Herr Hardt, welche Rolle wird der Kunststoff im Automobilbau künftig einnehmen?
Wir glauben, dass die Bedeutung von Polymeren im Automobilbau zunimmt.In welchen Bereichen?Auch wenn der Begriff Leichtbau etwas überstrapaziert klingt, ist das Thema nach wie vor aktuell. Die Fahrzeuge sind insgesamt recht schwer, und batteriebetriebene Autos werden durch die Batteriepacks nochmals drastisch beim Gewicht zulegen. Zudem bieten Kunststoffe viel Designfreiheit und ermöglichen einen hohen Grad an funktionaler Integration. Elektronik, Sensorik, Licht- und Infotainment-Systeme lassen sich stilistisch perfekt in Kunststofflösungen integrieren. Thermomanagement und Schallschutz bei E-Fahrzeugen erfordern ganz neue Lösungen und Materialien. Gibt es dafür Beispiele?Die neuen Architekturen von Elektrofahrzeugen beinhalten neue Möglichkeiten bei der Gestaltung des Exterieurs. Beispiel Frontgrill. Die ehemalige Funktion des Frontgrills, den Motor zu kühlen, entfällt bei reinen E-Fahrzeugen. Das ermöglicht Frontdesigns, in der Licht- und Kamerafunktionen, Sensorik oder Radar fugenlos in einem Bauteil aus Polycarbonat integriert werden können. Ein ähnlich großes Entwicklungspotenzial sehen wir auch zum Beispiel im Heckbereich, dort getrieben durch Styling und Gewichtsoptimierung.Ist die Vision einer Fahrzeugkarosserie komplett aus Kunststoff realistischer geworden?Ja, weil wir eine Vielzahl an neuen Konzepten und Fahrzeugplattformen sehen. Nehmen sie beispielsweise das Elektroauto e.GO Life. Das Fahrzeug hat eine komplette Karosseriestruktur aus Polymeren, in dem Fall aus Thermoplasten. Wir werden künftig mehr solcher Lösungen speziell bei kleineren Stückzahlen sehen.Werden dann die Kunststoffe nur noch eingefärbt und nicht mehr lackiert?Nicht unbedingt. Das kommt auf das Fahrzeugkonzept an und hängt von seiner Architektur und Positionierung ab.Ändern sich durch die Elektromobilität die Anforderungen an die Werkstoffe?Ja. So finden sich zum Beispiel Hochvoltsysteme im elektrischen Antriebsstrang von Elektrofahrzeugen. Dies ist ein grundsätzlicher Unterschied zum Auto mit Verbrennungsmotor. Für die eingesetzten Kunststoffe bedeutet dies, dass sie über besonders gute elektrische Eigenschaften verfügen müssen. Ein Beispiel ist die Lithium-Ionen-Batterie.Woran machen Sie das fest?Beim Packaging der einzelnen Zellen werden seit Jahren häufig Polycarbonate oder Polycarbonat-Blends erfolgreich in der IT Industrie eingesetzt und jetzt auch im Automobilsektor. Diese Materialien müssen extrem schlagfest, crashsicher und über einen weiten Temperaturbereich dimensionsstabil sein. Eine hocheffiziente Flammschutzausrüstung ist dabei elementar.Welche Perspektive haben hybride Werkstoffe?Heute finden wir in einem Fahrzeug eine sehr große Zahl von Modulen und darin jeweils einen Mix aus verschiedenen Werkstoffen. Je mehr Materialien darin zum Einsatz kommen und je mehr Teile zu berücksichtigen sind, desto mehr wird ein sortenreines Recycling zur Herausforderung.Was wäre ein Beispiel dafür?Ein Frontscheinwerfer setzt sich heute beispielsweise aus verschiedensten Materialien zusammen. In einem hochmodernen LED-System können das bis zu 200 Einzelteile sein. Ziel ist deshalb ein monolithisches Design mit deutlich weniger Teilen und der Verwendung von möglichst nur einer Materialklasse, wenn trotzdem eine hohe Funktionsintegration erreicht wird. Wie sehen Sie die Zukunft von Fahrzeugscheiben aus Polycarbonat?Heute bestehen weltweit schon alle Frontscheinwerfer aus diesem Material. Mit beschichteten Polycarbonaten lässt sich auch eine komplette Fahrzeugverscheibung darstellen. Theoretisch ist das bis hin zur Frontscheibe möglich, bisher jedoch noch nicht in der Großserie umgesetzt. Woran liegt das?Ein Grund liegt darin, dass es weltweit unterschiedliche Normen gibt. Die maßgebliche Verordnung UN R43 wurde zwar um die Möglichkeit erweitert, auch die Frontscheibe aus Polycarbonat zu konstruieren. Speziell auf dem nordamerikanischen Markt ist diese Lösung jedoch zurzeit noch nicht zulassungsfähig. Viele Fahrzeugplattformen werden jedoch für den globalen Markt entwickelt. Aber wir sehen, dass Polycarbonat zunehmend im Bereich von Seitenscheiben und Säulenverkleidungen eingesetzt wird und dort Glas substituiert. Serienanwendungen gibt es auch bei Panoramadächern.Könnte die E-Mobilität ein Treiber für den Kunststoffeinsatz im Bereich Scheiben sein?Ja, eine größere Zunahme von E-Fahrzeugen könnte für einen Durchbruch sorgen. Ein Argument für Polycarbonat ist die bessere thermische Isolation gegenüber Glas. Das heißt, der Wärmeverlust im Vergleich zu Glas ist deutlich geringer. Auch beim Gewicht ist je nach Geometrie eine Einsparung von 30 bis 50 Prozent möglich. Und drittens lassen sich Funktionen über Spritzgussverfahren integrieren.Und wie sieht es bei den Kosten aus?Wenn man Flachglas mit sehr einfachen Geometrien mit einer entsprechenden Kunststofflösung vergleicht, dann wird die Glaslösung immer günstiger sein. Das war auch ein Grund dafür, warum sich Kunststoff in der Großserie bisher nicht durchgesetzt hat. Je anspruchsvoller jedoch die Anforderungen an Designlösungen werden, desto größer sind die Chancen für den Einsatz von Polycarbonat. Erwarten Sie im Innenraum künftig höherwertigere Materialien?Definitiv. Das Fahrzeuginterieur wird künftig eine stärkere Rolle bei der Markendifferenzierung spielen. Unterschiedlichste Kundenanforderungen an das Fahrzeug machen den Innenraum zudem zum multifunktionalen Lebensraum. Dazu gehören die ästhetische Integration von Infotainment-Systemen und Displays und eine ambiente Beleuchtung, aber auch neue Raumkonzepte mit ultrakompakten Sitzen, die dennoch bequem sind. Durch einen elektrifizierten Antriebsstrang ändert sich auch die Akustik im Fahrzeug. Für die Schalldämmung kommen beispielsweise Akustikschäume aus Polyurethan ins Spiel.Lesen Sie auch:
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