Dichter Nebel behindert die Sicht und der Morgentau rollt in dicken Tropfen von Jochen Hermanns aktuellem Dienstwagen - der Sommer ist vorbei in der Eifel, und selbst im Traum würde heute niemand freiwillig seinen Roadster aus der Garage holen. Schon gar nicht um 7.30 Uhr morgens. Außer er ist Technikchef bei AMG und legt letzte Hand an eine Legende.
Trotz der kalten und ungemütlichen Morgenstunden sitzt Jochen Hermann deshalb am Steuer eines ziemlich finalen Prototypen des Mercedes SL. Denn die Zeit drängt: Noch in diesem Herbst wollen die Schwaben offiziell das Tuch vom lange erwarteten Nachfolger ziehen, und pünktlich zum Beginn der nächsten Open-Air-Saison soll er gegen Autos wie den Achter BMW oder den Porsche 911 verlorenen Boden gut machen.
Auch wenn es für den Chefingenieur wie eine Vergnügungsfahrt aussieht, steht das Projekt unter großem Druck: Der SL ist nicht nur DER Mercedes schlechthin und eine echte Legende seit dem Flügeltürer aus den 1950er Jahren. Es ist auch das erste Mal, dass AMG allein die Verantwortung für die Entwicklung übernommen hat. Und da die letzten beiden Generationen nicht gerade die erfolgreichsten und beliebtesten waren, musste der Schuss diesmal sitzen.
Deshalb hat AMG den Reset-Knopf gedrückt und den SL zu seinen Wurzeln zurückgebracht. Oder zumindest ein wenig näher an das heran, was einst als bester Sportwagen der Welt galt. Das beginnt mit dem Comeback des Textilverdecks anstelle des Klapphelms, was knackigere Proportionen mit sich bringt, besser zur Tradition passt und auch noch ein paar der überzähligen Pfunde schwinden lassen dürfte. Es geht weiter mit den beiden zusätzlichen Plätzen in der zweiten Reihe wie weiland im R129, die zwar nur Zwerge als Sitze bezeichnen würden, die sich aber immerhin als zusätzlicher Stauraum eignen. Und das endet in einem Fahrgefühl, das endlich wieder einnehmend und begeisternd ist.