Herr Freund, wie zufrieden sind Sie mit dem Digitalisierungsstand der Automobil- und Zulieferindustrie?
Bei den Zulieferern ist das wie auch in der gesamten Automobilindustrie sehr unterschiedlich. Es gibt so genannte Leuchttürme, die mit ihren Digitalisierungsansätzen sehr weit vorne stehen – auch bei den Zuliefererunternehmen, deren Fokus auf das Engineering gerichtet ist und die heute schon viel Entwicklungsarbeit für ihre Kunden, die Fahrzeughersteller, übernehmen.
Sind das vor allem die großen Zulieferer?
Nicht unbedingt – und das ist tatsächlich auch nicht nur ein Thema der Zulieferer und es ist auch keine Frage der Größe eines Unternehmens. Es gibt einige Unternehmen, die schon sehr weit sind, also Vorreiter sind, weil sie schon seit Jahren eine Digitalisierungsstrategie verfolgen. Aber richtig schlechte Unternehmen im Bereich Digitalisierung gibt es eigentlich nicht. Es gibt eher welche, die über die Jahre eine hohe Komplexität in ihrer Infrastruktur und ihrer Systemwelt aufgebaut haben. Solche Unternehmen haben es traditionell schwerer, die Umstellung zeitnah hinzubekommen. Wenn dann nicht konsequent angegangen wird, Altsysteme digitalisierungsfähig zu machen, müssen Altsysteme auf einen neuen Systempfad, beispielsweise PLM-Produkte von Siemens, umgestellt werden. Wir haben viel Erfahrung in jedem der Geschäftsprozesse mit unterschiedlichen Systemen, geeignete Migrationen oder neue Pfade umzusetzen, so dass eine durchgängige Digitalisierungsstrategie über die Zeit umsetzbar wird.
Welche Rolle spielt bei Ihnen der Mittelstand?
Wir arbeiten mit dem Mittelstand sehr eng und erfolgreich seit vielen Jahren zusammen. So mancher Mittelständler gleicht fehlende Größe durch viel Engagement, Ideenreichtum und Geschwindigkeit aus. Davon partizipiert der ganze Markt. Wir von Siemens haben bereits heute schon einen langfristig erfolgreichen Geschäfts- beziehungsweise Betreuungsbereich, der die digitale Erfahrungen unserer Kunden, zum Beispiel aus dem Großkonzernbereich, für kleine und mittelständische Unternehmen anwendbar und nutzbar macht.
Wie sehen Sie die Position von Siemens PLM Software im Bereich Digitalisierung entlang des gesamten Produktlebenszyklus?
Wir sind derzeit das einzige Softwarehaus, das diese Durchgängigkeit aus einer Hand abbilden kann. In der Implementierung und Projektdienstleistung arbeiten wir natürlich auch mit unseren strategischen Partnern zusammen, aber wenn wir auf den Produktlebenszyklus schauen, dann wird die Digitalisierung vor allem durch unsere ganzheitliche Produktpalette gekennzeichnet. Das fängt beim Anforderungsmanagement an und geht über Design, Simulation, Produktion bis hin zum gesamten After-Sales-Bereich.
Interessieren sich die Kunden bei Ihnen für eine durchgängige Lösung oder fragen sie eher Teillösungen nach?
Sowohl als auch. Es gibt Kunden, die mit uns in Digitalisierung-Reifegrad-Ermittlungen gehen, in der sie sich mit uns ihre Wertschöpfungskette anschauen und daraus durchgängige Projekte zur Digitalisierungsstrategie ableiten. Aber es gibt auch viele Kunden, die beispielsweise ein Problem mit ihrer Simulation haben und zu spät, zumeist in den Folgeprozessen wie der Produktion, erkennen wo ein Fehler im Vergleich zur ursprünglichen Planung steckt. Hier bieten wir spezielle Simulationsprogramme, um solche Erkenntnisse bereits vor einer Produktionssetzung heraus zu bearbeiten und zu beheben, bevor sie in der Realität passieren. Das ist der Grundgedanke des Digitalen Zwillings. Virtuell durchgängig zu planen und die gesamte Prozesskette zu simulieren, bevor die Umsetzung in der realen Welt erfolgt. Am Ende muss auch nicht immer ein umfassendes Gesamtprojekt entstehen; wir haben viele Erfahrungen darin, die Digitalisierung bei unseren Kunden agil und im Schritt-für-Schritt-Verfahren sinnvoll wachsen und entstehen zu lassen. Insbesondere sind heute zügige Entwicklungen und zeitnahe Umsetzbarkeit im Geschäft wichtiger denn je.
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