Raus aus der Wohngemeinschaft

Vor wenigen Wochen hat die Lkw- und Bus-Sparte von Daimler ihr neues Gebäude am Rande von Stuttgart bezogen. 2000 der weltweit 100.000 Mitarbeiter sind hier konzentriert, die zuvor über verschiedene Standorte des Konzerns verstreut waren. Der Umzug passt zum Bild, das Daimler-Chef Ola Källenius für den historischen Vorgang der Abspaltung wählt. "Seit über 100 Jahren sind wir eine Wohngemeinschaft, jetzt bezieht jede industrielle Sparte eine eigene Wohnung", sagte er im Sommer im Interview mit der Automobilwoche.

An diesem Mittwoch wird es ernst. Dann nämlich wird die die Daimler Truck Holding AG mit dem Eintrag ins Handelsregister auch formal eigenständig. Am 10. Dezember folgt die erste Börsennotierung in Frankfurt. Die Daimler AG gibt dann die Eigentümerschaft ab und behält einen Anteil von 35 Prozent, wovon fünf Prozent an den Daimler Pensionsfonds übertragen werden. Im ersten Quartal 2022 soll das Unternehmen in den Dax aufgenommen werden. Am 1. Februar wird aus der Pkw-Sparte Daimler AG die Mercedes-Benz Group AG. Der Name Daimler verschwindet aus dem Pkw-Geschäft. Als verbindendes Element bleibt nur noch der Stern, der auch die Lkw und Busse weiterhin ziert.

Hintergrund der Aufspaltung ist die Erkenntnis, dass beide Geschäftseinheiten alleine besser durch den anstehenden Wandel der Industrie kommen und Tempo aufnehmen können, weil es weniger Bürokratie gibt. "Was mir am Spin-off gefällt, ist die Idee des Unternehmertums. Ich habe schon zuvor meine Bereiche, sei es das USA-Geschäft oder Unimog, wie ein Unternehmer geführt. Das bedeutet, dass nur das Ergebnis zählt und es keinerlei Entschuldigungen gibt. Genau diese Art von Verantwortung liegt mir und macht mir Spaß.", sagt Truck-Chef Martin Daum im Interview mit der Automobilwoche. Die Umstellung auf alternative Antriebe mit Batterie und Brennstoffzelle erfordert hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung. Neue Konkurrenten wie beispielsweise Nikola oder Tesla fordern die etablierten Hersteller heraus.

Aber es geht auch um die Logik der Börse. Dort herrscht die Annahme vom so genannten Konglomeratsabschlag. Dies bedeutet, dass ein großer gemischter Konzern am Kapitalmarkt in der Regel weniger wert ist als die Summe seiner einzelnen Teile. Dieses Potenzial soll durch eine Abspaltung gehoben werden. Ob dies im Falle des Daimler-Konzerns auch so kommt, muss abgewartet werden. Denn der Aktienkurs hat bereits in den vergangenen Monaten deutlich angezogen. Die geplante Aufteilung könnte also auch schon eingepreist sein. "Theoretisch verändert sich das Unternehmen ja nicht durch die Abspaltung, die Summe bleibt gleich. Aber da an der Börse sehr viel Psychologie mitspielt und die Zukunftserwartungen eine große Rolle spielen, bin ich auf die Kursentwicklung gespannt", sagt Daum.

Während das Pkw- und Van-Geschäft mit der neuen Luxus-Strategie bereits erfolgreich ist und trotz Chipmangels in diesem Jahr eine zweistellige Rendite erreicht, muss die Truck-Sparte deutlich mehr Hausaufgaben bewältigen. Das USA-Geschäft mit den Marken Freightliner und Western Star läuft zwar gut und bringt hohe Margen, doch lässt die Profitabilität in Europa mit der Marke Mercedes seit Jahren zu wünschen übrig und ist starken Schwankungen ausgesetzt. Hier muss Daum nachbessern und hat dafür die Schwedin Karin Radström vom Konkurrenten Scania geholt. "Auf der einen Seite müssen die Kosten gesenkt, auf der anderen Seite muss die Effizienz verbessert werden. Dazu haben wir ein Effizienzprogramm mit dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit aufgesetzt, mit dem wir bis Ende 2022 rund 300 Millionen Euro einsparen wollen. Hier kommen wir bei der Umsetzung gut voran", sagt Daum. Außerdem seien die Qualitätsprobleme beim Flaggschiff Actros inzwischen Vergangenheit.

Für die Abspaltung wurde ein 46-seitiger Spaltungsvertrag mit 132 Seiten Anhang aufgelegt, der alle Details regelt. So wird etwa die Daimler Mobility AG mit dem Finanzgeschäft in beide Unternehmen integriert. "Für immer verschwindet eines der erfolgreichsten, traditionsreichsten und größten deutschen Unternehmen von der Bildfläche", kommentiert Autoexperte Willi Diez. Allerdings hat auch das Pkw-Geschäft mit einem Umsatz von rund 100 Milliarden Euro und 170.000 Mitarbeitern noch eine stattliche Größe. Bei den Lkw und Bussen sind künftig weltweit rund 100.000 Menschen beschäftigt. Der Umsatz lag im Corona-Jahr bei 35 Milliarden Euro, 2019 waren es rund 44 Milliarden Euro. Der Absatz pendelt seit Jahren um die 500.000 Einheiten. Die Daimler Truck AG dürfte daher bei der ersten Gelegenheit im März den Sprung in den Dax locker schaffen.

Zwar sind die beiden Unternehmen für sich genommen immer noch groß, aber im internationalen Maßstab der Autoindustrie mit Blick auf Konzerne wie Volkswagen oder Stellantis eher klein. Vor allem für die Pkw-Sparte stellt sich daher die Frage nach Kooperationen mit anderen Herstellern oder einer drohenden Übernahme. "Ein Zusammengehen sehe ich nicht, dass würde nur die Komplexität wieder erhöhen", sagte Daimler-Chef Ola Källenius am Rande der IAA auf Nachfrage der Automobilwoche. Dagegen seien weitere Partnerschaften bei bestimmten Technologien durchaus vorstellbar.

Als Beispiel nennt Källenius die bestehende Zusammenarbeit mit Nvidia beim neuen Betriebssystem. Für Finanzchef Harald Wilhelm ist die positive Reaktion zur Aufspaltung auf der Investorenseite jedenfalls eine eindeutige Botschaft. "Wer in führende elektrische Luxusautos investiert sein will, investiert in Mercedes. Wer in CO2-freie Lkw investiert sein will, der investiert in Daimler Truck."

Auch die Arbeitnehmerseite ist einverstanden, dass beide Sparten nun getrennte Wege gehen. Zwar gebe es in der Belegschaft alle möglichen Gefühlslagen, so Daimler-Betriebratschef Michael Brecht. Aber: "Es gibt ein grundsätzliches Vertrauen in die Entscheidungsträger, dass dies zum Schluss eine gute Geschichte wird." Daimler Truck sei nicht nur mit dem notwendigen Kapital ausgestattet, sondern auch mit einem fairen Anteil am Gesamtvermögen, sagte Brecht, der auch Vize-Aufsichtsratschef von Daimler ist. "Jetzt kommt es darauf an, dass wir das umsetzen, um richtig Vollgas in Richtung der neuen Technologien zu geben – auch im Nutzfahrzeugbereich."

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