Für erfolgreiche Start-ups ändern sich die Anforderungen in der Branche. Das zeigt auch der Start-up-Wettbewerb auf dem Automobilwoche-Kongress, der jedes Jahr eine spannende Auswahl junger Firmen präsentiert. Doch worauf kommt es in Zukunft an, um in der Automobilindustrie mit Ideen Erfolg zu haben? Inga Grieger und Marcus Behrendt von BMW iVentures, dem Corporate-Venture-Capital-Fonds der BMW Group, analysieren exklusiv für die Automobilwoche die fünf derzeit größten Trends in der automobilen Start-up-Welt.
Die fünf größten Start-up-Trends der Autoindustrie
Die Automobilbranche verändert sich und mit ihr auch die Start-up-Welt. Neue Entwicklungen sorgen für Innovationen und spannende Gründungen. Das sind die aktuell fünf größten Trends für neue Start-ups.
Marcus Behrendt: „In diesem Bereich forschen auch die großen Player, aber Start-ups können in Nuancen einen Unterschied machen. Der elektrische Antrieb mit einer Batterie als Energiespeicher ist der Antrieb mit den größten Zuwachsraten. Es entstehen auch im Batteriesektor immer mehr Bereiche, in denen es spannende Entwicklungen gibt. Sei es auf der Zellebene, auf der chemischen Ebene und auf der Pack-Ebene. Ein nächstes großes Thema wird hier All Solid State, also die Feststoffbatterie, sein. Dazu kommen neue Firmen, die revolutionäre Denkansätze im Bereich der Batterietechnologie mitbringen. Our Next Energy zum Beispiel, bei denen wir auch investiert sind, geht das Thema Packaging auf einem völlig neuen Weg an. Durch eine neue Anordnung einzelner Batteriezellen innerhalb des gesamten Batteriepacks lassen sich 50 Prozent und mehr Energiedichte gewinnen. Dies zu industrialisieren, ist jetzt eine der Herausforderungen.“
Inga Grieger: „Our Next Energy setzt aber noch einen drauf: Die Entwicklung einer Art Range-Extender-Batterie. Das bedeutet, ein Hersteller verwendet eine Standardbatterie mit den üblichen Zyklen, hoher Haltbarkeit und Leistungsfähigkeit. Zusätzlich wird im Fahrzeug noch eine Art Superbatterie eingesetzt, die vielleicht nicht ganz so viele Lebenszyklen hat, aber vom Fahrzeug geschickt gemanagt wird. Das ist auch ein Ansatz, der zukünftig spannend wird. Einfach aus dem Usecase gedacht, dass viele Kunden immer auf die maximale Reichweite schauen, diese aber nur ganz selten auch wirklich abrufen.“
Marcus Behrendt: „Noch ein weiterer Bereich, der spannend ist: Den Zustand von Batterien übergreifend überprüfen und bewerten können. Also die Frage: Wie sammle ich diese Daten, gibt es irgendwann einen einheitlichen Batteriepass? Wie garantieren wir die Lebenszeit einer Batterie je nach Vorgaben auf verschiedenen Märkten. Dort entwickelt sich momentan viel.“

Geschrottete und gepresste Fahrzeugkarossen für Audis Modellprojekt Material Loop. Hier können auch Start-ups mit Ideen punkten.
Inga Grieger: „Hier geht es um die Frage, was mit Batterien am Ende ihrer Nutzungszeit geschieht. Welche Chancen gibt es im Second-Life-Bereich für Batterien, wie lässt sich die Chemie innerhalb der Batterien aufbereiten? Mit diesen interessanten Fragen beschäftigen sich heute schon Start-ups. Wir beurteilen deren Geschäftsmodelle im Hinblick auf Industrialisierung und Skalierung.“
Marcus Behrendt: „Viele Start-ups denken schon jetzt daran, was mit den neuen Batterien einmal passiert, die jetzt erst gebaut werden. Cylib aus Aachen und ToZero aus München befassen sich zum Beispiel mit der Lithium-Rückgewinnung, was dabei helfen kann, europäische Hersteller unabhängiger von Lithium-Minen zu machen und auch unserem Zirkularitätsgedanken voll entspricht. Neue Ideen im Bereich des Recyclings beschäftigen sich nicht nur mit der Frage, wie sich der Materialmix eines Recycling-Fahrzeugs richtig sortieren lässt, sondern zum Beispiel damit, was mit geladenen Batterien, die entsorgt werden müssen, passiert. Die kann man nicht einfach in einen Schredder werfen. Diese Batterien müssen mit möglichst wenig Aufwand vorher entladen werden. Hier können noch viele Kosten gespart und Prozesse optimiert werden. Da gibt es noch gute Chancen für Start-ups in einzelnen Teilen der Lieferkette.“
Inga Grieger: „Das Interesse der OEMs ist in diesem Bereich sehr hoch. Recycling entsteht gerade als zusätzliche Säule im Bereich der Beschaffung von Rohstoffen. Bei hohen Rohstoffpreisen lohnt sich Recycling immer.“

Elon Musk (u.l.) bei der Präsentation des von Tesla entwickelten Roboters Optimus
Marcus Behrendt: „Die Art, wie in der Branche Fabriken geplant werden, ändert sich radikal. Digitale Zwillinge werden entwickelt, mit denen sich Produktionswerke virtuell vorplanen lassen. Dazu werden bestehende Gebäude via 3D-Scans erfasst, so dass nicht nur ein Konstruktionsplan eines Werks vorliegt, sondern auch der reale Ist-Zustand in einem 3D-Modell. Da entsteht sehr viel in der Start-up-Welt. Überall, wo lokale, proprietäre Systeme vorhanden sind, die in sich geschlossen funktionieren und heute lokal gewartet werden müssen, können Start-ups mit Innovationen und Cloudtechnologie punkten.“
Inga Grieger: „In diesem Bereich sehen wir häufig keine Studienabgänger, die uns eine Idee präsentieren, sondern Menschen, die schon einen Background aus der Automobilindustrie mitbringen. Bei Digitalisierungs-Start-ups geht es um Software, die erkennt, was ein Roboter tut und die dafür sorgt, dass sich der Roboterarm dazu passend bewegt. Hier einen lernfähigen Roboter zu entwickeln, der nur einmal bei einem möglichen Hindernis den auszuführenden Prozess stoppt und es beim nächsten Mal gleich richtig macht, ist für die Industrie sehr attraktiv. Hier sind Start-ups, gerade auch in Kooperation mit Universitäten, unheimlich gefragt.“

Inga Grieger (l.) und Marcus Behrendt von BMW iVentures
Marcus Behrendt: „Man könnte meinen, durch den momentanen Hype bekommen wir hier die meisten Investitionsanbebote für BMW i Ventures, aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn der Hype groß ist, gibt es auch viel Geld und dann bewerben wir uns bei den Firmen und ihren Ideen... ChatGPT hat uns vorgeführt, was in diesem Bereich plötzlich möglich ist. KI ist mehr als Amazons Alexa oder Siri. Erstmals kommt eine echte Konversation zustande und liefert Antworten, mit denen wir effektiv arbeiten können. Wir schauen uns gerade eine Firma an, die das Prinzip ChatGPT in Firmendaten umsetzt. Das bedeutet: Wir brauchen Start-ups, die eine Lösung dafür anbieten, auf Basis von Firmendaten ähnlich gut zu funktionieren, wie ChatGPT im öffentlichen Bereich. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wir suchen ein System, das mir leicht beantworten kann, wie viele blaue Autos ich in einem bestimmten Zeitraum auf einem bestimmten Markt verkauft habe und diese Antwort soll gleich auch als Grafik ausgespielt werden. Früher musste man dafür SQL beherrschen, heute reicht ein Prompt in natürlicher Sprache. Und was Rot ist interpretiert die KI dann gleich mit (z. B. gehört Estoril dazu oder nicht). Diese Art Software kommt jetzt und sie wird unheimlich viel Zeit bei der Datenanalyse von Märkten sparen. Wichtig ist, dass wir selbst die Lernbasis also den Input kontrollieren – dadurch wissen wir dann auch gleich, dass er nicht falsch sein kann.“
Inga Grieger: „Früher gab es das Klischee, Roboter würden in der Fertigung irgendwann die Menschen ersetzen. Heute wissen wir, dass das nicht so schnell kommen wird. In den USA haben wir uns einige Firmen angeguckt, die im Bereich Objekterkennung forschen. Da geht es darum, Menschen in der Produktion zu entlasten, die besonders kleine Bauteile überprüfen müssen und deren Aufgaben wirklich sehr anstrengend sind. Wenn eine Maschine dies zuverlässiger erledigt, ist das ein Bereich, der für die Branche spannend ist. Solche Systeme setzen wir bei BMW zum Beispiel in der Endkontrolle bei der Lacküberprüfung heute schon ein.“

Im BMW-Werk Regensburg bearbeiten KI-gesteuerte Roboter in der Lackiererei jedes Fahrzeug individuell. Hier ein Mitarbeiter bei der händischen Nachkontrolle.
Marcus Behrendt: „Hier geht es um die Frage, wie sich für die zunehmende Konnektivität der Fahrzeuge jederzeit hundertprozentige Netzabdeckung sicherstellen lässt. Sei es für Entertainment- und Telefonfunktionen oder autonome Fahrsysteme. Diese Abdeckung wird sich nicht nur mit Antennen sicherstellen lassen. Allein der Sprung von flächendeckenden 4G- auf 5G-Netzwerke bedeutet eine Verdopplung der benötigten Sendemasten, um etwa die gleiche Abdeckung sicherzustellen. Die Frequenzbänder bei 5G-Netzwerken sind anders und damit die Reichweite nicht so groß. Hier gibt es die Idee, die Abdeckung durch Satelliten sicherzustellen – in einem Bereich, der sich Low Earth Orbit nennt. Ähnlich dem Starlink-Netzwerk von Elon Musk. Mit einer bestimmten Anzahl an Satelliten kann ich jeden „weißen Fleck“ in der Netzabdeckung erreichen. Hier arbeiten inzwischen viele Firmen an entsprechenden Lösungen.“
Inga Grieger: „Das ist natürlich der Bereich, der das höchste Investment benötigt, um das Ziel zu erreichen. Denn mit einem Satelliten im Orbit ist es ja nicht erledigt. Es werden eher ein paar Hundert benötigt. Das ist für Investoren natürlich erst mal ein größerer Brocken.“
Marcus Behrendt: „Was sich Start-ups in diesem Bereich irgendwann einmal vorstellen, ist eine Art Ionity für Satelliten – eine Kooperation globaler Wirtschaftsunternehmen in einem eigenen Satellitennetzwerk. Der Kreis der potenziellen Nutzer geht weit über die Automobilindustrie hinaus. Wir haben uns mit BMW i Ventures dazu auch schon Firmen angeguckt, die sich mit Antennentechnik beschäftigen, um Daten punktgenauer senden und empfangen zu können als bisher. Hier arbeiten dann viele Start-ups zusammen. Junge Firmen, die den Launch umsetzen und eben Anbieter, die die Antennen entwickeln.“
Diese fünf Trends könnten die Start-up-Szene in den kommenden Jahren dominieren. Aber wie steht es um den Standort Deutschland? Marcus Behrendt sagt: "Mit Blick auf den Start-up-Standort Deutschland ist für mich das größte Problem, dass es an Investoren mit Risikobereitschaft fehlt. Ein Satelliten-Netzwerk im Low Earth Orbit wäre rein mit deutschen Investoren gar nicht umsetzbar. Bei Themen, die ein gewisses Risikokapital erfordern, haben wir in Deutschland noch großen Aufholbedarf. Alles, was sehr kapitalintensiv ist, machen wir in Europa nur ungern. Die Finanzierung der späten Wachstumsstufen eines Start-ups ist in Europa weiterhin noch zu schwer.“
An der Qualität der deutschen Gründerinnen und Gründer liegt es hingegen nicht, analysiert BMW-Mann Marcus Behrendt: "Auf der technischen Ebene sehe ich Deutschland gut aufgestellt. In München entwickelt sich gerade ein sehr starker Deeptech-Hub, bei dem in tiefen Technologien geforscht wird, übrigens auch im Weltraumbereich. Berlin ist nach wie vor der Mittelpunkt des deutschen B2C-Business, wenn es um Apps geht. Wir müssen uns in Deutschland, was Ideen und die Technologien angeht, nicht verstecken. Die Frage ist nur, kriegen wir diese Ideen auch finanziert? Entwicklungen wie bei Flixbus, die später in der Lage waren, ein US-Unternehmen wie Greyhound zu kaufen, sind da noch die absolute Ausnahme. Wir haben noch zu wenig Risikofreude und zu wenig Glauben, mit Ideen später auch Marktführer werden zu können.“
Aber wie sieht es nun aus, das perfekte Start-up für die Automobilindustrie der Zukunft? Inga Grieger: "Das perfekte Start-up in der Automobilindustrie der Zukunft vereint möglichst viele der fünf aktuellen Trends. Ich denke aber, Software wird der zentrale Bereich sein – sowohl über die Konnektivität der Fahrzeuge als auch in der Produktion. Hier ist die Start-up-Welt in allen Bereichen unterwegs, das Potenzial bleibt da noch enorm hoch.“
Aus dem Datencenter: