Herr Zitzelsberger, auch von den Gewerkschaften kommen Szenarien zum Stellenabbau angesichts des Abschieds vom Verbrennungsmotor. Kommt es wirklich so schlimm?
Im Moment fokussiert sich alles auf das Thema Elektromobilität. Das ist für uns auch das wichtigste, weil es die Beschäftigung vom Motor bis hin zu den Abgasanlagen bei Herstellern und Zulieferern am stärksten betreffen könnte. Aber man muss das Thema in der ganzen Breite sehen. Erst in der Gesamtschau mit dem vernetzten und autonomen Fahren sowie neuen Mobilitätsdiensten wird klar, wie sehr sich das Automobil in den nächsten zehn bis 15 Jahren verändern wird.
Spüren Sie die Verunsicherung in den Betrieben – oder ist da auch Aufbruchsstimmung?
Im Moment sehe ich eher eine große Verunsicherung. Es geht ja nicht nur um diejenigen, die heute Kolben gießen oder Zahnräder drehen, sondern auch um die ganzen Vorbereiche wie etwa Forschung und Entwicklung für Verbrennungsmotoren. Die Chancen dagegen sind eher abstrakt in die Zukunft gerichtet. Aber klar ist, dass auch neue, interessante Jobs entstehen. Wir müssen den Wandel so begleiten, dass die derzeit Beschäftigten nicht auf der Strecke bleiben und es auch für zukünftige Generationen ausreichend Arbeitsplätze in der Branche gibt.
Wie viele Stellen könnten denn tatsächlich wegfallen?
Je nach Einschätzung braucht es nur ein Siebtel der Jobs, um den Antrieb eines Fahrzeugs mit Elektromotor herzustellen. Aber wir untersuchen derzeit in einer Studie die tatsächlichen Auswirkungen unter der Annahme eines Anteils rein elektrischer Fahrzeuge von 15 bis 25 Prozent bis 2025. Was bedeutet das für die Standorte? Haben die Unternehmen eine Zukunftsstrategie? Die Beschäftigten wollen eine realistische Einschätzung für ihre jeweiligen Betriebe. Es sind ja viele Bereiche tangiert. Beispielsweise hängt die Hälfte dessen, was Werkzeugmaschinenbauer auf den Markt bringen, heute am Antriebsstrang.
Wird der Übergang zur E-Mobilität schneller gehen als zunächst gedacht?
2013 haben wir noch damit gerechnet, dass es 2030 zehn Prozent reine E-Fahrzeuge gibt, jetzt rechnen wir mit deutlich mehr. Das heißt aber trotzdem, das 2025 noch Dreiviertel aller Fahrzeuge reine Verbrenner oder Hybrid-Fahrzeuge sind. Außerdem wächst der weltweite Fahrzeugmarkt weiter. Was nach 2025 passiert, gleicht einem Blick in die Glaskugel.
Braucht es überhaupt noch eine neue Generation von Verbrennungsmotoren?
Ich bin felsenfest überzeugt, dass es noch mindestens zwei oder drei Generationen konventioneller Motoren geben wird – schon allein, weil die schärferen Emissionsvorgaben sonst nicht erreichbar wären. Daimler hat es beispielsweise geschafft, mit einem neuen Dieselmotor den Stickoxid-Ausstoß um 80 Prozent zu reduzieren. Außerdem werden die Flottenverbräuche ohne hocheffiziente Diesel nicht erreichbar sein.
Das ließe sich durch einen entsprechenden Anteil an Elektrofahrzeugen doch ausgleichen, oder?
Das kann ich mir nicht vorstellen, weil für einen so schnellen Hochlauf die Infrastruktur gar nicht vorhanden ist. Außerdem müssen wir die gesamte Klimabilanz im Auge behalten und dürfen nicht nur auf den Auspuff schauen. Es nützt ja nichts, mehr Elektroautos zu haben, um die Flottenverbräuche zu senken, und gleichzeitig zwei neue konventionelle Kraftwerke ans Netz zu bringen. Wir drängen daher darauf, eine vernünftige Abgasnorm-Politik zu machen mit einer CO2-Reduktion um jährlich 1,5 Prozent von 2020 bis 2030.
Elektromobilität bedeutet weniger Komponenten. Führt das auch zu verschärfter Konkurrenz der Unternehmensstandorte untereinander?
Es wird eine komplette Neusortierung geben in der Frage, was machen die Hersteller selber und was machen die Zulieferer – und wo machen sie es. Was die Batteriefertigung angeht, bin ich eher entspannt. Es wird völlig unmöglich sein, Batterien in einer Größenordnung von mehreren Hunderttausend Stück und mit einem Gewicht von jeweils bis zu 700 Kilogramm durch die Republik zu fahren. Das wird immer möglichst nah an der eigentlichen Fahrzeugproduktion stattfinden müssen.
Was sollen denn die Hersteller selbst machen?
Mein Blick als IG-Metaller geht entlang der ganzen Wertschöpfungskette – vom OEM bis zum Zulieferer der zweiten und dritten Generation. Schon aus Kostengründen werden die Hersteller versuchen, viele Dinge auszulagern. Am Ende kommt es darauf an, in allen Betrieben so viel Beschäftigung wie möglich zu halten. Hier ist eine vernünftige Verteilung entlang der Kompetenzen notwendig. Wer als Zulieferer etwa Erfahrung hat bei der Kühlung eines Verbrenners kann das auch bei der Batterie einbringen.
Sehen Sie eine doppelten Effekt bei der E-Mobilität: Weniger Komponenten und eine hochautomatisierte Fertigung?
Bei der Batterieherstellung ist Automatisierung sicher ein Thema, bei der Montage der Komponenten im Auto wird dies nicht weniger beschäftigungsintensiv sein als heute. Da geht der Trend eher zu mehr Flexibilität durch den Menschen und Zusammenarbeit mit dem Roboter. Die Variantenvielfalt und Ausstattungsmöglichkeiten begrenzen die Automatisierung. Bei einer reinen Solitärfertigung wie beispielsweise dem geplanten Tesla Model 3 mag das anders sein.
Derzeit bauen die Hersteller im Bereich automatisiertes Fahren oder neue Mobilitätsdienste Beschäftigung auf. Kann das den Wegfall im Bereich Verbrenner kompensieren?
Ich bin überzeugt, dass die Umsätze in Zukunft zu einem deutlich gestiegenen Anteil über Dienste kommen werden. Im Lkw etwa lassen sich bereits heute Vitalwerte am Sitz messen. Die Funktion ist vorhanden, aber die Freischaltung muss dann vom Kunden bezahlt werden. Es gibt eine Verschiebung von Hardware zu Software. Entscheidend ist, dass die Hersteller das auf dem Schirm haben, sonst schöpfen andere den Rahm ab. Was das in der Gesamtschau für Jobs bedeutet, lässt sich heute noch nicht sagen.
Haben ungelernte Arbeiter überhaupt noch eine Perspektive?
Aber sicher. Die werden in einer immer komplexeren Montage durchaus noch gebraucht. Entscheidend wird sein, dass die Arbeitsorganisation lernförderlicher wird. Zum Beispiel mit Tablets, über die Informationen zu einem Assistenzsystem abgerufen werden können. So kann ein Beschäftigter Dinge hinzulernen und sich weiterqualifizieren. Darüber hinaus muss es arbeitsplatzunabhängige Weiterbildungen geben. Das bedeutet aber nicht, in jedem Fall ein halbes Jahr auf eine Schule geschickt zu werden.
Viele Unternehmen wollen eine neue Innovationskultur etablieren, beklagen aber die starren Arbeitsregeln. Bremsen die Gewerkschaften also?
Die Arbeitgeber tun so, als würde die komplette Arbeitswelt umgekrempelt. Das ist kompletter Unfug. Viele Menschen werden auch in Zukunft in restriktiven Bereichen mit Präsenzpflicht arbeiten. Wo mobiles Arbeiten entsteht, haben wir heute schon andere Regeln. Aber Gesetze wie die elfstündige Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern dienen dem Schutz der Beschäftigten.
Heute will ein Mitarbeiter sich vielleicht nachmittags um die Kinder kümmern und später nochmals den PC anwerfen.
Wenn es um konkrete Aufgaben geht, sind wir durchaus zu Gesprächen bereit. Was ist mit dem Mitarbeiter, der vormittags fünf Stunden im Unternehmen arbeitet, dann frei hat, am Abend noch einige Mails liest und am nächsten Morgen im Flieger sitzt zu einem Meeting? Da ist ja klar, dass nicht mit jedem Mailcheck am Abend wieder die Uhr für die Ruhepause anlaufen kann. Aber es bleibt der Eindruck, dass es den Arbeitgebern darum geht, Schutzrechte generell auszuhebeln.
In Stuttgart wird es 2018 erste Fahrverbote für Dieselfahrzeuge geben. Ist das eine Lösung im Sinne der IG Metall?
Ich halte dies nicht für die beste Lösung, auch wenn ich den Handlungsdruck sehe. Wenn zwischen Flensburg und Garmisch und zwischen Bautzen und Völklingen jede Kommune das auf eigene Weise löst, dann sind wir wieder in Zeiten des Deutschen Bundes. Wir setzen uns dafür ein, dass es eine Regelung auf Bundesebene gibt, die mit dem Vorschlag für eine Blaue Plakette ja bereits gefunden ist.
Aber Bundesverkehrsminister Dobrindt will diese Regelung nicht.
Dann muss man ihn halt noch gemeinsam schütteln. Es ist jedenfalls Quatsch, die Länder und Kommunen in dieser Frage allein zu lassen. Welches Bild geben wir denn in der Welt ab? Zudem wird bei den Fahrverboten auch die soziale Frage ausgeblendet. Wenn sich ein Beschäftigter 2014 einen Euro-5-Diesel gekauft hat und jeden Tag von Esslingen nach Stuttgart pendeln muss, dann hat er bald ein Problem.
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