Johannes Stock designt und entwickelt Geschäftsmodelle bei Futurice, einer digitalen Innovations- und Ingenieurberatung und hat einen umfassenden Einblick in die Denkweisen und Prozesse innerhalb der Autoindustrie. Die Arbeit der Konzerne und Unternehmen mit Start-ups ist bereits in vollem Gange, aber sie könnte noch enger werden. Zudem empfiehlt Stock: "Schaut euch viel von den Start-ups ab – und setzt es um."
Herr Stock: Was ist auf den ersten Blick der Unterschied zwischen Unternehmen und Start-up in der Autoindustrie?
Zunächst mal ist es die schiere Größe der Firma, bei der sich Start-up und Konzern unterscheiden. Die Größe ist oftmals schon der Dreh- und Angelpunkt, weshalb viele Prozesse in Start-ups schneller abgewickelt, Entscheidungen schneller getroffen und keine großen, langwierigen Schleifen für Banalitäten gedreht werden müssen. Aber das darf, wenn man agil arbeiten will, kein Hindernis für die großen Firmen sein. Es gibt genug agile Prozesse, die entwickelt wurden, damit auch die Großen zu Schnellbooten werden.
Spricht man mit Managern von BMW oder Mercedes, ist immer wieder von Scrum oder anderen agilen Arbeitsmethoden die Rede.
Ja, einige, vor allem die Großen, haben die Methoden implementiert, rollen sie nach und nach auf die Abteilungen aus, weil sie sonst die Produktzyklen gar nicht beschleunigen könnten. Es ist also eine Bedingung, die Arbeitsweise anzupassen, weil man sonst mit der Beschleunigung der Produktion nicht nachkommt. Aber es gibt auch weiterhin viele Firmen, die sich da nicht herantrauen. Ich aber appelliere: Traut euch.
Arbeitsmethodik ist das eine – der Blickwinkel und die Herangehensweise an das Produkt ist eine andere Baustelle. „Customer Centricity“ – ist eins der Buzz-Wörter, die immer wieder fallen.
Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Marketing-Blase ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Start-ups haben früh angefangen, ihr Produkt von Kunden her zu denken, sonst hätten sie gar nicht auf sich aufmerksam machen können. Das Bedürfnis des Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, zu fragen, was braucht er, und darauf das Geschäftsmodell auszurichten ist der nächste Punkt, den Unternehmen dringend lernen müssen. Es gilt heutzutage nicht, den Kunden zu erziehen, dass er das Produkt mag, sondern das Produkt so zu entwickeln, dass der Kunde freiwillig und aus tiefster Überzeugung sagt: Ja, da erkenne ich mich wieder, da hat mich jemand verstanden.
Können Sie ein bisschen konkreter werden?
Bei Autoherstellern bedeutet das, künftig Probleme nicht mehr von der Technologie her zu denken, sondern die Wünsche der Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn sich der Kunde eine Anbindung an Amazon-Alexa wünscht, wäre es vermessen, die zu unterlassen – nur weil vielleicht das nicht dem Anspruch des Ingenieurs entspricht – so als Beispiel. Denn zu guter Letzt kann eine solche Entscheidung Kunden kosten.
Wie weit sind wir denn in der Autoindustrie? Noch bei den Lippenbekenntnissen, oder werden sie in die Tat umgesetzt?
So ein Wandel braucht Zeit. Egal ob es „Customer Centricity“ oder aber der Schwenk vom Verbrenner zur E-Mobilität oder zum autonomen Fahren ist. Ein solcher Technologiesprung geht nicht auf Knopfdruck. Und beim autonomen Fahren merkt man derzeit: Die Technologie kommt nicht übermorgen, die Konzerne brauchen länger. Nicht nur, um die Technologie zu entwickeln, sondern um alles im Konzern so zu installieren, dass man diesen Shift stemmen kann. Die Mitarbeiter müssen mitgenommen werden, nicht jeder ist mit jeder Funktion gleich vertraut, nicht jeder versteht sofort die neuen Abläufe oder auch die Zusammensetzung von Teams. Zeit und Geduld sind trotz der Innovationsdringlichkeit wahnsinnig wichtig.
Wie kann man als Konzern nachhelfen, diese neuen Arbeits- und Denkweisen zu fördern?
Kreatives Arbeiten stellt sich dann ein, wenn Teams „out of the box“ denken und Mitarbeiter ihre Komfortzone verlassen und kreativ werden. Ein Hebel um dies von Grund auf zu installieren sind von vornherein divers aufgestellte Teams: Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, mit unterschiedlichen Abschlüssen und Interessen – sie alle bringen unterschiedliche Ideen ein und man merkt schon schnell, dass es Früchte trägt. KI-Experten, Ingenieure, Software-Entwickler denken mit Psychologen oder Geisteswissenschaftlern ganz anders nach, als wenn sie nur „unter sich“ brainstormen. Impulse von außen braucht man. Dann kommen gute Ideen zustande.
Aber Unternehmen sind zunächst auf Effizienz getrimmt. Da ist es ein enormer Schritt, Ideen ins Leere zu formen.
Chefs und Vorstände müssen diesen Schritt wollen, sie müssen Vertrauen in ihre Mitarbeiter haben – und auch hier spielt Zeit eine Rolle. Zeit, die viele nicht haben. Deshalb dauert vieles auch länger in der Entwicklung, als vor einigen Jahren noch gedacht. Denn gerade die Autoindustrie will und kann es sich nicht leisten, halb ausgegorene Ideen umzusetzen. Der Perfektionismus ist tief verankert.
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