dem Betriebsrat, ist die Nachfrage hoch. Lässt sich das ausgleichen?
Es ist ja ganz klar Bedingung, dass dem Unternehmen durch die Regelung keine Kapazität verloren gehen darf. Wenn wir die Anträge auf dem Tisch haben, werden wir schauen, wie wir wegfallende Kapazitäten intern kostenneutral ausgleichen können. Wenn der Betriebsrat diese Bedingung nicht erfüllen kann, werden wir ablehnen müssen. Das werden spannende Diskussionen.
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