Herr Kroos, wie gut sind Sie auf den Wandel bei den Antriebsformen vorbereitet?
Unser Geschäft ist davon weitestgehend unabhängig. Wir sind mit unseren Produkten bereits in vielen Fahrzeugen der nächsten Generation, das heißt bei Elektro- und Hybridfahrzeugen vertreten. Wir beliefern mit unseren Ventiltriebsystemen aber auch noch die klassische Antriebsform. Aufbauend auf unserer Prozess- und Fertigungskompetenz in diesem Bereich bieten wir auch erste Produkte für den elektrischen Antrieb an, beispielsweise in Form von Rotorwellen, einem Kernelement des Elektromotors. Wir beliefern damit sowohl die Fahrzeughersteller wie auch die Tier1, die ihrerseits E-Motoren montieren und dann an die OEMs liefern.
Welche Schwerpunkte haben Sie im Seriengeschäft?
Unsere Schwerpunkte im Seriengeschäft liegen vor allem in den Bereichen Fahrwerk und Antrieb. Daneben produzieren wir in kleinerem Umfang auch Karosseriebauteile und komplette Rohkarossen in Serie, die wir den Herstellern Just-in-Time zur weiteren Lackierung und Montage liefern. Ganz anders hingegen unser Projektgeschäft im Karosseriebau. Dort entstehen neben Werkzeugen ganze Schweißstraßen beispielsweise in Form von Karosserie-Rohbauanlagen. Das Seriengeschäft mit Fahrwerks- und Antriebssystemen macht aber den Löwenanteil unseres Umsatzes aus – rund 85 Prozent.
Wie sind Sie ins Jahr gestartet?
Es war aus unserer Sicht ein vernünftiger Start. Corona-bedingt muss man mit dem Vorjahresvergleich allerdings etwas vorsichtig sein. Die Safety-Car-Phase ist im Autogeschäft jedenfalls schon lange vorbei. Wir sind komplett zurück im wettbewerbsintensiven Rennen und behaupten uns da ganz gut. Das liegt auch daran, dass wir bereits vor Corona unser Produktportfolio fokussiert und Maßnahmen zur Steigerung der Performance eingeleitet haben. Das hat unter anderem dazu geführt, dass wir im laufenden Geschäftsjahr schon eine Vielzahl neuer Aufträge buchen konnten. Wenn man die natürliche Volatilität im Autogeschäft ausblendet, haben wir bereits um die 90 Prozent unseres geplanten Umsatzes für das Geschäftsjahr 2022/2023 durch Kundenaufträge abgesichert. Noch schöner ist, dass die eingeleiteten Performancemaßnahmen auch signifikante Ergebnisverbesserungen zeigen.
Worauf basiert das?
Im Wesentlichen auf Kostenverbesserungen in allen Produktbereichen und unseren Restrukturierungsanstrengungen. Wir haben allein im vergangenen Jahr rund 1800 Mitarbeiter in Deutschland entweder freigesetzt oder Programme dafür aufgelegt. Diese laufen in der Regel über einen Zeitraum von ein bis eineinhalb Jahren. Dazu gehören Werkschließungen oder - in Absprache mit den Kunden - auch Produktverlagerungen an kostengünstigere Standorte. In den vergangenen Jahren haben wir zudem in den weltweiten Ausbau unseres Produktionsnetzwerkes investiert. Das heißt, wir sind insbesondere in Best-Cost-Countries und in den automobilen Wachstumsmärkten gewachsen. So wurde der Ausbau von neuen Werken in China vorangetrieben und wir haben stark in Mexiko für den nordamerikanischen Markt investiert.
Was ist mit Europa?
Auch da sind wir nicht untätig gewesen. Unsere Schwerpunkte lagen dabei in Ungarn und Rumänien. Wir wollen von dort unsere Kunden aus wettbewerbsfähigen Standorten mit niedrigen Faktorkosten beliefern. Das ist ein Prozess, der unter dem Wettbewerbsdruck in der internationalen Automobilindustrie auch weiterlaufen muss.
In welchen Produkten sehen Sie das größte Entwicklungspotenzial?
Die Lenkung ist eines der Schwerpunktthemen, mit denen wir uns befassen. Es ist der größte Bereich mit dem stärksten Wachstum. Das liegt auch daran, dass wir dort in den vergangenen Jahren viel investiert haben. Neben weiterentwickelten elektrischen Lenksystemen, die wir demnächst in den Markt bringen, sind wir auch bei Steer-by-Wire-Systemen aktiv. Wir rechnen damit, dass diese in ein paar Jahren in den Markt eingeführt werden und sich größere Anteile am Lenkungsmarkt erobern.
Wo machen Sie sonst noch Chancen aus?
Wachstumspotenzial sehen wir auch bei den aktiven Dämpfern, die wir unter der Marke Bilstein vertreiben. Geregelte Dämpfer und Verstellsysteme werden bei den zukünftigen Fahrzeugplattformen einen größeren Stellenwert einnehmen. Wir sind gerade dabei, den Footprint für Dämpfer in China auszubauen. Dass wir im Bereich der Nockenwellen noch wachsen, liegt auch daran, dass wir hier weltweit einer der Top-Anbieter sind und unseren Wettbewerbern weiter Anteile abnehmen können.
Wie groß ist Ihre Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor?
Der Anteil am Gesamtportfolio im Bereich Automotive Technology lag im letzten Geschäftsjahr bei gut 15 Prozent. Bezogen auf den gesamten ThyssenKrupp-Konzern liegt der Anteil der Antriebskomponenten bei etwa fünf Prozent. In dieser Dekade sehen wir für unsere Produkte wie gebaute Nockenwellen und Ventiltriebsysteme, die auf die Reduzierung von CO2-Emissionen einzahlen, noch einiges Potenzial. Aber mit der gleichen Intensität, mit der wir diese Produkte weiterentwickeln, arbeiten wir an Substitutionsprodukten und wie wir diese aus vorhandenen Technologien ableiten können.
Das heißt, der Abschied vom Verbrenner fällt Ihnen nicht schwer?
Mit einem abrupten Ende des Verbrennungsmotors ist niemandem geholfen – auch den Klimaschutzzielen nicht. Wir wünschen uns einen geordneten und strukturierten Übergang. Darauf sind wir vorbereitet und das können wir managen.
Die Vorbereitungen für das Tesla-Werk in Brandenburg laufen auf Hochtouren. Welche Bedeutung hat für Sie der Kunde Tesla?
Mit Tesla sind wir im Grunde seit der Stunde null des Unternehmens verbunden. Die ersten Zulieferungen von uns waren Dämpfer. Wir waren damals angefragt worden, ob wir etwas für Tesla im Bereich Fahrwerktechnik tun können. Das war für das Model S. Inzwischen sind wir bei fast allen Fahrzeugen des Herstellers dabei. Neben dem Prototypen- und Werkzeugbau für die Karosserien sind wir vor allem mit Dämpfungs- und Lenkungstechnologie vertreten – zum Beispiel in Form von Lenksäulen und -wellen. Unsere Lenkungsbauteile werden auch in den Fahrzeugen aus Grünheide vom Band laufen. Wir freuen uns darüber, dass wir das Geschäft mit Tesla weiter ausbauen können.
Wie sehr belastet Sie der Chipmangel?
Wir haben schon eine ganze Weile damit zu tun, dass es diesen strukturellen Mangel an Chips gibt. Dieser führt dazu, dass die Automobilhersteller immer wieder mal und zum Teil auch sehr kurzfristig, die Produktion anhalten. Das ist nicht schön, aber darauf müssen und können wir uns einstellen. Wir wissen aber auch selbst, wie es den Automobilherstellern geht, weil wir insbesondere für unsere elektrischen Lenkungen auch direkt abhängig sind von der Zulieferung dieser wichtigen Elektronikbauteile.
Wie wollen Sie die Belieferung sicherstellen?
Inzwischen gibt es einen sehr sortierten Prozess von Halbleiter- und Steuergeräteherstellern, einigen Automobilherstellern und uns, um die Chips dahin zu kanalisieren, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Dafür gehen wir in die gesamte Lieferkette bis nach Asien oder in die Amerikas, wo immer auch die Chips herkommen. Diese sind ja Bestandteile der Elektronikbaugruppen, die wir von den Elektronikherstellern beziehen. Auf diese verlassen wir uns aber nicht mehr allein, sondern gehen in der Lieferkette zwei oder drei Stufen tiefer, um selbst zu disponieren.
Vor welchen weiteren Herausforderungen sehen Sie die Zulieferindustrie?
Momentan sind wir noch stark mit dem Chipthema beschäftigt. Wir gehen nicht davon aus, dass sich das kurzfristig in diesem Jahr komplett lösen lässt. Wir werden wahrscheinlich noch das ganze nächste Jahr damit zu kämpfen haben. Wenn es erst mal so ein Engpassprodukt gibt, dann leiten sich daraus Unterbrechungen in der Lieferkette ab. Hinzu kommt, dass es auch Verknappungen bei anderen Vormaterialien oder Produkten gibt.
Woran denken Sie dabei?
Kunststoff-Vorprodukte sind durch Produktionsausfälle beispielsweise in Nordamerika ein rares Gut geworden. Zudem verteuern sich die Vormaterialien wie Stahl, Aluminium und Kupfer, was sich auf verschiedene Produktgruppen auswirkt. Darüber hinaus haben die Verwirbelungen in den Logistikketten zu erheblich höheren Frachtkosten geführt und es notwendig gemacht, größere Lagerbestände vorzuhalten.
Worauf legen Sie in diesen Zeiten besonderen Wert?
Priorität hat für uns immer die Liefersicherheit für die Kunden, um dann schnellstmöglich in strukturierte und damit auch optimierte Prozesse zurückzukommen. Andernfalls drohen zusätzliche Kostensteigerungen, die wir uns im Autogeschäft erst recht nicht leisten können.
Verstärkt sich der Wettbewerb aus China und spüren sie das auf den etablierten Märkten wie in Europa?
Wir beobachten das schon eine ganze Weile und arbeiten daher an der eigenen Wettbewerbsfähigkeit unter zwei Gesichtspunkten. Ganz vorne stehen der technologische Fortschritt und die technische Weiterentwicklung der Produkte gepaart mit einer weiteren Kostenoptimierung. Bis auf wenige Ausnahmen haben wir in unseren spezifischen Produktgruppen aber weiter die Nase vorn. Wir sind sehr erfolgreich bei den klassischen Kunden, die ihre Joint Ventures in China haben. Wir sind aber auch erfolgreich bei den rein nationalen chinesischen Herstellern. Doch wir beobachten fast täglich diesen Markt und schauen, ob neue Spieler auftauchen, die in der Lage sind, die technischen Anforderungen der internationalen Automobilindustrie zu erfüllen. Wir nehmen das sehr ernst. Genauso ernst nehmen wir aber auch die Aktivitäten von Wettbewerbern aus Japan oder Südkorea.
Woran liegt es, dass chinesische Zulieferer hier noch nicht so präsent sind?
Das mag unter anderem damit zusammenhängen, dass die chinesischen Wettbewerber den am stärksten wachsenden Automobilmarkt vor ihrer Haustür haben. Wenn die Wachstumsgrenzen dort erst einmal erreicht sind, ist sicherlich noch sehr viel intensiver mit den neuen Wettbewerbern aus dieser Region zu rechnen. Dem müssen wir uns stellen und gleichzeitig wachsam sein. Im Übrigen sind einige chinesische Firmen über Beteiligungen hierzulande schon präsent.
Welche Bedeutung haben Kooperationen und Entwicklungspartnerschaften für Sie?
Eine wachsende. Aus dem einfachen Grund, da unser Geschäft global ist und bleibt. Auch wenn wir aus Gründen der Kostenoptimierung aktuelle Entwicklungen antizipieren und mehr local für local produzieren und entwickeln. Da wir es mit immer größeren Plattformen zu tun haben, und sich der technologische Transformationsprozess in dieser Branche wahrscheinlich sogar noch beschleunigt, ist es sinnvoll in bestimmten Bereichen Partnerschaften zu sondieren. Beispielsweise um sich Entwicklungsaufwendungen oder auch Standortinvestitionen zu teilen. Es gibt bei uns aber derzeit nichts Konkretes, über das man sprechen könnte.
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