Herr Hofmann, bei der Europawahl wurden die Kräfte gestärkt, die für einen stärkeren Klimaschutz eintreten. Ist das gut oder schlecht für die deutsche Autoindustrie, die immer unter den Vorgaben aus Brüssel ächzt?
Das ist dann gut, wenn es der Autoindustrie weiterhin gelingt Innovationsführer zu sein. Scharfe Vorgaben etwa beim CO2 erzwingen kreative technologische Lösungen. Aber dies wäre allein zu kurz gesprungen. So merken wir auch, dass die Grünen als Profiteure dieser Stimmung durchaus die Nähe zur IG Metall suchen. Sie haben erkannt, dass Klimaschutz nur dann funktionieren kann, wenn gleichzeitig Beschäftigung nicht verloren geht. Wenn die Menschen in der Industrie Klimaschutz nur mit Arbeitsplatzverlust verbinden, dann schadet dies der Akzeptanz und fördert Widerstände.
Haben Sie den Eindruck, dass der Klimaschutz inzwischen in der Autoindustrie selbst ernst genommen wird?
Bei den Elektroantrieben auf jeden Fall. Wir sehen eine deutliche Ausweitung des Modellangebots fast aller Hersteller, das auch durch entsprechende Werksplanungen gestützt wird. Die Industrie stellt um, aber es fehlen die Rahmenbedingungen.
Was fehlt Ihnen konkret?
Wir haben immer noch das Problem, dass die Gesamtbilanz eines Elektroautos beim derzeitigen Energiemix in Deutschland für Jahre schlechter ist als die eines Verbrenners. Da hilft es auch nichts, wenn ich an der Ladesäule Ökostrom tanke, denn unter dem Strich ändert das nichts. Die Energiewende muss mit der Mobilitätswende Schritt halten, sonst schafft das Legitimationsprobleme. Aber es fehlen auch ganz praktische rechtliche Voraussetzungen. So müsste die einfache Installation einer Wallbox innerhalb eines Mehrfamilienhauses ohne die einstimmige Zustimmung der Eigentümergemeinschaft endlich möglich sein.
Aber die E-Autos sind gefragt, die Käufer scheint das nicht zu stören.
Naja, der Anteil bei den Neuzulassungen lag im letzten Jahr immer noch bei mageren ein Prozent Fahrzeugen mit Elektroantrieb und 3,8 Prozent Hybridfahrzeugen. Diese Kunden finden Lösungen. Aber bei einem steigenden Anteil an Elektrofahrzeugen muss gewährleistet sein, dass ich überall in erreichbarer Distanz laden kann und dies möglichst schnell, soll meine Mobilität nicht eingeschränkt werden. Hier brauchen wir, ähnlich wie bei den Kommunikationsnetzen, Flächenausschreibungen, damit es einheitliche Standards gibt. Es ist heute ja noch nicht mal möglich, an allen Ladesäulen auf gleiche Weise zu bezahlen.
Der Hochlauf der Elektromobilität ist in vollem Gang. Was bedeutet dies für die Beschäftigung?
Wir gehen davon aus, dass allein rund um den Antriebsstrang in der Zulieferkette 150.000 Jobs verloren gehen könnten. Wenn Komponenten für die Elektromobilität auf der anderen Seite hinzukommen, kann diese Zahl um maximal 45.000 geringer ausfallen.
Bleibt es dabei?
Sicher nicht. Wir haben massive Auswirkungen auf das Engineering, beispielsweise durch den Wegfall der Vielfalt von Motor- und Getriebevarianten beim Verbrenner. Das merken wir bei vielen Zulieferern jetzt schon. Durch die Digitalisierung und das autonome Fahren gibt es zwar insgesamt eine positive Bilanz – allerdings mit einem extremen Qualifizierungsbedarf, weil ein klassischer Ingenieur nicht so schnell zum Softwareentwickler wird. Da reden wir nochmals von rund 100.000 Jobs, die stark verändert werden oder komplett entfallen. Auch in den Autohäusern und Kfz-Werkstätten werden Arbeitsplätze in Frage gestellt, nicht nur, weil der Ölwechsel und andere Wartungsarbeiten wegfallen. Und nehmen sie die Gießereien: Da kommt eine ganze Branche ins Wanken.
Wird die Lage auch dadurch verschärft, dass viele Unternehmen Tätigkeiten nach Osteuropa verlagern?
Eine Mischkalkulation über Europa hinweg ist inzwischen durchaus üblich. Bei vielen Unternehmen hat es aber ein böses Erwachen gegeben, da die Lohnkosten beispielsweise in Ungarn oder Tschechien zuletzt deutlich gestiegen sind. Der große Vorteil von Deutschland ist nach wie vor die einzigartige Nähe zwischen Entwicklung und Produktion, das gewachsene Ökosystem der automobilen Hersteller und Zulieferbetriebe und die enge Vernetzung zwischen Unternehmen und Hochschulen und Instituten. Das ist unsere Stärke, die Lohnkostenunterschiede kompensieren kann.
Ist der Einstieg in die Batterie-Zellproduktion eine Möglichkeit, neue Wertschöpfung zu schaffen?
Wenn wir keine europäische Batteriezellproduktion haben, hängen wir am Tropf der asiatischen Hersteller. Eine intelligente Batteriezelle wird von der Bedeutung her vergleichbar sein mit einem heute technisch hoch anspruchsvollen Kolben. Die Zelle ist mit ein Alleinstellungsmerkmal für Leistung, Reichweite, Be- und Entladung einer Batterie. Deshalb muss ein Hersteller nah dran sein an der Zelle. Das kann wie bei VW in einem Joint Venture mit bestehenden Zellproduzenten sein. Auch BMW hat angekündigt, solche Kooperationen voranzutreiben. Die anderen werden folgen müssen.
Aber ist die Batterie wirklich so wichtig?
Die Batterie macht 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung eines Elektroautos aus. Daher ist es für die Profitabilität in Zukunft ganz entscheidend, den kompletten Kreislauf zu beherrschen von der Zelle bis zur Zweitverwertung der Batterie als Energiespeicher in einem Haus und dem Recycling der Rohstoffe. Ich gehe davon aus, dass die Hersteller im Vertrieb die Batterie in Zukunft vom Fahrzeug trennen und diese nur noch verleasen werden.
Werden von den Zulieferern nur die großen überleben, weil die sich auf den Wandel einstellen können?
Die Konzentration ist ja schon im vollen Gang. Bei vielen kleineren Unternehmen reicht das Eigenkapital für die erforderlichen Investitionen einfach nicht aus. Wir müssen uns deshalb ein Portfolio an Instrumenten zulegen, um diese einzigartige Struktur mittelständischer Unternehmen zu erhalten.
Was könnte das sein?
Ich plädiere für einen Mittelstandsfonds, der so ähnlich bereits in der Finanzkrise vor zehn Jahren angedacht war. Damit könnten Unternehmen, die eigentlich gesund sind, aber die Transformation nicht stemmen können, Unterstützung bekommen. Auch die Autoindustrie muss ein Interesse daran haben, dieses prägende und lebenswichtige Netzwerk zu erhalten. Sonst kommen die Hastors dieser Welt als Investoren und bringen die Lieferkette ins Wanken. Das kann niemand wollen.
Und wer soll das bezahlen?
Wenn der Staat oder die KfW die ersten Prozentpunkte an Risiken übernimmt, wird die Finanzierung einfacher. Dann kann das über die Verzinsung auch für Investoren interessant werden. Klar ist aber, dass in dem Topf schon einige Milliarden drin sein müssen. Über ein solches Modell ließe sich auch für ein bis zwei Jahre ein professionelles Management für ein Unternehmen finanzieren, denn daran mangelt es oft auch. Wir müssen solche Überlegungen jetzt starten, sonst ist es zu spät.
Wäre das eine Ergänzung zum ebenfalls geforderten Transformations-Kurzarbeitergeld?
Das Transformations-Kurzarbeitergeld halte ich für ganz entscheidend, um für betroffene Standorte ganz konkrete Brücken zu bauen. Wenn die Stückzahlen sinken und die Qualifikation für neue Anforderungen noch nicht da ist, wäre es irrwitzig, diese Fachkräfte auf die Straße zu setzen, wenn die Chance besteht, durch neue Produkte und Prozesse wieder Beschäftigung zu schaffen, für die aber qualifiziert werden muss. Das ist nicht nur im Interesse der Unternehmen, sondern auch der Gesellschaft. Sonst lässt sich der von allen gewünschte Klimaschutz bald in der Arbeitslosenstatistik ablesen.
Wird die Demografie nicht den Wandel abfedern, viele Mitarbeiter gehen ja ohnehin bald in den Ruhestand?
Die Demografie hilft sicher, ist aber keine gesellschaftliche Lösung. Wir wollen ja auch jungen Leuten eine Perspektive in der Branche geben. Wir haben beispielsweise als IG Metall bei Volkswagen großen Wert darauf gelegt, dass sich trotz demografischer Kurve die Belegschaft verjüngt über entsprechende Übernahmen von Auszubildenden und die Einstellung von Hochschulabgängern. Eine innovative Branche wie die Autoindustrie ist auf qualifizierten Nachwuchs angewiesen.
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