Herr Franz, wie war das Jahr 2020?
Wir haben 2020 viel gelernt zum Thema Risikomanagement, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Wir mussten aufgrund der Pandemie schnell reagieren, haben von Anfang an die Lieferketten unter die Lupe genommen und schon im Februar unsere Sicherheitsbestände um 80 Millionen Euro erhöht. Mit unseren Werkstattkunden sind wir soweit gut durch die Krise gekommen – trotz der logistischen Verwerfungen.Was meinen Sie damit?
Bei sinkender Nachfrage im Lockdown hatten wir Vorräte aufgebaut, im Juli mussten wir dann hohe Lagerbestände abbauen und im Herbst haben die Abrufe wieder angezogen. Heute haben wir eine angespannte Liefersituation und sind heilfroh, dass wir unser Versprechen hoher Lieferfähigkeit in der Krise halten konnten. Wir liefern 98 Prozent der Teile innerhalb von 24 Stunden.Anfang 2021 soll ein neues Logistikzentrum in den Niederlanden öffnen. Bleibt es dabei?
Ja, wir sind mit dem Baufortschritt im Zeitplan und ich werde Anfang Januar in Holland das Gebäude mit abnehmen.Wie sieht Ihre Prognose für 2021 aus?
Was die Marktsituation angeht, haben wir im Sommer eine Simulation gefahren. Im Vergleich zum Normaljahr 2019 rechneten wir für 2021 im freien Teilemarkt mit einem Zuwachs von zwei Prozent – vor allem aufgrund des steigenden Durchschnittsalters bei Pkw und des überproportionalen Wachstums im Alterssegment über fünf Jahre, das von freien Werkstätten versorgt wird. Mittlerweile sind wir deutlich vorsichtiger und konzentrieren uns darauf, agil durch die gegenwärtige Situation zu kommen. Dabei ist Lieferfähigkeit unsere erste Priorität.Wo sehen Sie Ihre wichtigste Aufgabe im Jahr 2021?
Erstens Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter, zweitens Versorgung der Kunden und drittens Kostenmanagement, also die Anpassung und Steuerung der Kapazitäten an die Nachfrage.Wie kompensiert der Teilehandel die zunehmende E-Mobilität?
Der freie Teilehandel ist erst sehr spät von neuen Technologien betroffen, das haben wir auch unseren Investoren gesagt. Im Jahr 2030 werden nicht mehr als vier Prozent der Fahrzeuge in unseren sechs wichtigsten EU-Märkten über fünf Jahre alt und elektrifiziert sein. Für uns vollzieht sich der Wandel sehr langsam. Das ändert sich, je jünger die Fahrzeuge sind. Eher trifft es die Vertragswerkstätten, die Hersteller, die Teileindustrie – und am stärksten die Zulieferer des Maschinen- und Anlagenbaus. Je weiter vorne im Produktzyklus man steht, umso dramatischer ist der Wandel. Wir haben noch Zeit, um Luft zu holen. Diese Zeit werden wir nutzen, um uns auf die Elektro-Welt von morgen vorzubereiten, u. a. mit Schulungen für freie Werkstätten. Und weil künftig die Serviceumfänge geringer ausfallen als beim Verbrenner, müssen wir unsere Marktanteile deutlich steigern.Können Sie das beziffern?
Der Markt für Fahrzeugteile in Europa hat ein Volumen von 100 Milliarden Euro und unser Marktanteil liegt mit rund fünf Milliarden Euro im einstelligen Prozentbereich. Angenommen, der Serviceumfang für batterieelektrische Fahrzeuge halbiert sich gegenüber konventionellen Antrieben, dann müssten wir unseren Marktanteil in diesem Segment verdoppeln, um das Umsatzniveau zu halten. Allerdings ist bei dieser Prognose der Wertanteil der Teile nicht berücksichtigt.Und das bedeutet?
Wir sehen die Tendenz zu geringeren Stückzahlen, aber höheren Preisen pro Ersatzteil. Denn vieles, was heute mechanisch angetrieben wird, ist künftig elektrisch. Zum Beispiel ist eine elektrisch angetriebene Kühlmittelpumpe ein höherwertiges Bauteil als eine mit Riemenantrieb. Wir rechnen damit, dass sich der Wertanteil dieser Fahrzeugteile verschieben wird – der Faktor wird grob geschätzt je nach Fahrzeug und Bauteil zwischen 2 und 6 bis 7 liegen.Seit 2011 gab es bei LKQ mehr als 70 Übernahmen. Wird sich der Wachstumskurs 2021 weiter beschleunigen – auch durch pandemiebedingte Übernahmekandidaten?
Der europäische Markt ist nach wie vor extrem fragmentiert und der Konsolidierungsprozess wird in Europa weitergehen. Unser Fokus richtet sich noch bis Mitte 2021 voll auf die Integration bereits erfolgter Übernahmen. Später werden wir sicher weiter wachsen und wollen dabei massiv in organisches Wachstum investieren. Wenn wir extern investieren, dann in erster Linie in kleine Ergänzungsakquisitionen, um unser Portfolio zu arrondieren.Stichwort Integration: Was ist nötig, um die Firmen in den LKQ-Verbund zu integrieren?
Wir werden bis Mitte 2021 unser umfangreiches Organisationsprojekt 1 LKQ Europe abschließen. Wir arbeiten an der Zentralisierung wesentlicher Funktionen wie Einkauf und Produktmanagement, weil wir gegenüber Kunden und Lieferanten, aber auch intern ein einheitliches Erscheinungsbild anstreben. Dabei geht es nicht nur um Harmonie, sondern vor allem um Effizienz. Wir wollen Kostenreduktionen erreichen, um die Potenziale der Akquisitionen zu heben. Damit schaffen wir einen höheren Kundennutzen, bessere Angebote und Mehrwert für unsere Aktionäre.Wie viele Player werden den europäischen Kfz-Teilehandel mittelfristig dominieren – neben LKQ?
LKQ dominiert nicht. Wir haben in jedem Markt herausragende Wettbewerber und müssen uns jeden Tag strecken, um dem Kunden die Leistung zu bieten, die er fordert. Der europäische Teilehandelsmarkt bleibt eine sehr wettbewerbsintensive Landschaft mit anderen großen Playern.Im Pandemiejahr 2020 gab es ja erneut Kaufprämien für Neuwagen. Anders als der ZDK lehnen Sie diese Maßnahme ab. Warum?
Weil ich sicher bin, dass solche Maßnahmen zu großen Streuverlusten führen. Unserer Kundschaft bringen viele neue Autos kurzfristig nichts. Die Förderung 2009 hat zudem gezeigt, dass kein einziges in Deutschland produziertes Auto an Marktanteil zulegen konnte, sondern vor allem kleine Modelle von Importmarken profitiert haben.Im Vorfeld des Autogipfels im November 2020 forderten Sie den offenen Datenaustausch im digitalen Servicegeschäft. Haben Sie Reaktionen auf Ihren Appell erhalten?
Unter vielen anderen haben sich Vertreter von deutschen Autoherstellern bei mir gemeldet. Ich sage: Wir müssen die Vielfalt des Wettbewerbs aufrechterhalten und dem Autofahrer die Wahl lassen, auf welches digitale Angebot er eingehen will, von der Pannenhilfe über den Service bis zur Versicherung. Das darf man nicht nur demjenigen überlassen, der eine Maschine – in diesem Fall das Auto – hergestellt hat. Der Nutzer muss die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden.Und wie bewerten Sie die Erfolgsaussichten Ihres Appells?
Da hängt viel von der Politik ab. Die Hersteller argumentieren ja massiv mit ihren Investitionen. Bei Datenhoheit, Datenzugang und Datensicherheit muss es aber eine Win-Win-Situation geben zwischen dem Bereitsteller und dem Nutzer der Technologie. Zur Datensicherheit müssen wir einen technischen Standard definieren, ohne die Wahlfreiheit des Konsumenten einzuschränken.Welche Potenziale bietet die Digitalisierung?
Digitalisierung ist für uns ein Top-Thema. Wir sind dabei, unsere bestehenden Kunden nahtlos digital anzubinden und wollen unseren Zugang zu über 100.000 Werkstätten in Europa nutzen, um neue Geschäftsmodelle über das Kerngeschäft Ersatzteile hinaus zu generieren.Wie unterstützen Sie Ihre Kunden bei der Transformation?
Die Werkstatt der Zukunft sieht anders aus als die Werkstatt heute. Alternative Antriebe und die zunehmende Vernetzung stellen neue Anforderungen an die Betriebe. Tesla hat vorgemacht, dass viel ohne Werkstatt möglich ist. Das wird zu Diskussionen führen, weil sich Geschäftsmodelle ändern. LKQ unterstützt und begleitet die Werkstätten in diesem Transformationsprozess – gegebenenfalls auch im Doppelpass mit den Herstellern.Wie stellen Sie sich das konkret vor?
Werkstattnetze der Zukunft müssen kooperativ gestaltet werden. Wir gehen davon aus, dass sich das Vertragshändlernetz weiter konsolidiert und können uns vorstellen, dass unsere Kunden, also freie Werkstätten, eine markengerechte Serviceversorgung in der Fläche sicherstellen.Das Interview führte Bettina John.
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