Herr Vahland, Sie waren 25 Jahre für den VW-Konzern tätig, haben jetzt Sitz und Stimme etwa in den Räten des Autoherstellers Volvo und des Zulieferers Vibracoustic. Glauben Sie an die Zukunftsfähigkeit der "Old economy"?
Die Neue Welt im Automobilgeschäft hat sich doch mittlerweile wieder stark gelichtet. Ich bin überzeugt: Die "alte" Fahrzeugindustrie wird diese Schlacht gewinnen – mit neuen Ideen und Methoden.
Worauf gründen Sie diese Zuversicht?
Vor fünf Jahren sind die traditionellen Automobilanbieter schon einmal abgeschrieben worden. Das "Apple car" und das "Google car" würden das Ende der etablierten Player bedeuten, hieß es. Alle wurden wachgerüttelt. Doch nachdem man viel Geld investiert und eigene Organisationen aufgebaut hat, konzentrieren sich die IT-Konzerne wieder auf ihre Kernkompetenzen – und kooperieren nun verstärkt mit den "Old boys".
Kurze Zeit später flossen hunderte Milliarden an Geldern in ungezählte Start-ups, insbesondere in China und den USA. Wo stehen diese Unternehmen denn heute? Wo bleiben die Erfolge eines jeden selbsternannten Messias?
Ein E-Start-up braucht eine Palette von mindestens drei bis fünf Fahrzeugen. Und alle neuen Anbieter stürzen sich auf die Entwicklung und Produktion, dabei haben sie keine Ahnung davon, wie man die Produkte vermarktet und wie man eine spannende Marke aufbaut. Ein besonders breiter Bildschirm wird da wohl nicht reichen.
Viele der neuen Player haben die Branche allerdings kräftig durchgeschüttelt.
Nur zwei Beispiele: Tesla und Uber sind phantastische Vorreiter und Ideenspender für die zukünftige Mobilität. Man sieht an ihnen aber auch, wie schwierig es ist, mit neuen Ideen nachhaltig wirtschaftlich zu arbeiten. Daran sind alle Neuen bisher gescheitert.
Die Einzigen, die verdient haben, sind die sogenannten Heilsbringer und Abgesang-Propheten aus der zweiten Reihe der "Old economy". Wenig haben sie geschafft, aber dafür enorme Geldmittel verbrannt.
Waren und sind viele Newcomer womöglich mit der Komplexität des Fahrzeuggeschäfts überfordert?
Der häufige Personalwechsel in den Top-Positionen wie zuletzt bei Byton, Nio, Canoo, Ionic, Qoros, Borgward et cetera spricht für sich. Professor Schuh aus Aachen geht mit seinem E-Go in eine andere Richtung. Er baut ein kostengünstiges Elektroauto für die Stadt – und für den innerstädtischen Lieferverkehr einen E-Van mit bewusst begrenzter Reichweite. Das könnte von der Idee her funktionieren.
Was die angreifenden Start-ups neben dem langen Atem wahrscheinlich völlig unterschätzt haben, sind ungelöste Fragen rund um die Software, Konnektivität, Ladeinfrastruktur und die vernetzte Mobilität. Nicht umsonst stellt Volkswagen allein 5.000 Softwarefachleute ein.
Es ist eben doch nicht so einfach, Autos zu entwickeln, zu produzieren und zu vermarkten – und dafür eine neue, möglichst auch international funktionierende Marke aufzubauen. Elektrische Fahrzeuge sind zwar einfacher zu konstruieren, aber auch hier gilt es nun mal, das Geschäftsmodell nachhaltig profitabel zu machen. Dafür bedarf es mindestens zweier Fahrzeuggenerationen. Benötigt wird ein langer Atem von 10 bis 15 Jahren.
Demnach dürfte das Ausrollen der E-Mobilität die Anbieter zumindest in den unteren und mittleren Pkw-Preissegmenten einstweilen mehr Geld kosten als einspielen.
Ob Economy of scales oder optimierte, fast kabellose Leistungselektronik, ob neue und günstigere Batteriegenerationen mit besserer Energiedichte wie etwa bei der Feststoffzelle: 2030 wird die europäische Automobilindustrie profitable Elektroautos auch im Massenmarkt anbieten. Und diese E-Mobile werden den Usern auch keinen Verzicht bei der Reichweite mehr abverlangen.
Werden die Entwicklungen der kommenden Jahre auch die Art des Wettbewerbs unter den "Global playern" verändern?
Es geht zukünftig nicht um ein Gegeneinander, sondern vielmehr um ein Miteinander. Auch das autonome Fahren kommt nicht heute oder gleich morgen. Zu komplex ist die Realität gewachsener Städte in Europa. Zu unterschiedlich sind die zu berücksichtigenden Wetterverhältnisse. Auch fehlt eine Vernetzung aller Mobilitätsteilhaber in einer gemeinsamen Cloud.
Volvo und Polestar arbeiten mit Google zusammen. Volkswagen kooperiert mit Microsoft. In China geht man mit Alibaba und Baidu voran.
Kooperationen sind das richtige Konzept für so umweltfreundliche wie rundum nachhaltige Mobilität. Auch die Kooperationen untereinander, wie zwischen Volkswagen und Ford oder von Opel und PSA sowie potenziell zwischen Renault und FCA stimmen mich zuversichtlich.
Halten Sie die Rückendeckung des Gesetzgebers im Umbruch der Fahrzeugindustrie für ausreichend?
Die Politik sollte die Industrie aktiv unterstützen und begleiten. Die heutigen Manager an der Spitze dieser Unternehmen nehmen das Thema Nachhaltigkeit viel ernster, als es oft effekthaschend in der Öffentlichkeit dargestellt wird.
Ohne CO2-Neutralität wird diese Industrie nicht überleben! Und das wissen alle!
Das Interview führte Henning Krogh
Lesen Sie auch:
EXKLUSIV - Ex-VW-Topmanager Vahland zum Tode Ferdinand Piëchs: "Er war mein einzig wahrer Mentor"
Früherer VW-Topmanager und Ex-Škoda-Chef: Winfried Vahland sieht Potenziale für Brennstoffzelle
Manager auf Messe-Marsch: VW-Konzernchef gibt Korea-Tipps
Aus dem Datencenter: