Vielleicht ist es ganz gut, dass Daimler seine Hauptversammlung (HV) in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie nur virtuell abhält. So sehen sich Konzernchef Ola Källenius und Aufsichtsratschef Manfred Bischoff dem Unmut der Aktionäre wenigstens nicht direkt ausgesetzt. Die Dividende ist gekürzt, der Aktienkurs mit rund 37 Euro meilenweit entfernt von den einstigen Spitzenwerten von nahe 100 Euro. Viele Anteilseigner zweifeln gar an der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.
Nun sind im Internet nachlesbare Gegenanträge der Aktionäre sicher kein repräsentatives Meinungsbild. Doch es fällt auf, wie oft darin die verfehlte Strategie des Konzerns kritisiert wird. So fehle es dem Vorstand "an der Fähigkeit, den Zeitgeist der zukünftigen Automobilbranche mit den individuellen Bedürfnissen der Kunden zu erkennen, und die Aktiengesellschaft darauf auszurichten." Ein anderer Aktionär moniert, dass schon der Vorgänger Zetsche sich "erhebliche Versäumnisse beim Kostenmanagement zuschulden kommen lassen" habe.
Ingo Speich von Deka Investments hat angekündigt, zwar für die Entlastung des Vorstands um Vorstandschef Ola Källenius zu stimmen, dafür aber gegen die Entlastung des Aufsichtsrats. Union Investment plant, beiden Organen die Entlastung zu verweigern. Kritisiert wird unter anderem, dass Daimler den Wandel zur Elektromobilität verschlafen habe. Janne Werning von Union Investment sprach im Vorfeld der HV von einem „Armutszeugnis“.
Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre warnt: "Es ist dringend notwendig, Finanzmittel für den anstehenden Umbau des Konzerns im Zusammenhang mit der Verkehrswende bereit zu stellen." Für Unmut sorgt aber auch die Personalie Dieter Zetsche. Der Ex-Vorstandschef, der für viele Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht wird, will im nächsten Jahr Manfred Bischoff an der Spitze des Aufsichtsrats beerben.
Tatsächlich steht der Konzern angesichts der Corona-Krise vor einer der größten Bewährungsproben seiner Geschichte. Die Liste der Probleme ist so lang wie nie. Analysten schätzen, dass das eben abgelaufene zweite Quartal mit einem riesigen Verlust beendet wird. Während beispielsweise Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler mit einem operativen Minus in Höhe von 1,5 Milliarden Euro rechnet, geht Frank Schwope von der NordLB sogar von zwei bis drei Milliarden Euro Verlust aus. Zwar ist daran in erster Linie die Corona-Krise und der dadurch bedingte Absatzschwund verantwortlich. Aber jede Notlage legt auch die Versäumnisse der Vergangenheit schonungslos offen.