Herr Ametsreiter, was kann 5G besser als das aktuelle 4G-Netz?
Drei Dinge machen dieses Netz besonders: 5G ist wesentlich schneller, schafft perspektivisch Geschwindigkeiten von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde. Zudem überträgt 5G Daten quasi verzögerungsfrei. Wir erreichen Latenzzeiten von weniger als zehn Millisekunden. Das ist so schnell wie das menschliche Nervensystem. Der Informationsaustausch in Echtzeit macht ganz neue Anwendungen möglich - zum Beispiel im Straßenverkehr. Hier entscheiden häufig Millisekunden über Leben und Tod. Und schließlich können wir mit 5G deutlich mehr Menschen und Maschinen miteinander vernetzen. Das Interesse an 5G bei unseren Partnern ist riesig.
Wird Vodafone mit 5G noch stärker ein IT-Provider und nicht mehr nur ein Netz-Provider?
Klare Antwort: ja. Wir waren ein Mobilfunkkonzern. Wir sind jetzt ein Digitalisierungskonzern. Wir bieten ganze Dienstleistungen an und bringen unsere Rechenzentren direkt an den Ort des Geschehens – etwa in die Fabrikhallen oder an den Straßenrand. Ein voll automatisiertes Auto braucht künftig extrem viele Daten. Diese Daten müssen dezentral verarbeitet werden - in kleinen Rechenzentren an unseren Mobilfunkstationen.
Auf dem Weg dorthin gibt es aber noch viele offene Fragen.
In der Tat. Der Austausch zwischen den Industrien ist zu diesem frühen Zeitpunkt besonders wichtig. Wir als Digitalisierungskonzern müssen wissen, was braucht die Autoindustrie? Welche digitalen Services sollen Einzug in das Auto erhalten? Wer bezahlt diese Services? Oder: Wieviel Bandbreite und welche Latenzzeiten werden in den Produktionshallen gebraucht? Oft sind diese konkreten Anforderungen noch nicht klar. Fest steht: Wenn wir in Deutschland heute nicht den Schalter umlegen, ist das eine Hypothek für unsere Zukunft. Wer smart ist, nutzt schon heute die Chancen der Digitalisierung. Und da muss ich feststellen: Ein Tesla ist in dieser Hinsicht vielen europäischen Herstellern eine ganze Ecke voraus.
Was wird beim Wandel zur vernetzten Mobilität aus Ihrer Sicht die größte Veränderung sein?
Unsere Vision ist ein Straßenverkehr ohne Verkehrstote. Wir sind überzeugt, dass das Autofahren in relativ naher Zukunft ohne schwere Unfälle möglich sein kann. Die Zeit ist reif, um Unfälle mit Schwerverletzten und Toten aus der Welt zu schaffen. Mobilfunk ist ein wichtiger Bestandteil für das Auto der Zukunft. Genau wie Kameras und Sensoren. Die Technologie kann viel, sie reagiert schneller als jeder Mensch, und sie kann vieles vorhersehen. Der erste und wichtigste Schritt ist es, dass wir Autos schnell und sicher vernetzen.
Und welche Schritte folgen dann?
Der nächste Schritt ist die Vehicle-to-X-Kommunikation. Das Auto spricht dann mit der Tankstelle, mit der Ampel oder mit der E-Ladesäule. Der Lkw an der Kreuzung spricht mit der Smartwatch vom Kind auf der Straße – das steigert die Visibilität und die Sicherheit.
Wenn die V2X-Infrastruktur da ist, was kann die Autobranche damit machen?
Die Möglichkeiten sind heute nicht einmal im Ansatz ausgelotet. Aber wir können bereits die Vielfalt erahnen. Das fängt an mit der Übertragung von Wetter- und Fahrzeugzustands-Daten. Wetterdaten können über 5G in Echtzeit ins Fahrzeug gespielt werden. Auch die Vorhersage von Motor- oder Reifenschäden hat großes Potenzial.
Erwarten Sie auch eine Revolution beim Entertainment im Auto?
Absolut. Musik, Radio, Video on demand – die komplette Palette wird per Mobilfunk auch im Fahrzeug möglich. Das Auto wird zum Smartphone auf Rädern. Wir haben für viele digitalen Services bereits die Rechte gekauft und bieten sie unseren Kunden auf zahlreichen Kanälen an. In Zukunft auch im Fahrzeug. Wir wollen den Handy-Tarif auf das Auto ausweiten. Wie das aussehen wird, haben wir auf der vergangenen IAA in unserem GigaCar gezeigt. Ein vollvernetzter E-tron mit breitem Info- und Entertainmentangebot.
Ist die Zeit wirklich schon reif dafür? Schließlich gibt es noch Neuwagen, die mit einem CD-Spieler im Handschuhfach ausgeliefert werden.
Diese Zeiten sind nun wirklich vorbei. Wir leben im Streaming-Zeitalter. Durch das Sideloading können selbst in einem Tunnel Verbindungs-Abbrüche vermieden werden.
Trauen Sie den Autoherstellern zu, ein breites Content-Angebot künftig selber anzubieten?
Technisch ist das möglich. Aber ich denke, es braucht eine gewisse kritische Größe, um mit den Content-Anbietern zu verhandeln. Ich denke eher, dass sich Kooperationen durchsetzen werden. Wir sind der internationalste Telekommunikationsanbieter. Wir haben weltweit einige hundert Millionen Kunden – und die Expertise in der Verbreitung von digitalem Content. Mit entsprechenden Content-Vereinbarungen in sehr vielen Ländern. Zugleich haben wir unsere Plattform so konzipiert, dass auch lokale Content-Anbieter eingebunden werden können.
Die Autobranche tut sich noch schwer damit, einheitliche Bedienkonzepte aus der Unterhaltungsbranche oder von Zulieferern generell zu akzeptieren. Die meisten Hersteller versuchen, ihre Marke auch durch eine spezielle Bedienoberfläche durchscheinen zu lassen. Ist das für einen großen Content-Anbieter wie Vodafone ein Problem?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige Hersteller wollen eigene Ansätze umsetzen, andere sind offen für eine gewisse Einheitlichkeit. Wir als Vodafone sind anpassungsfähig an spezifische Wünsche unserer Partner. Andererseits brauchen wir eine gewisse Standardisierung der Technologien bei unterschiedlichen Kunden. Anders funktioniert das nicht. Unsere Technik ist im Auto oft in einem unsichtbaren Bereich. Wichtig ist, dass unser Gerüst bestehen bleibt.
Wo sehen Sie die Zukunft der mobilen Bezahlsysteme?
Es gibt zwei Ansätze: Im einen Fall zahlt das Auto – das sehen vor allem die Autohersteller gern. Im anderen Fall zahlen die Personen. Ich denke, beide Systeme werden zum Einsatz kommen. Beispielsweise könnten bei Bußgeld-Abrechnungen automatisierte Systeme zum Einsatz kommen. Bei einem Tempoverstoß etwa würde dann automatisch der jeweils hinterlegte Fahrer an die Bußgeldbehörde zahlen. Beim Tanken oder Stromladen wird es dagegen eher das Auto sein, das die Rechnung automatisch begleicht.
Wie kann das technisch bewältigt werden?
Die Technik steht bereit. Ein gutes Beispiel im Mobilfunkbereich ist das Bezahl-System M-Pesa in Afrika, an dem wir beteiligt sind. In Afrika ist die Bankenabdeckung sehr gering und deshalb spielt MPS dort eine große Rolle im Zahlungsverkehr. Dabei können Sie Geld von einem Handy zum anderen schieben.
Generell: Wer sollte an dieser künftigen digitalen Servicewelt im Auto finanziell partizipieren?
Es ist wie immer im Leben: Alle Beteiligten, die Leistungen erbringen, sollten auch davon profitieren können. Je nach Umfang der Risiken, die man eingeht.
Und wem sollten die Daten gehören?
Meine persönliche Überzeugung dazu ist klar: Die Daten gehören dem Kunden, wem sonst?
Der Autofahrer sollte also eine Gegenleistung erhalten, wenn er beispielsweise lokale Wetter- oder Verkehrsdaten ermittelt und weitergibt?
Das geschieht ja schon tausendfach im Alltag. Der Autofahrer erhält für seine Daten als Gegenleistung eine smarte Navigation. Das finde ich fair.
Was bietet Vodafone im Bereich smarte Infrastruktur an?
Wir sind Vorreiter beim Internet der Dinge. Unser Maschinennetz Narrowband IoT ist optimiert für die stromsparende Vernetzung von tausenden Sensoren und schon heute nahezu flächendeckend verfügbar. Das Internet der Dinge bietet enorme Möglichkeiten auch im Bereich der Mobilität. Beispielsweise können kleine Sensoren mit Batterien, die bis zu sieben Jahre lang durchhalten, für smarte Parkplatz-Leitsysteme verwendet werden. Jeder Parkplatz-Sensor braucht eine SIM-Karte, um die gesammelten Informationen zu übermitteln. Das ist aber nur ein Beispiel von vielen. Wir entwickeln solche digitalen Services gemeinsam mit unseren Partnern in unseren IoT- und 5G Laboren und bringen sie bis zur Marktreife.
Das Internet der Dinge wird gewöhnlich mit Industrieanwendungen in Verbindung gebracht.
Unsere Industrie ist der Kern für das Internet der Dinge. Sie kennen womöglich die e.GO Mobile AG aus Aachen. Das e.GO Werk ist die erste Automobil-Produktionsstätte in Deutschland, die mit 5G vernetzt ist. Wir haben dort 36 5G-Antennen und die modernsten Mobilfunk-Techniken gestartet, die derzeit verfügbar sind. Dazu gehört auch das sogenannte Network-Slicing. Wir stellen unseren Industriekunden damit ein individuelles Mobilfunknetz nach Maß zur Verfügung. Mit garantierten Bandbreiten und Latenzzeiten, die nicht durch andere Nutzer beeinflusst werden. Diese erste 5G-Fabrik in Deutschland zieht eine Menge Interessenten an. Hier wird greifbar, was 5G und das Internet der Dinge möglich machen.
Was bringen diese 36 Antennen dem Hersteller e.GO in Aachen?
Wenn wir heute über vernetzte Produktionshallen sprechen, sind diese Standorte bislang oft per WiFi vernetzt. In einem WiFi-Netz kommt es aber immer wieder zu Datenverlusten. 5G kennt dagegen keine Datenverluste, ist daher deutlich sicherer. Und mit 5G ermöglichen wir die hochpräzise Produktion in den Werken. Unsere Partner können dann in unserem Netz buchstäblich jede Schraube in der Fertigung präzise dokumentieren. Das beugt Fehlern vor und beschleunigt die Produktion. Zum Beispiel: Schraube Nummer 723 wurde am 7. März 2020 mit einem Drehmoment von 25 Newtonmeter angezogen. Diese Information kann absolut manipulationssicher hinterlegt und Jahre später abgerufen werden – beispielsweise in einer Autowerkstatt.
Derzeit diskutiert die digitale Welt intensiv über die Netzwerktechnik des chinesischen Marktführers Huawei. Gibt es aus Ihrer Sicht Grund, an der Sicherheit und Zuverlässigkeit von Huawei zu zweifeln? In der Autobranche gibt es viele, die amerikanische Sanktionen befürchten, wenn sie Technologie dieses chinesischen Konzerns einsetzen.
Sicherheit sollte immer Vorrang haben. Ein gesundes Misstrauen tut gut. Egal ob ein Hersteller aus Asien, Amerika oder Europa kommt. Jede Antenne und jedes Netzteil werden bei uns regelmäßig unter strengsten Kriterien geprüft. Wichtig ist, dass wir die Sicherheits-Debatte sachlich und basierend auf Fakten führen, nicht geleitet von Emotionen. Grundsätzlich muss man sich fragen, was man erreichen will. Die Gefahr, dass Gespräche abgehört werden könnten, wird mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen verhindert. Das Abschalten ganzer Funktionen aus der Distanz lässt sich mit speziellen Gateways verhindern. Im sensiblen Kernnetz setzen wir bei Mobilfunk fast ausschließlich Technologien aus Europa ein. Im Antennennetz, kommt eine sogenannte Dual-Vendor-Strategie mit Komponenten von Ericsson und Huawei zum Einsatz.
Also alles so belassen wie bisher?
Nein. Ich glaube es ist sinnvoll, dass wir die Sicherheits-Debatte führen. Geleitet von Fakten, nicht von Emotionen. Und ich bin überzeugt: Wir brauchen keine deutsche, sondern eine europäische Lösung.