Es ist das erste Mal, das ZF-Chef Wolf-Henning Scheider im Wirtschaftspresseclub in Stuttgart zu Besuch ist. Über eineinhalb Stunden nimmt er sich Zeit, um den Journalisten die Strategie seines Unternehmens und die Krise der Branche zu erläutern. Sein Vorgänger Stefan Sommer hatte am gleichen Ort vor drei Jahren noch prognostiziert, bei ZF könnten inklusive aller nachgeordneten Lieferanten bis zu 100.000 Jobs während der Transformation zur E-Mobilität verloren gehen. Heute ist die Einschätzung eine völlig andere.
Scheider überlegt, bevor er die Frage nach dem zu erwartenden Stellenabbau beantwortet. Und macht eine Aussage, die so nicht der gängigen Meinung entspricht. "Das Gesamtfahrzeug wird in Zukunft nicht weniger komplex, die Wertschöpfung nicht geringer sein", sagt er und widerspricht damit Experten, die generell weniger Komponenten sehen als im Verbrenner. Als Beispiel dafür nennt er die von ZF entwickelte Recheneinheit Pro AI, die eine hohe Rechenleistung und künstliche Intelligenz (KI) für automatisierte Fahrfunktionen verbindet. Dabei handle es sich nur um eine Komponente, deren Wert aber um ein Vielfaches höher liege als bei einfachen Teilen der Vergangenheit.
Scheider rechnet daher damit, dass die Zahl der Jobs über die nächsten Jahre hinweg gleich bleibe. Er schränkt allerdings ein: „Die Kompetenzen werden sich dramatisch verlagern“. Soll heißen: Während Mitarbeiter in der Produktion für einfache Verbrenner-Komponenten weniger gesucht sein werden, kommen neue Jobs in den Bereichen automatisiertes Fahren, Konnektivität oder E-Mobilität hinzu. Dies bedeute jedoch auch, dass es für manch kleineren Partner und Lieferanten von ZF in Zukunft schwierig werden könnte.
Auch am ZF-Stammsitz in Friedrichshafen ist die Unsicherheit angesichts der aktuellen Konjunkturdelle groß. Wiederholt hat der Betriebsrat gegen angeblich geplante Stellenstreichungen mobil gemacht. Scheider versucht, die Gemüter zu beruhigen. Teilweise seien falsche Informationen in die Öffentlichkeit gelangt. "Es ist Teil unserer Stiftungskultur, dass wir in seiner solchen Situation alle Mitarbeiter mitnehmen wollen", sagt er.
Von einem Stellenabbau in Deutschland ist daher nicht die Rede. Nur in China könnten Jobs gestrichen werden. Stattdessen sollen alle Maßnahmen der Flexibilisierung genutzt werden. So sind beispielsweise in einigen Werken die Weihnachtsferien verlängert worden. Es gibt zusätzliche Schließtage, die Zeitkonten werden leer geräumt. Die Führungskräfte hätten bereits einer Verschiebung der Gehaltssteigerungen zugestimmt. Dennoch wollte Scheider auch Kurzarbeit nicht ausschließen, sollte sich die Situation auf längere Sicht nicht verbessern.
Für 2019 rechnet Scheider allenfalls mit einem Umsatz auf Vorjahresniveau von rund 37 Milliarden Euro. Die EBIT-Marge soll statt 5,6 Prozent nur noch zwischen vier und fünf Prozent erreichen. Auch der Nutzfahrzeugmarkt befinde ich im Rückwärtsmodus. "Für 2020 rechne ich mit keiner Verbesserung", sagt Scheider. ZF beschäftigte Anfang des Jahres weltweit knapp 150.000 Mitarbeiter.