Herr Brecht, hat der Diesel trotz Fahrverboten noch eine Chance?
Wenn es nach mir geht, brauchen wir überhaupt keine Dieselverbote. Es gibt bessere Möglichkeiten, die Stickoxidbelastung in den Städten zu verringern. Klar ist, dass die Autoindustrie beim Diesel Altlasten haben. Die gilt es abzuarbeiten, etwa mit den Software-Updates. Aber die neuen Diesel-Motoren sind auf einem völlig anderen technologischen Niveau. Insofern brauchen wir endlich ein klares Bekenntnis zum Diesel. Ohne ihn werden wir die Klimaschutzziele nicht erreichen können.
Sind denn die vielfach geforderten Hardware-Nachrüstungen eine Lösung?
Hardware-Nachrüstungen sind technisch machbar. Die Frage ist aber, wer es bezahlt. Das sind alles regulär zugelassene Autos, deshalb ist auch die Politik hier in der Verantwortung. Die Lösungen kosten eben nicht überall nur 1500 oder 2000 Euro, sondern deutlich mehr. Außerdem ist völlig ungeklärt, wie ein solches Auto überhaupt zertifiziert werden würde. Bevor wir noch zehn Jahre diskutieren, sollten wir uns auf die Software-Updates als schnelle Lösung konzentrieren.
Was ist mit den ausländischen Herstellern?
Die Politik muss bei den Nachbesserungen selbstverständlich alle in die Pflicht nehmen, die in Deutschland Autos verkaufen. Alle müssen ihren Teil dazu beitragen. Würden auch hier Software-Updates verlangt, dann hätten wir bei der Luftreinhaltung schnellere und größere Effekte und könnten sehen, wie sich die Stickoxidbelastung in den Städten entwickelt.
Warum passiert da nichts?
Wenn Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sagt, er habe keine rechtliche Handhabe, dann muss er diese ausländischen Hersteller eben genauso wie die deutschen nach Berlin einladen und politischen Druck ausüben. Oder er muss für eine europaweite Lösung eintreten. Was derzeit passiert, ist jedenfalls nicht fair gegenüber der deutschen Industrie, die dadurch Wettbewerbsnachteile erleidet.
Hat Scheuer durch die Art und Weise, wie er Zetsche nach Berlin zitierte, dem Image des Unternehmens geschadet?
Wir wissen ja alle, dass in nächster Zeit Wahlen in Bayern sind und dass deshalb viele Akteure von dort durch recht sonderbare Aktivitäten auffallen. Aber ein Stück weit wünsche ich mir, man würde respektvoller miteinander umgehen. Unsere Belegschaft registriert solche Vorgänge sehr wohl. Einen Partner wie Daimler, mit dem die Politik über viele Jahre vertrauensvoll zusammengearbeitet hat und der zum Wohlstand in Deutschland beiträgt, den behandelt man nicht auf diese Weise.
Fürchten Sie nach den jüngsten Diesel-Rückrufen einen Flächenbrand bei Daimler?
Uns allen ist klar, dass ein positiver Ruf von Daimler eng mit einer guten Beschäftigungssituation verbunden ist. Das Thema Abgasreinigung ist hoch komplex. Deshalb müssen wir die Untersuchungen abwarten. Als Gesamtbetriebsratwollenwireinelückenlose Aufklärung der Vorwürfe. Dazu zählt, dass das Unternehmen weiterhin mit den Behörden und der Staatsanwaltschaft kooperiert und alles Notwendige offenlegt. Es gilt, Transparenz zu schaffen.
Die Politik treibt die Autoindustrie mit immer schärferen Regulierungen vor sich her. Ist das gerechtfertigt?
Was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist, muss aufgearbeitet werden. Aber wenn ich nach vorne schaue, sehe ich eine Branche in Deutschland mit 800.000 Beschäftigten, davon 177.000 allein bei Daimler. Wir stehen durch die Elektromobilität und die Digitalisierung vor wahnsinnigen Herausforderungen und müssen Milliarden investieren, um diese Jobs zu sichern. Dazu kommt ein knallharter globaler Wettbewerb. Da muss man schon mal schauen, welche Regulierungen noch angemessen sind. Allein das neue Prüfverfahren WLTP, bei der jedes Ausstattungspaket einzeln zertifiziert werden muss, bringt uns an den Rand der Kapazitäten.
Wie sehr fürchten Sie die scharfen CO2-Regulierungen der Europäischen Union für die Zeit nach 2021?
Gemeinsam mit einigen anderen Betriebsratsvorsitzenden und Vertretern der IG Metall war ich kürzlich bei Bundesumweltministerin Svenja Schulze und habe auf die Problematik hingewiesen. Immerhin sind unsere Argumente gehört worden, das war ein gutes Zeichen. Niemand kann doch sagen, wie der Hochlauf der Elektromobilität ablaufen wird. Insofern halten wir es für wenig sinnvoll, jetzt bereits starre und überzogene Werte für 2030 festzulegen, die dann eventuell niemand erreichen kann. Stattdessen plädieren wir dafür, 2025 eine Überprüfung anzusetzen und die Ziele dann gegebenenfalls anzupassen, wenn sich die Nachfrage nach alternativen Antrieben genauer abzeichnet.
Wie es derzeit aussieht, sind ja schon die Vorgaben für 2021 nicht zu erreichen. Drohen Daimler Strafzahlungen?
Klar ist, dass jeder verlorene Euro unsere Innovationskraft schwächt. Das gilt für Strafzahlungen genau so wie für im Zweifel rabattierte E-Autos. Wir werden als Unternehmen versuchen, unseren Elektro-Anteil mit Plug-In-Hybriden und E-Autos so schnell wie möglich hochzutreiben und die Effizienz der Motoren weiter zu steigern. Aber ich kann nicht sagen, wie es 2020 aussieht. Sicher ist: Jeder Diesel, der nicht verkauft wird, verschärft die Situation.
Wie passt dazu, dass der E-Smart derzeit Lieferzeiten von bis zu einem Jahr hat?
Natürlich will kein Kunde lange auf sein neues Auto warten. Beim smart hat sich gezeigt, dass wir die Lieferkette bei Elektroautos noch nicht gut genug beherrschen. Daran müssen wir schleunigst arbeiten. Da müssen wir unser System besser anpassen.
Durch die E-Mobilität werden Jobs im Bereich des Verbrenners verloren gehen. Wie wollen Sie das kompensieren?
Bei der Entscheidung zum Umbau der Konzernstruktur haben wir Innovationsausschüsse vereinbart, bei denen die Betriebsräte erstmals mitsprechen dürfen, was nach außen gegeben werden soll und was wir selbst machen. Dafür muss das Unternehmen im Zweifel auch bereit sein, an den Standorten neue Flächen zu schaffen. Bisher ist uns eine Erhöhung der Fertigungstiefe noch nie geschenkt worden. Aber wenn wir nicht neue Wertschöpfung hereinholen, dann werden uns die negativen Begleiterscheinungen der Elektromobilität mit voller Wucht treffen.
Wie sehr hat sie in diesem Zusammenhang gestört, dass CATL eine Batteriezellfabrik in Deutschland aufbaut und nicht Daimler oder wenigstens Bosch?
Wie Sie wissen, bin ich ein großer Verfechter einer Batterizellfertigung in Deutschland. Wir werden in einigen Jahren nur noch vier oder fünf große Player auf dem Markt haben, darunter kein einziger europäischer. Eine Abhängigkeit birgt viele Risiken. Es geht nicht nur um Lieferengpässe, sondern um die Preise generell. Außerdem denkt jeder, die Zellen sind gleich. Aber die Charakteristik eines E-Autos wird durch die Zelle vorgegeben.
Trotzdem traut sich kein Autohersteller ran, oder?
Wir müssen die Zellen bei Daimler nicht unbedingt selber bauen. Es muss uns aber gelingen, einen Zulieferer oder ein Konsortium in Europa zu finden. Dafür braucht es dann entsprechende Abnehmerverträge der Hersteller.
Ist der Markt nicht schon verteilt?
Aus heutiger Sicht brauchen wir in Europa mindestens 10 – wenn nicht sogar 14 - Fabriken. Da ist noch genügend Raum für neue Firmen. Die Nachfrage wird immens zunehmen. Es geht nicht nur um Batterien für E-Autos oder Plug-In-Hybride, sondern um ein gesamtes Ökosystem mit stationären Batteriespeichern, für das die Zelle die Grundlage ist. Spätestens in der zweiten Generation der Zellen lässt sich damit auch Geld verdienen. CATL macht das ja nicht aus Wohlfahrtsgründen.
Daimler hat mit dem Geely-Eigentümer Li Shufu einen neuen Großinvestor, der auf Kooperationen aus ist. Ist das eine Bedrohung oder eine Chance?
Auch ich kenne Li Shufu nur aus den Medien. Ungewöhnlich für einen Investor wäre es, wenn er sich ins operative Geschäft einmischen will. Eigentlich ist es Aufgabe eines Investors, Kapital zur Verfügung zu stellen, und er bekommt dafür ja eine Dividende. Bei Volvo ist von Gewerkschaftsseite nichts Negatives zu hören. Wenn wir das Gefühl haben, dass er seine Machtmöglichkeiten gegen die Beschäftigung einsetzen wollte, würden wir uns aber sofort zur Wehr setzen.
Eine Zusammenarbeit ist also aus Arbeitnehmersicht nicht erwünscht?
Ich sehe im Moment keine Kooperationsmöglichkeit. Angenommen, wir würden tatsächlich Motoren zu Volvo liefern. Dann hätten wir vielleicht Beschäftigung gesichert, würden aber ein Wettbewerbsvorteil aufgeben. Zudem haben wir ja eine funktionierende Partnerschaft mit BAIC in China, die wir nicht gefährden wollen. Es ist eine schwierige Gemengelage.
Ein zweiter Name, der bei Daimler für Verunsicherung sorgt, ist Donald Trump. Wie sehr fürchten Sie trotz der jüngsten Entspannung einen Handelskrieg?
Wir haben heute eine weltweite Produktionsordnung, die auf dem weitgehend barrierefreien Austausch der Komponenten basiert. Die könnte mit höheren Einfuhrzöllen so nicht mehr funktionieren. Allein die Gegenmaßnahme von China mit 40 Prozent Einfuhrzöllen auf US-Autos trifft uns hart. Es geht um die hochwertigen SUVs aus Tuscaloosa wie GLE oder GLS. Noch ist nicht klar, ob wir die Mehrkosten an die Kunden weitergeben können. Wenn wir die Absatzziele nicht mehr erreichen, wird dies auf längere Sicht auch Jobs kosten.
Aber was soll das Unternehmen tun, wenn Trump doch noch Einfuhrzölle auf deutsche Autos erhebt?
Mein Anspruch als Arbeitnehmervertreter wäre, dass wir uns dann das gesamte Produktionsnetzwerk nochmals anschauen und gegebenenfalls umbauen. Die Autos, die in Europa verkauft werden, sollen dann auch hier gebaut werden, um die Beschäftigung zu sichern. Ob Trump seinem Land dann einen Gefallen getan hat, wage ich zu bezweifeln. Am Ende landen wir in einer Spirale, bei der vor allem der Kunde der Verlierer ist.
Im Metall-Tarifvertrag wurde erstmals das Recht für bestimmte Gruppen verankert, statt des tariflichen Zusatzgeldes freie Zeit zu wählen. Wie kommt das an?
Die Frist läuft noch bis Ende Oktober. Aber schon jetzt haben wir von Schichtarbeitern, Erziehenden oder pflegenden Angehörigen knapp 6000 Anträge auf acht zusätzliche freie Tage statt der Lohnerhöhung. Das zeigt, dass wir mit dieser Regelung einen Nerv der Zeit getroffen haben. Bei den Anträgen auf Teilzeit sind es deutlich weniger. Aber das haben wir erwartet, da viele schon zuvor reduziert hatten.
Mit der Bilanz des zweiten Quartals zeigt sich, dass es auch bei Daimler nicht ewig steil bergauf gehen kann. Ein Grund zur Sorge?
Wir waren in der Vergangenheit sehr verwöhnt. Jetzt sind einige Dinge wie eben die Zölle in China oder Belastungen durch die Umstellung auf den WLTP-Prüfzyklus zusammengekommen, die weitere Rekorde verhindern. Wir machen trotz aller Herausforderungen noch immer gute Gewinne und sind für die Zukunft sehr solide aufgestellt. Das muss auch der Kapitalmarkt akzeptieren.
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