Über 20 Jahre verantwortete Norbert Haug den Motorsport bei Mercedes. Für die Automobilwoche macht der Branchenkenner eine Bestandsaufnahme und sagt, warum die Jagd nach Bestzeiten für viele OEMs und Zulieferer bei Entwicklung und Marketing noch immer erste Wahl ist.
Herr Haug, gibt es für Hersteller im Motorsport heute noch etwas für die Serienentwicklung zu lernen, oder geht es heute primär um Marketing?
Norbert Haug: Lernen können setzt Lernwillen voraus.Wer diesen nicht hat, sollte als OEM seine Zeit und sein Geld nicht in der Formel 1 verschwenden. Mercedes hat jedenfalls viel gelernt durch sein Formel-1- Engagement, das in der Silberpfeil-Neuzeit mittlerweile seit 30 Jahren ununterbrochen in verschiedenen Konfigurationen erfolgreich praktiziert wird. Dass dabei weltweit bemerkenswerte Image- wie Verkaufserfolge erzielt wurden, insbesondere auch für die sportliche Submarke AMG im Hochpreissegment, ist offenbar aktuell auch Anreiz für Audi, diesem Weg zu folgen. Bei Porsche hat der geplante Formel 1-Einstieg bis dato aus bekannten Gründen noch nicht geklappt.
Mercedes hat nach jahrelangen Erfolgen in der Formel 1 inzwischen zu kämpfen. Lohnt sich die Formel 1 für den Konzern so überhaupt noch?
Aus meiner Sicht auf jeden Fall. Dominanzen, dauern sie noch so lange, haben ein Ende, sobald der beste Wettbewerber die Aufgabenstellungen besser löst. Das passiert derzeit in der Formel 1 mit der alles überragenden Messlatte Red Bull Racing. Es gibt kein Verstecken in der Formel 1 und jeder Versuch des Schönredens wird stets ein solcher bleiben. „When the flag drops the bullshit stops“, ist nicht umsonst Regel Nummer 1 in den Fahrerlagern bei den Aktiven der Formel 1. Du fährst um 14 Uhr los, um 15.30 Uhr weißt Du, ob Du Hero oder Zero bist. Nichts kann mehr unbändige Kraft und mehr eisernen Willen freisetzen als diese weltwirksame Wettbewerbsbühne. Und sollte es Mercedes nicht gelingen, Red Bull alsbald zumindest immer mal wieder zu zeigen, wo vorne ist, so wie das ehedem so lange Zeit der Fall war, werden zweifelsohne entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Das weiß jeder Racer, der sein Handwerk mit dem Anspruch wiederholter Rennsiege und Titelgewinne betreibt.