Herr Renschler, welche Impulse erwarten Sie von der Hannoveraner IAA für Nutzfahrzeuge in diesem Jahr?
"Transforming Transportation" ist der gemeinsame Claim aller Marken der Traton Group. Erstmalig sind die Marken MAN, Scania, Caminhőes e Ônibus und Rio bei einer Messe unter einem Dach in Halle 12 vereint. Diese geballte Power brauchen wir, denn die gesamte Transportbranche steht vor massiven Veränderungen. Die Wirtschaft boomt, und es wird weltweit immer mehr transportiert, vor allem auch auf der Straße. Gleichzeitig verändern sich die Erwartungen der Gesellschaft an den Transport und damit auch unserer Kunden an uns: Das anhaltend stark ansteigende Gütervolumen soll noch schneller, sauberer und nachhaltiger transportiert werden. Die Nutzfahrzeughersteller werden auf der IAA zeigen, wie dieser Transport der Zukunft aussehen kann. Die großen Themen heißen: alternative Antriebe und Kraftstoffe sowie die intelligente Vernetzung bis hin zum Fortschritt in Richtung autonomes Fahren. Großes Thema ist daher die Digitalisierung – mit der Vernetzung nicht nur von Fahrzeugeinheiten, sondern auch von Produkten, Güterströmen und allen Logistikpartnern in der Transportkette. Für mich zeigen die Trends der IAA glasklar: Wir sind dabei, uns neu zu erfinden und Transport neu zu denken.
Volkswagen Truck & Bus ist jetzt die Traton Group. Was ist die zentrale Idee hinter dieser Umbenennung?
Wissen Sie, Eltern geben Kindern die Namen, die zu Ihnen passen und die Verwechselungen ausschließen. Traton spiegelt die DNA unserer Gruppe und unserer Marken wieder – Transport, Transformation und Tradition. Der Name unterstreicht unsere Einzigartigkeit und unsere Dynamik. Denn wenn wir in dynamischen Märkten unterwegs sind, dann müssen wir selbst für Wandel stehen und agil arbeiten. Veränderung müssen wir selbst innerhalb der Grupp leben. Unsere Events zur Einführung des neuen Namens an den Standorten in Södertälje, Săo Paulo, Braunschweig und München haben wichtige Impulse gesetzt und gezeigt: Unsere Mitarbeiter sind neugierig auf künftige Entwicklungen. Und klar, nicht zuletzt ist der neue Name ist auch ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Kapitalmarkfähigkeit.
Warum ist der Aspekt der Kapitalmarktfähigkeit so bedeutsam für die von Ihnen geführte Gruppe?
Seit der Gründung unserer Gruppe verfolgen wir ein klares Ziel: Wir wollen ein Global Champion im Truck- und Transportdienstleistungsgeschäft werden. Auf Basis unserer starken Aufstellung bauen wir die Präsenz unserer Marken weiter aus und nutzen unser starkes Netzwerk von strategischen Partnern für den Zugang zu allen relevanten Märkten. Hier sind wir sehr gut unterwegs. Mit der Kapitalmarktfähigkeit gehen wir dabei den nächsten Schritt. Wir benötigen mehr unternehmerische Flexibilität, müssen uns neue Möglichkeiten für die nachhaltige Entwicklung von Traton schaffen. So können wir wichtige Zukunftsinvestitionen besser und schneller angehen.
Im Pkw-Sektor steht der VW-Konzern vor enormen Investitionen, etwa in die E-Mobilität. Welche starken Kostentreiber sind in Ihrem Bereich aktuell zu handhaben – und schon absehbar?
Eines steht für uns fest: Wer jetzt nicht massiv in die Zukunftsthemen Elektrifizierung, Digitalisierung und autonomes Fahren investiert, der verschläft den Wandel. Wer da jetzt nicht vorne dabei ist, den wird es vermutlich schon in einigen Jahren nicht mehr geben. Heutige Kostentreiber stehen für künftige Wertschöpfung. Traton ist vorne dabei! Wir gestalten Zukunftsthemen aktiv mit und machen uns mit unseren Partnerschaften und Innovationen gezielt fit für morgen. Vieles davon wird auf der IAA zu sehen sein.
Wie bedeutsam ist der Trend zur Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen im Geschäft mit Lkw und Bussen, gerade auch bei Rio?
Auch hier: Der Trend zur Digitalisierung ist ein absolutes "Muss", es ist ein fundamentaler Wandel. Wer hier die Zeichen der Zeit nicht erkennt, den überholt der Wettbewerb in naher Zukunft. Wie in nahezu allen Branchen sorgt die Digitalisierung auch in der Transport- und Logistikbranche für große Veränderung. Als Gruppe haben wir bereits mehr als 450.000 vernetzte Lkw auf der Straße. Zusammen mit unserem Partner Navistar vernetzen wir mehr als 900.000 Lkw weltweit. Rio ist dabei Impulsgeber unseres "Connectivity Environments" für die Logistikbranche und ermöglicht neue Dienstleistungen: von der Einsatzanalyse über das Flottenmonitoring bis hin zu Wartungs- und Zustandsdaten einzelner Fahrzeuge. Davon werden alle Akteure profitieren, denn Rio ist offen für alle Marken, was besonders für Kunden mit Mischflotten wichtig ist. Und das ist erst der Anfang – wir haben hier noch viel vor. Die Vernetzung der gesamten Transportkette ist unser langfristiges Ziel.
Was versprechen Sie sich von der Hybridisierung der Antriebsstränge in Lkw und Bussen? Wollen Sie hier vermehrt mit Hino kooperieren?
Wir verfolgen ganz bewusst einen offenen Technologieansatz. Das heißt, wir bieten unseren Kunden den Antrieb an, der ihnen hilft, ihr Geschäft besser zu machen. Das kann ein Verbrenner genauso wie ein Hybrid- oder Elektroantrieb sein. Elektrisch für die letzte Meile in der Stadt. Hybride Antriebsstränge sind eine gute Option im Verteilerverkehr. Für lange Strecken über Land ist nach wir vor der Verbrennungsmotor erste Wahl, aber auch hier arbeiten wir beispielsweise mit dem Scania e-Highway (Scania Hybrid Electric Truck; Anm. d. Red.) an Alternativen für spezifische Einsätze. Auch Hino verfügt hier über umfangreiche Kompetenz, und ich bin sicher, dass sich daraus große Chancen für die Vertiefung unserer Zusammenarbeit ergeben.
Nimmt die Bedeutung von Leichtbau in Nutzfahrzeugen ähnlich schnell zu wie bei Automobilen?
Die Gleichung ist relativ einfach: Weniger Fahrzeug-Leergewicht bedeutet mehr Kapazität für die Ladung, und das heißt mehr Ertrag für den Fuhrunternehmer. Deshalb versteht es sich von selbst, dass heute Leichtbau gerade in der Nutzfahrzeugentwicklung eine Prämisse ist. Allerdings stellt uns diese Entwicklung vor neue Herausforderungen, denn es dürfen keinesfalls die Robustheit und Langzeitqualität der Fahrzeuge darunter leiden.
Wo liegen die besonderen Chancen und Risiken des Konzepts Platooning, etwa für Navistar in den USA?
Platooning ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum vollautonomen Fahren. Grundsätzlich hat Platooning das Potenzial, die Sicherheit des Lkw Verkehrs nachhaltig zu erhöhen und gleichzeitig Verbrauch und Emissionen zu reduzieren. Unsere Marken MAN und Scania sind mit zwei vielversprechenden Pilotprojekten für Platooning auf der Straße: MAN gemeinsam mit DB Schenker in Süddeutschland und Scania gemeinsam mit der großen Spedition Acotral in Spanien. Selbstverständlich profitiert auch Navistar von den Erfahrungen, die wir dabei gewinnen, denn die Herausforderung ist auf dem US-Truckmarkt die gleiche wie in Europa.
Wie kommt das Unternehmen auf Schwellenmärkten voran, etwa in Lateinamerika und auf dem indischen Subkontinent?
Südamerika ist ein sehr wichtiger Markt für uns. Wir sind dort sehr erfolgreich unterwegs. Unsere Gruppe ist in Brasilien führend; 2017 lag unser Marktanteil bei rund 40 Prozent. Zudem sind wir einer der führenden Bushersteller in Südamerika. In Brasilien spüren wir nach einigen herausfordernden Jahren den Turnaround. Im ersten Halbjahr 2018 haben alle unsere Marken erheblich mehr Lkw und Busse in Südamerika abgesetzt – zusammen rund 44 Prozent mehr als im Vorjahr. Der indische Markt ist für alle Hersteller sehr schwierig. Unsere Marke MAN ordnet derzeit ihr Engagement in dieser Region neu. Gleichzeitig werden wir aber die Kompetenz der Mannschaft in diesem Markt nutzen und MAN Trucks India zukünftig verstärkt als Entwicklungsstandort nutzen.
Welche Rolle spielen China und Sinotruk, Ihr Partner aus dem Reich der Mitte, in den Zukunftsplänen Ihres Hauses?
Der chinesische Markt entwickelt sich weiterhin rasant und mit ihm das Transportaufkommen. Gleichzeitig gewinnen Qualität und Effizienz schnell an Bedeutung. Sinotruk ist der größte Hersteller schwerer Lkw in China und hat 2017 ein starkes Umsatzplus von 68 Prozent verzeichnet. Durch die Beteiligung von MAN an Sinotruk arbeiten wir bereits seit vielen Jahren zusammen und kennen einander gut. Gemeinsam gehen wir das Potenzial dieses Riesenmarktes an. Hier sind wir in einer Win-Win Situation und wir werden weiter fokussiert schauen, auf welchen Feldern wir die größten Vorteile für beide Partner erzielen können.
Was kann die Traton Group tun, um für Arbeitskräfte noch attraktiver zu werden?
Mal ehrlich: Welches Großunternehmen vereint schon die Agilität eines Start-ups mit der Stärke solch traditioneller Marken wie MAN und Scania? Attraktiver geht doch nicht. Mit wem kann man sonst ein Global Champion werden? Klar wollen wir ein attraktiver Arbeitgeber sein und neue Talente gewinnen. Auf der IAA werden wir einen Event unter dem Motto "The right people for our mission" veranstalten.
Welche Managementaufgaben für 2018 stehen auf Ihrer persönlichen Agenda ganz oben – und was wollen Sie im kommenden Jahr anpacken?
Wir haben die letzten drei Jahre konsequent auf unser großes Ziel hingearbeitet, Global Champion zu werden. Dabei sind uns viele Erfolge gelungen. Mit der Umwandlung in eine AG haben wir 2018 das Thema Kapitalmarktfähigkeit forciert, ebenso mit der Einführung der neuen Dachmarke Traton. Die Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe wird immer enger. Auf globaler Ebene arbeiten wir seit dem Frühjahr mit Hino Motors aus Japan an unserer Partnerschaft. Sagen wir so: Die eine Aufgabe gibt es gar nicht. Wir sind in vielen Bereichen immer "On" und kommen schnell voran. Deshalb gilt für uns – für meine Vorstandskollegen, mich und das gesamte Team – im laufenden Jahr wie auch 2019: Wir wollen noch stärker zusammenarbeiten, sowohl innerhalb der Gruppe als auch mit unseren internationalen Partnern, wir wollen unsere Effizienz weiter steigern und weiße Felder auf unserer Landkarte angehen. So werden wir auch 2019 unserem Ziel, Global Champion zu werden, näherkommen.
Das Interview führte Henning Krogh.
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