In vielen deutschen Städten wurden bereits Fahrverbote angeordnet oder drohen noch. Köln, Frankfurt, Stuttgart - zuletzt wurde in Essen über die Ausgrenzung von älteren Diesel-Fahrzeugen geurteilt, sogar auf einem Autobahn-Teilstück.
40 Mikrogramm Stickoxid sind erlaubt, wird der Grenzwert überschritten, drohen Fahrverbote. So das einfache Prozedere. Was aber, wenn nicht korrekt gemessen wurde?
Dieser Verdacht drängt sich nun zunehmend auf. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S) ist der Sache nachgegangen. Ergebnis:
"In Berlin an der Silbersteinstraße, in Mainz an der Parcusstraße, in Essen an der Steeler Straße, in Frankfurt in der Straße Am Erlenbruch und an vielen anderen Orten wird näher an der Kreuzung gemessen als vorgesehen", schreibt die F.A.S.
Dort würden die von der Europäischen Union vorgeschriebenen Richtlinien nicht eingehalten. Diese besagen, dass die Luftqualität in mindestens 25 Metern Entfernung von der nächsten verkehrsreichen Kreuzung gemessen werden muss.
Das Blatt zitiert den Umweltanwalt Hans-Jürgen Müggenborg, der dem zuständigen Ausschuss im Deutschen Anwaltverein vorsitzt und an den Universitäten in Aachen und Kassel lehrt, zu den Messstellen an der Wiesbadener Ringkirche: „Sicher eine falsche Positionierung“, und zur Messstation am Münchener Stachus: „Da sieht man auf den ersten Blick, dass das zu nah ist.“
Die Krux an der Sache: Europarecht und deutsches Umweltrecht widersprechen sich. In Deutschland ist der Vollzug des Umweltrechts ganz überwiegend Ländersache. Während die deutschen Umweltämter dort messen, wo die Belastung am höchsten ist, fordert die EU-Richtlinie nur den höchsten Wert an einem Ort, an dem die Menschen einen „signifikanten Zeitraum“ verbringen.
Das Umweltbundesamt gesteht auf seiner Website ein: „Einige ältere Messstationen können von den Kriterien abweichen, da diese bereits lange vor der jetzigen Rechtsprechung aufgestellt wurden.“
Andere Ämter geben an, deshalb weitere, den EU-Richtlinien entsprechende Stationen aufgestellt zu haben und nur deren Werte nach Brüssel zu melden.
Ob und in wie weit die nicht korrekt aufgestellten Messstationen taugen, die aktuellen und drohenden Fahrverbote noch zu kippen, ist völlig offen. Dass viele Messstationen nicht EU-Regel-konform aufgestellt sind, dessen ist sich die Bundesregierung schon lange bewusst.
Bereits im April haben die Verkehrsminister von Bund und Ländern beschlossen, die Standorte der deutschen Messstationen systematisch überprüfen zu lassen. Damit beauftragt wurde der Deutsche Wetterdienst. Laut Bericht der FAS geht die Prüfung in Nordrhein-Westfalen auch voran, andernorts gebe es allerdings Widerstand.
So sperren sich unter anderem auch die Verkehrsministerien in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen und Hessen. Dort regieren Minister der Partei Die Grünen. Sie „wenden sich gegen eine Instrumentalisierung der Debatte um Messstellen und sprechen sich deutlich dafür aus, den Fokus auf die wirksamen Maßnahmen zur Reduktion der Luftbelastung zu legen“, heißt es in einer nicht öffentlichen Protokollerklärung, die der F.A.S. vorliegt.
Auf einem ganz anderen Blatt steht zudem, ob die Grenzwerte von 40 Mikrogramm geeignet sind, die Belastung für die Bewohner zu spiegeln.
Bisher hat diese Debatte kaum Einfluss auf die Entscheidungen der Gerichte. Ob es noch einmal soweit kommt? Für die Dieselfahrer, die schon heute nicht mehr wissen, wie sie mit ihrem Fahrzeug noch in die Innenstädte kommen sollen, kommt sie in jedem Fall zu spät.
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