Warum wurde WLTP eingeführt?
Bisher wurden in Europa Autos nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus NEFZ zugelassen, der nahezu unverändert seit 1992 galt. In den vergangenen Jahren geriet das Verfahren jedoch immer mehr in die Kritik, da die auf dem Prüfstand gemessenen Abgas- und Verbrauchswerte etwa von CO2 oder NOx weit von den realen Werten im Fahrbetrieb abwichen. Der neue WLTP-Zyklus (Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure) wurde anhand weltweit gesammelter Fahrdaten entwickelt und deckt nun Fahrsituationen vom Innenstadtverkehr bis zur Autobahnfahrt ab. Er dauert länger, ist wesentlich realtitätsnäher und dynamischer, denn er hat deutlich mehr Beschleunigungs- und Bremsvorgänge als sein Vorgänger. Außerdem muss mit höheren Geschwindigkeiten gefahren werden und erstmals werden auch Ausstattungspakete bei dem Test berücksichtigt.In Europa ist der WLTP seit 1. September 2017 Grundlage für die Typgenehmigung neuer Pkw. Ab dem 1. September 2018 müssen in Europa alle neu zugelassenen Pkw nach den WLTP-Kriterien zertifziert sein.
Warum ist das Modellangebot bei Neuwagen dadurch eingeschränkt?
Wer derzeit auf den Konfigurationsseiten der Autohersteller unterwegs ist, wird oft enttäuscht. Viele Varianten sind derzeit nicht erhältlich, weil die Umstellung auf den neuen Prüfzyklus noch nicht geschafft ist. Das liegt an fehlenden Prüfstandskapazitäten, an dem deutlich längeren Genehmigungsverfahren, aber auch an der mangelnden Vorbereitung der Autobauer. So räumte VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh ein, dass die Ingenieure hauptsächlich mit der Aufarbeitung des Dieselskandals und den erforderlichen Software-Updates beschäftigt gewesen seien. Die WLTP-Umstellung hatte da keine Priorität. Aber auch bei Daimler und BMW kommt es zu einem eingeschränkten Modellangebot. So fehlen bei Mercedes bestimmte Variantender Modelle CLA und GLA, weil sich der Aufwand vor dem anstehenden Modellwechsel einfach nicht mehr lohnt. Der 7er-BMW ist sogar ein Jahr lang nicht mehr als Benziner lieferbar. Andererseits muss VW etwa 250.000 Autos zwischenlagern. Sie wurden bereits nach dem neuen Standard produziert, haben aber die offizielle Zulassung noch nicht erhalten und müssen deshalb zurückgehalten werden.
Welche Konsequenzen hat dies für die Konzerne?
Durch das eingeschränkte Modellangebot rechnen die Autobauer im zweiten Halbjahr mit erheblichen Turbulenzen beim Absatz. So hat VW etwa im Juli die Auslieferungen deutlich steigern können, weil alte nach NEFZ zertifizierte Fahrzeuge in den Markt gedrückt und abverkauft wurden. Dies bedeutet aber auch, dass die Zahlen im zweiten Halbjahr deutlich schlechter ausfallen könnten. So rechnet der Volkswagen-Konzern mit Belastungen in Milliardenhöhe durch die WLTP-Umstellung. Auch Daimler hat seine vor wenigen Wochen herausgegebene Gewinnwarnung mit der WLTP-Umstellung begründet. Weil viele Wunschautos für Kunden nicht verfügbar sind, werden diesen Alternativen mit Preisabschlägen schmackhaft gemacht. Dies wiederum schlägt sich negativ auf den Gewinn und die Rendite nieder. In der Daimler-Halbjahresbilanz war daher von einer "temporär schwächeren Preisdurchsetzung" die Rede.Der Betriebsgewinn (Ebit) des Konzerns werde wegen dieser Entwicklungen voraussichtlich leicht unter dem Vorjahresniveau liegen, hieß es. Bisher war ein Ebit leicht über dem 2017er-Wert von 14,7 Milliarden Euro angepeilt worden. Volkswagen und BMW beispielsweise halten aber trotz der Turbulenzen an ihren Prognosen fest.
Wie wirkt sich WLTP auf die Kfz-Steuer aus?
Die Kfz-Steuer wird für neu zugelassene Pkw von 1. September an nach den WLTP-Werten berechnet. Bei der Steuer ist der Kohlendioxid-Ausstoß ein entscheidender Faktor. Auf den hubraumbezogenen Sockelbetrag schlägt der Staat eine CO2-Abgabe von zwei Euro für jedes Gramm über dem steuerfreien Grenzwert von 95 g/km drauf. Dies macht sich bei der WLTP-Umstellung bemerkbar, da die Emissionen im realitätsnäheren Test deutlich steigen. Experten gehen im Schnitt von einem Zuschlag in Höhe von 20 Prozent aus. Nach ADAC-Rechnungen steigt die Kfz-Steuer für einzelne Modelle sogar mehr um mehr als 70 Prozent. Der Staat werde durch die neue Systematik Mehreinnahmen erzielen, so der ADAC-Vizepräsident für Verkehr, Klaus Becker. "Diese müssen zwingend in eine bessere Mobilität für Deutschland reinvestiert werden."
Was bedeutet WLTP für die Dienstwagenflotten?
Viele Unternehmen haben für Dienstwagen beim CO2-Ausstoß eine Obergrenze definiert. Weil durch WLTP der Ausstoß auf dem Papier aber um durchschnittlich 20 Prozent höher liegt, könnte es in den Fuhrparks der Republik zu deutlichen Verschiebungen kommen. "Sollten die Flottenbetreiber ihre CO2-Grenzen mit der Umstellung auf die neuen WLTP-korrelierten Werte nicht anpassen, wird es eine Verschiebung hin zu kleineren Motoren beziehungsweise Modellreihen geben", sagt Thomas Emmert, Chef von Sixt Mobility Consulting. Die Frage werde sein, ob "Unternehmen in Kauf nehmen, dass Dienstwagen-Modelle herausfallen, die für Mitarbeiterzufriedenheit und Personalanwerbung wichtig sind", oder ob CO2-Grenzen entsprechend angepasst werden. Einer Umfrage der Denkfabrik Corporate Vehicle Observatory (CVO) des französischen Flottendienstleisters Arval zufolge gehen in Deutschland nur 16 Prozent der Unternehmen davon aus, dass WLTP Einfluss auf ihre Car Policy haben wird, europaweit sind es jedoch 44 Prozent. Der Autobauer Daimler fürchtet dadurch Nachteile: "Das verzerrt den Markt, weil Flottenbetreiber dann auf kleinere Motoren und konkurrierende Marken ausweichen könnten", so ein Daimler-Mitarbeiter. Profitieren könnte der VW-Konzern, der bei der Umstellung spät dran ist und die Werte nach dem alten Prüfzyklus NEFZ ausweisen kann, die niedriger ausfallen.
Wie werden die neuen Autos gekennzeichnet?
Es ist zwar ein Nebenkriegsschauplatz, doch auch er könnte den Autobauern weh tun. Denn noch fehlen die für Zulassung nach WLTP notwendigen gesetzlichen Anpassungen der Verbraucherinformationen. So muss der Verbrauch von Fahrzeugen etwa im Autohaus oder in der Werbung stets gekennzeichnet werden. Die dafür maßgebliche Energie-Kennzeichnungsverordnung (Pkw-EnVKV) wird nach Informationen der Automobilwoche frühestens im April oder Mai 2019 reformiert. Bis dahin gelten laut dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium die alten NEFZ-Werte. Die WLTP-Werte können aber bereits zusätzlich mitgeliefert werden. Genau hier liegt das Problem. "Die freiwillige vorzeitige Angabe von WLTP-Werten birgt rechtliche Risiken für die Fahrzeughersteller (Abmahnungen), heißt es in einem internen Daimler-Papier, das der Automobilwoche vorliegt. "Wir rechnen mit einer Abmahnwelle durch Verbraucherschutzorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe", so ein VW-Händler. Diese erzielt mit den Abmahnungen wegen falscher Angaben jährliche Einnahmen in Millionenhöhe.
Was wollen die Hersteller gegen die Komplexität tun?
Der Aufwand der Hersteller für eine Typprüfung hat sich deutlich erhöht. So erklärt etwa der Volkswagen-Konzern, die Typprüfung nach WLTP dauere im Vergleich zu NEFZ vier bis fünf Wochen länger. So habe sich allein die Zeit auf dem Prüfstand verdoppelt, die Anzahl der Messungen verdreifacht. Schon die zusätzliche Bearbeitungszeit für die Verarbeitung der WLTP-Daten betrage ein bis zwei Wochen. Der VW-Konzern muss dabei rund 260 Motor- und Getriebevarianten prüfen, bei BMW und Daimler sind es etwa 200. Diese erhöhte Komplexität versuchen die Unternehmen mit einer Reduzierung der Variantenvielfalt zu entgegnen. "Die Umstellung auf WLTP zwingt uns zu priorisieren. Da setzt sich bei Getriebevarianten und Leistungsstufen letztlich durch, wer die größten Stückzahlen hat", sagt ein Audi-Sprecher. So werde der neue Audi A6 vorerst nicht mit Handschaltung erhältlich sein. Nicht wenige Varianten fliegen aber dauerhaft aus dem Programm, um die WLTP-Belastungen in Zukunft zu reduzieren. "Dann gibt es eben nicht mehr fünfDieselvarianten, sondern nur noch zwei oder drei", sagte BMW-Finanzchef Nicolas Peter im Automobilwoche-Interview.
Wie wirkt sich WLTP auf die CO2-Ziele aus?
Die CO2-Ziele der Europäischen Union sind ambitioniert. Bis Ende 2020 müssen die Hersteller in Europa einen Flottenverbrauch von bis zu 95 Gramm/Kilometer bei verkauften Neuwagen erreichen. Diese Vorgabe basiert auf dem alten NEFZ-Zyklus. Durch die Umstellung auf WLTP steigen die Werte rein rechnerisch zunächst an – Experten gehen von rund 20 Prozent Zunahme aus. Da aber ein genauer Durchschnittswert nicht vorliegen wird, bevor alle Fahrzeuge nach dem WLTP-Verfahren zertifiziert sind, hat sich die Europäische Kommission mit Blick auf ihre CO2-Gesetzgebung bis Ende 2020 entschieden, nicht den CO2-Grenzwert für neue Pkw-Modelle anzupassen, sondern deren im WLTP ermittelte Emissionen jeweils zurückzurechnen, als wären sie NEFZ-Werte. Dies soll mit Hilfe einer eigens entwickelten Software geschehen. Der VDA geht davon aus, dass die zurückgerechneten NEFZ-Werte wegen den strengeren WLTP-Rahmenbedingungen leicht höher ausfallen als gemäß dem ursprünglichen Testablauf. Erreichbar werden die Ziele daher nur durch einen gesteigerten Anteil an elektrifizierten Fahrzeugen. Dies gilt insbesondere für die Zeit von 2021 bis 2030, in der der CO2-Ausstoß nochmals um voraussichtlich 30 Prozent sinken soll.
Warum nehmen Plug-In-Hybride eine Sonderrolle ein?
Eine größere Änderung bedeutet die WLTP-Einführung für Plug-in-Hybridfahrzeuge, die sowohl einen Elektroantrieb als auch einen Verbrennungsmotor haben und an der Steckdose aufgeladen werden können. Sie glänzten bisher durch einen äußerst niedrigen Verbrauch, der aber nur auf dem Papier bestand und im realen Mix zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor selten erreicht wurde. Im WLTP-Test müssen Plug-In-Hybride nun so oft fahren, bis ihre Batterie komplett leer ist. Die Emissionen werden bei jedem Zyklus gemessen. Zum Vergleich erfolgt noch eine Messung mit reinem Verbrenner-Betrieb. Mit dieser mehrstufigen Messung können neben dem
Kraftstoffverbrauch und den CO2-Emissionen auch die elektrische Reichweite und die Gesamtreichweite präziser ermittelt werden. Der auszuweisende CO2-Wert wird berechnet, in dem die elektrische Reichweite ins Verhältnis zur Gesamtreichweite gesetzt wird. Dabei wird ein sogenannter "Utility Factor" (UF), also Nutzenfaktor ermittelt wird. Der UF repräsentiert den Anteil der Fahrten, die elektrisch zurückgelegt werden. Bei einem reinen E-Fahrzeug gilt ein UF von 100 Prozent, bei einem klassischen Verbrennungsmotor beträgt der UF 0 Prozent. Bei einem Plug-in-Hybridfahrzeug steigt der UF mit dessen elektrischer Reichweite.Lesen Sie auch:
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