Covid-19 hat die Automobilindustrie als eine der deutschen Kernindustrien in besonderem Maße getroffen. Nicht nur der Verkaufsbereich musste über Wochen geschlossen bleiben, auch die Produktionsstätten wurden gestoppt. Die Folgen liegen auf der Hand: Autoverkäufe sowie Zulassungszahlen brachen ein – und das weltweit. Mittlerweile sind die Autohäuser hierzulande wieder geöffnet, müssen sich aber an strenge Regeln halten. Auch weil die Branche stark an globale Lieferketten gebunden ist, bleiben die deutschen Unternehmen in Lauerstellung und fürchten einen Wiederanstieg der weltweiten Fallzahlen. Denn das beträfe die Autoindustrie unter Umständen von der Supply-Chain über die Produktion und den Vertrieb bis hin zum Endkunden in nahezu allen Bereichen. In der Produktion sind Lagerbestände aus Kostengründen schon seit jeher auf ein absolutes Minimum beschränkt. Zusätzlich dazu läuft die Produktion Gefahr, stillgelegt zu werden, sollte ein Nachschub an Teilen ausbleiben. Auch wenn der Geschäftsbetrieb in den Autohäusern mittlerweile wieder Fahrt aufnimmt, bleiben Spontanbesuche eher aus und der Kundenkontakt ist weiterhin fragil. Trotz digitaler Lösungen, wie Videochat-Sprechstunden, verdeutlicht die Krise in ganz besonders drastischer Art und Weise, wie essentiell nun digitalisierte Customer Journeys, Online-Livestreams und Omnichannel-Kaufmöglichkeiten sind. Denn nicht nur Industrie, sondern auch Endkunden sind verunsichert, weshalb sich das Kaufverhalten immer weiter hin zu Online bewegt.
So gelingt es der Autoindustrie, die Krise nachhaltig zu meistern
Die Pandemie und die Auswirkungen, die diese auf die Automobilindustrie hat, stellt die Branche vor besondere Herausforderungen. Um ihr Geschäft aufrecht zu erhalten und die staatlich festgelegten Richtlinien einzuhalten, müssen die Abläufe langfristig angepasst werden: Von Hygienemaßnahmen, der Einhaltung von Sicherheitsabständen, der Vermeidung von Stoßzeiten in der Kantine bis hin zu kontaktfreien Übergaben und Desinfizierung von Fahrzeugen im Verkauf sind nahezu alle Wertschöpfungsstufen betroffen. Zwei übergreifende Leitlinien helfen die Maßnahmen umzusetzen:
Da uns die Covid-19-Krise noch eine Weile beschäftigen wird, müssen sich auch die wirtschaftlichen Strukturen nachhaltig anpassen. Die dadurch entstehenden kurzfristigen Veränderungen sollten gleichzeitig auf die Post-Corona-Welt einzahlen, in der sich die Anforderungen langfristig niederlegen. Nur so zahlen sich die jetzt getätigten Veränderungen auch aus.
Bereits bevor sich Corona zur Pandemie entwickelt hat, war für die Automobilindustrie klar, dass die Zukunft in der Technologie liegt – nicht zuletzt durch den von Tesla ausgehenden Druck zur Transformation der Branche. Die Zögerlichkeit der Industrie rächt sich nun gnadenlos. Doch was genau kennzeichnet einen Tech-Konzern? Es ist die digitale Exzellenz, die nicht nur das Produkt betrifft, sondern die gesamte Wertschöpfungskette umfasst. Für den erfolgreichen Einsatz digitaler Technologien müssen auch die Arbeits- und Organisationsstrukturen entsprechend agil und flexibel gestaltet sein. Fest steht: Wer die Digitalisierung von Vertriebskanälen und Kundenkontaktpunkten in der Vergangenheit gar nicht bis halbherzig vorantrieb, hat durch die Schließungen den Kontakt zum Endkunden von heute auf morgen verloren.
Eine besondere Herausforderung für die konkreten Maßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Die Lieferketten sind in der Automobilindustrie nicht nur global verteilt, sondern auch über viele Zulieferebenen verzweigt. Ein Produktionsausfall auf einer Ebene hat deshalb weitreichende Auswirkungen und die Fertigstellung eines Fahrzeugs hängt im Extremfall an einem einzigen Teilchen. Hier braucht es Transparenz und Realtime-End-To-End-Tracking-Lösungen, um die Lieferketten besser gegen Produktionsausfälle abzusichern. In diesem Zuge sollten Kernkompetenzen wie Software-Entwicklung stärker in die Automobilhersteller integriert werden.
Für die Produktion gelten verschärfte Hygieneanforderungen. Abstandsregeln müssen eingehalten, Schutzkleidung getragen und Desinfektionsmaßnahmen befolgt werden. Auch Schichtpläne müssen getrackt werden, um das Ansteckungsrisiko für die eigenen Mitarbeiter zu minimieren. Langfristig gesehen, wird die Produktion durch einen verstärkten Einsatz von IoT noch weiter vernetzt und flexibler werden – nicht zuletzt geht damit auch eine digitale Befähigung der Mitarbeiter einher. Neben Lohnkostenbetrachtungen und geostrategischen Überlegungen wird zukünftig der digitale Reifegrad des Standortes immer wichtiger.
Digitale Vertriebskanäle und Kontaktpunkte werden noch nicht überall konsequent gepflegt, obwohl der Kaufprozess immer digitaler wird – insbesondere bei Vorabrecherchen eines interessierten Käufers zu einem bestimmten Modell. Sei es der Abgleich von Wunschkonfigurationen, digitale Terminbuchungen für Beratungsgespräche, Probefahrten oder Produktpräsentationen per Video-Chat – genau jetzt ist die Zeit, um aus dem Nischendasein auszubrechen und sich auch für die Zeit nach Corona digital aufzustellen. So können Automobilunternehmen ihren Vertriebspartnern nun auch Softwarelösungen zur Verfügung stellen. Zusätzlich erlernen die Vertriebspartner durch Infopakete oder Online-Trainings Erfahrungswerte und Best Practices. Hastige Digitalisierungsaktionen sollten in ein ganzheitliches und auf den Kunden ausgerichtetes Gesamtkonzept integriert werden. Entsprechende Softwarelösungen schaffen hier Abhilfe. Insgesamt geht der Vertrieb weg vom klassischen Verkäufer hin zum Berater und Problemlöser.
Die wirtschaftliche Lage ist weiterhin unsicher, was sich auch auf das Kaufverhalten der Kunden überträgt. Gerade ein Fahrzeugkauf ist kostenintensiv, weshalb einem Kauf grundsätzlich sehr abgewogene Entscheidungen seitens des Kunden vorausgehen. Unternehmen können für Kunden durch attraktive Finanzierungsangebote und eine kostenlose Absicherung die Risiken spürbar minimieren. Gerade für die junge Zielgruppe kommen eventuell Subskriptionsmodelle ("Auto-Flatrates") als Alternative zur klassischen Finanzierung in Frage. Außerdem sorgen spezielle Service-Angebote wie eine kontaktlose Fahrzeugübergabe oder ein zusätzlicher Desinfektions-Service für eine erhöhte Bindung, da sich der Kunde verstanden und in seinen Bedenken ernst genommen fühlt.
Corona zeigt, dass Mobilität in Zukunft stärker auf den Nutzen hinterfragt werden muss. Denn ein insgesamt sinkender Bedarf an Individual-Mobilität durch das Auto hat auch einen sinkenden Bedarf an Fahrzeugen zur Folge. Andererseits steigt aber auch der Anspruch an Mobilität. Ein eigenes Fahrzeug ermöglicht einen hohen Hygienestandard, Privatsphäre und Abstand. Die Automobilbranche wird Corona-bedingt vor allem in der Zeit danach verstärkt in die Pflicht genommen werden, um die Umweltbelastung in Städten, die durch Autos maßgeblich beeinflusst wird, zu mindern. Umweltschonendere Antriebe, wie beispielsweise E-Autos, und intelligente Verkehrskonzepte in Städten sind gefragter denn je. Die Automobilbranche stand auch vor Corona schon vor großen Herausforderungen: Auf der einen Seite steht die Forderung zu Elektro-Fahrzeugen, auf der anderen Seite die Notwendigkeit der "digitalen Exzellenz" durch Softwarelösungen in der gesamten Wertschöpfung. Covid-19 verschärft diese Herausforderungen. Wer jetzt seine Hausaufgaben macht und sich zukunftsgerichtet aufstellt, wird die Corona-Krise nicht nur überleben, sondern langfristig als Gewinner aus ihr hervorgehen.