Leistung, Reichweite, Lebensdauer, Nachhaltigkeit – Kritikern und manchem Verbraucher ist bei den Akkus von E-Autos momentan noch vieles zu knapp. Was in der öffentlichen Debatte seltener eine Rolle spielt, den betroffenen Unternehmen aber Kopfschmerzen bereitet: Die dramatische Knappheit der Talente beim Aufbau lokaler Produktionsstandorte für Batterien.
Noch ist China der größte Markt für E-Autos. 2019 wurden dort 2,6 Millionen Fahrzeuge verkauft. Auch in Europa kratzt der Absatz von Elektroautos inzwischen an der Millionenmarke, die im vergangenen Jahr trotz der Pandemie erstmals überschritten wurde. Mit dem steigenden Absatz wachsen auch die Herausforderungen in Produktion und Logistik, gerade bei den teuren und schweren Batterien, die einen Wettbewerbsvorteil darstellen. Die traditionellen europäischen Automobilhersteller beginnen deshalb, ihre lokalen Produktionskapazitäten für Batteriezellen massiv auszubauen. Sagenhafte 85 Milliarden Euro wurden 2019 und 2020 in die Entwicklung und Produktion von Batteriezellen investiert – doppelt so viel wie in China im gleichen Zeitraum.
Als besonders problematisch erweist sich dabei der sehr kleine Talentpool in diesem hoch spezialisierten Forschungs- und Fertigungsbereich: Automobilkonzerne, Zulieferer, aber auch Forschungseinrichtungen werben um eine sehr überschaubare Anzahl extrem qualifizierter Uni-Absolventen. Noch dramatischer ist die Lage, wenn man nach industrieerfahrenen Experten sucht. Der Markt ist überhitzt.
Die Führungsetagen vieler europäischer Automobilunternehmen geben selbstkritisch zu, dass man eher in die Technologie hätte einsteigen und Talente entwickeln sollen. Haken wir die Vergangenheit ab. Wie gelingt heute das Talentmanagement in einer führenden Zukunftstechnologie?
1. Experten aus nahen Technologiebereichen gewinnen und entwickeln
Es gibt sie, die perfekten Experten, die zudem in der Lage sind, echte Führungsarbeit zu leisten, aber ihre Zahl ist extrem überschaubar und ihr „Preis“ entsprechend hoch. Ein Hauptaugenmerk können Unternehmen aber auch auf Persönlichkeiten angrenzender Bereiche legen, die sich das technische Hintergrundwissen schnell aneignen können und ein hohes Maß an Motivation mitbringen. Gerade für Führungspositionen kann lohnenswert sein, sich von Potenzialfaktoren leiten zu lassen, Talente in verwandten Branchen zu suchen und in einem intensiven Onboarding zu Experten weiterzuentwickeln. Dazu muss man genau wissen, welche Expertise fehlt, welche vorhanden ist, um dann Lücken systematisch zu füllen. Eins ist klar: Die Investition in den Aufbau neuer Experten zahlt sich aus angesichts der positiven Perspektive der Batterietechnik.
2. Die Präsenz ausweiten und Diversität fördern
Es reicht nicht mehr, dass Automobilkonzerne oder Automobilzulieferer Ingenieuren auf dem Campus der einschlägigen Universitäten von Karlsruhe bis Braunschweig schöne Augen machen. Neben neuen Expertisen und Backgrounds sollten auch Partnerschaften beispielsweise mit Spezialchemieunternehmen oder Start-ups eine Rolle spielen. Weitsichtig ist, wer aus der Not eine Tugend macht und Diversität in all ihren Facetten fördert und somit die Leistung des Unternehmens langfristig stärkt. Auch das sogenannte „Acqui-Hire“, also der Einkauf einer gesuchten Kompetenz durch die Akquise eines ganzen (Start-up)-Unternehmens kann eine echte Alternative zu klassischem Experten-Recruiting sein.
3. Langfristige Ansätze verfolgen
Niemand kann Entwicklungen in der Mobilität vorwegnehmen. Abhängig sind diese auch von technologischen Innovationen, die aus privaten Investitionen oder öffentlicher Förderung resultieren. Doch selbst wenn die Elektromobilität nur eine Brückentechnologie wäre – was von vielen angezweifelt wird –, reichen die Investitionshorizonte in jedem Fall über mehrere Jahrzehnte. Generationen von Führungskräften werden mit Batteriezellen arbeiten. Auch zeigen diverse Analysen, dass sich der Trend, Batterien möglichst dezentral bei Abnehmern zu produzieren, verfestigen wird. Der langfristig gedachte Aufbau und die Entwicklung von Führungskräften werden sich auszahlen.
4. Das große Ganze zeigen und kommunizieren
Die Verkehrs- und die Energiewende sind unter anderem von der Entwicklung und kostengünstigen Produktion leistungsfähiger Batterien abhängig. Gleichzeitig gibt es Optimierungsbedarf bei der Batterieproduktion, was Umweltverbrauch und Recycling angeht. Bei all den technischen Daten und unternehmerischen Abwägungen dürfen diese Potenziale und Herausforderungen nicht vergessen werden, weder in der Außenkommunikation noch bei der internen Zielsetzung. Talente werden nicht zuletzt durch die klare Kommunikation einer sinnstiftenden Arbeit gewonnen und gehalten.
5. Den Horizont erweitern, Chancen ermöglichen
Automobilkonzerne und ihre Zulieferer haben über Jahrzehnte gelernt, perfektionierte, bis ins Detail durchstrukturierte Prozesse aufzusetzen, um regelmäßig neue Generationen besserer Fahrzeugtypen zu produzieren. Die Entwicklung und die Integration von Zukunftstechnologien wie der Batteriezelle erfordern jedoch ein exploratives Vorgehen. Dazu gehört Experimentieren, Trial and Error. Zukunftsfit aufgestellt ist, wer beide Arbeitsweisen zu kombinieren versteht. Dazu braucht es das richtige Mindset und eine flexible Talentsuche, damit Expertise im Unternehmen wachsen kann. Es geht nicht in erster Linie darum, Talente möglichst lange zu halten. Ein solcher Ansatz passt heute nicht mehr mit den Vorstellungen vieler Talente überein, die sich an einen Purpose und eine Aufgabe gebunden fühlen, aber immer weniger an ein Unternehmen. Natürlich müssen Lücken dann auch schnell gefüllt werden, wozu ein ganzheitlich angelegtes Talentmanagement in der Lage sein sollte. Es erhöht auch die Attraktivität der Arbeitgebermarke, die von einem grundlegenden Purpose getrieben flexibles Lernen und die stetige Weiterentwicklung ermöglicht.