Was läuft, was noch knirscht

Der Bundeskanzler schaut dieses Mal nicht vorbei. Auch bei Tesla-Chef Elon Musk deutet wenig darauf hin, dass er heute ­einen Besuch in Grünheide plant. Das erste Jahresjubiläum des Tesla-Werks in Europa wird wohl ohne große Prominenz begangen werden. Am 22. März 2022 war das erste Werk des Elektroautoherstellers in Europa noch in Anwesenheit von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie von Musk selbst ­eröffnet worden. Wie schaut nun die Einjahresbilanz aus?

Der Weg zu den aktuell etwas über 4000 gefertigten Model Y pro Woche war steinig für Werkleiter Andre Thierig, einen ehemaligen Ford-Manager, und sein Team. Im Juni wurden erstmals 1000 Fahrzeuge pro Woche in der Performance-Variante (die Standard-Variante wird aus Schanghai importiert) gebaut. Im Oktober waren es nach einer Umbaupause im Werk erstmals 2000, im Dezember dann 3000 Autos pro Woche.

Vor allem die ­ersten Fahrzeuge aus Grün­heide wiesen noch starke Mängel auf. Kunden beschwerten sich in sozialen Medien über zu große Spalt­maße oder scheppernde Kofferraumklappen. Die Probleme bekam Tesla inzwischen in den Griff. Seit Oktober wird zudem auch die moderne Lackiererei stärker ­genutzt. Waren bisher nur Modelle in Schwarz, Weiß oder Blau bestellbar, sind seitdem auch Model Y in Rot und Silber verfügbar. Nur in Brandenburg können sie so für den europäischen Markt und den ­Nahen Osten lackiert werden. Ein Prestigeerfolg für Grünheide.

12.000 Mitarbeiter sollen perspektivisch einmal in Grünheide ­arbeiten. 10.000 heuerte Tesla bislang an, was das Unternehmen zum größten privaten Arbeitgeber Brandenburgs macht. Bis zu 300 Mitarbeiter kommen pro Woche neu dazu. Nach Angaben der Arbeitsagentur Frankfurt (Oder) hat Tesla aber zunehmend Probleme, Mitarbeiter zu finden. Gesucht werden Instandhalter, Elektriker, Maschinen- und Anlagenführer, Schichtleiter und Meister. "Wir haben gut 1400 Arbeitslose zu Tesla vermittelt", sagt Agenturchef Jochem Freyer. "Etwa die Hälfte war zuvor langzeitarbeitslos und hat Leistungen vom Jobcenter bezogen."

Doch nicht alle sind ­zufrieden. Im vergangenen Jahr gab es immer wieder Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen im Werk und frustrierte Mitarbeiter. Der Plan, einen eigenen Ermittler in Grünheide zu beschäftigen, der einen möglichen Verrat von ­Betriebsgeheimnissen aufdecken sollte, sorgte zusätzlich für Unruhe. Und auch mit der IG Metall gab es Konflikte. Die Metaller und der ­managementnahe und – ungewöhnlich für einen Autohersteller in Deutschland – nicht von der ­Gewerkschaft dominierte Betriebsrat attackierten sich öffentlich.

Irene Schulz, Bezirksleiterin der IG Metall für Berlin, Brandenburg und Sachsen, lobte das Tesla-Werk im Gespräch mit der Automobil­woche dennoch für die bisher erreichten Ziele. Schulz: „Die Beschäftigten in Grünheide haben in diesem ersten Jahr eine unglaubliche Aufbauarbeit geleistet. Sie haben die Produktion von null zum Laufen gebracht, und das in einem Werk, das an ­vielen Stellen Baustelle war und noch ist.“ Die Gewerkschafterin warnt aber: „Zugleich ist Innova­tion untrennbar verbunden mit ­guten Arbeitsbedingungen, tariflichen Standards und einer starken Mitbestimmungskultur. Den Preis für das hohe Tempo im ersten Jahr dürfen nicht die Beschäftigten bezahlen. Hier gibt es Verbesserungsbedarf bei Mehrarbeit, Schichtsystemen und planbaren freien Zeiten für Familie und Freizeit und die Heranführung an die Standards in der Automobilindustrie.“

Diese Standards verfehlte Tesla vor allem beim Umgang mit ­behördlichen Vorgaben. Ohne ­Genehmigung wurde auf dem Werksgelände Abfall an nicht dafür vorgesehenen Stellen gelagert. Aufgefallen war dies, weil es im September auf einem hingegen erlaubten Abfall-Lagerplatz zu einem Großbrand kam. Schredderarbeiten sollen das Feuer ausgelöst haben. ­Bereits im April war eine wasser­gefährdende Flüssigkeit aus der ­Lackiererei ausgetreten. Bürger­initiativen und der für Grünheide zuständige Wasserverband Strausberg-Erkner waren empört.

Überhaupt, das Wasser: Nach Ansicht von Umweltverbänden kollidieren Gigafactory, Schutzgebiete und Grundwasser. Sie befürchten Risiken, denn ein Teil des Werksgeländes liegt in einem Wasserschutzgebiet. Das Industrieunternehmen hantiere dort mit gefährlichen und wassergefährdenden Stoffen "nach Gutdünken", heißt es von der Grünen Liga Brandenburg.

Das Wasser ist ein großer Streitpunkt im vergleichsweise trockenen Brandenburg. Gegen die Vorgabe, dass der lokale Wasserverband Strausberg-Erkner in alle grundwasserrelevanten Fragestellungen einbezogen werden muss, legte das Unternehmen erfolgreich Widerspruch ein. Das ist umstritten, doch die Behörden in Brandenburg versichern, es gebe genug Kontrollen. Nach mehreren Vorfällen ohne Genehmigung - etwa beim Einbringen von Pfählen - hat Tesla zugesagt, verstärkt darauf zu achten.

Tesla beeindruckt das wenig. ­Unbeirrt plant der Hersteller eine Erweiterung der Produktions­anlagen. Weitere 70 Hektar Bäume wurden gerodet. Derzeit wird das Presswerk vergrößert. Für 2023 strebt der Konzern einen Produktionsumfang von über 250.000 Autos in Grünheide an. Perspektivisch sollen es sogar nicht weniger als eine Million Autos werden, die in Brandenburg vom Band laufen. Der erste Antrag für den Ausbau der Produktion ist beim Land Brandenburg bereits gestellt, weitere Anträge - zum Beispiel für zusätzliche Gebäude - sollen folgen. Die Batteriefabrik in Grünheide liefert bisher nur zu, der Schwerpunkt liegt wegen der hohen Förderung erstmal in den USA. Insgesamt rechnet Tesla mit einem Ausstoß von 1,8 Millionen Fahrzeugen weltweit.

Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD), erklärter Tesla-Fan und in Deutschland so etwas wie der inoffizielle Pressesprecher des Unternehmens, sagte zu den Ausbauplänen: "Es geht nicht darum, bis zum Sommer alle Probleme gelöst zu haben, sondern dabei zu unterstützen, dass es für einen Investor zeitnah belastbare Zeitpläne für die Lösung anstehender Aufgaben gibt." Tesla ist aus Steinbachs Sicht ein Zugpferd für weitere Investoren: "Nach wie vor spüren wir den Sog bei den Ansiedlungsanfragen." Zum zweiten Geburtstag soll dann mehr Grund zum Feiern bestehen.

Aus dem Datencenter:

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