Der größte Hebel für die Klimaneutralität liege in der Produktion, sagt Friederike Kienitz. Als Senior Vice President für Integrität und Nachhaltigkeit sorgt sie bei Nissan in Europa für die entsprechenden Strukturen.
Frau Kienitz, wie sehr beschäftigt Sie die Regulatorik?
Das ist schon sehr intensiv. Allein was auf EU-Ebene mit dem Green Deal passiert, ist eine große Herausforderung. Und vieles davon ist noch nicht verabschiedet, das kommt ja erst noch. Das zu verstehen, zu übersetzen, auch für die einzelnen Funktionen, und einen entsprechenden Zeitplan zu erstellen, ist schon sehr komplex. Wichtig ist es, die dahinterstehende Logik und die strategischen Ziele zu verstehen. Dann lassen sich auch kommende Regularien besser vorhersehen.
Nervt Sie das?
Oft wird missverstanden, dass die Autohersteller ja die gleichen Ziele wie der Gesetzgeber verfolgen. Wir alle wollen die CO2-Neutralität erreichen. Wir alle wissen, dass wir nicht wie bisher Rohstoffe verbrauchen können. Wichtig ist nur, dass wir die Transformation in einer gewissen Balance schaffen und nicht eine Disruption erleben, in der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Jobs verlieren und die Kosten für ein Produkt aus dem Ruder laufen. Das müssen wir frühzeitig in einem Gesetzgebungsprozess deutlich machen.
Welches Land ist beim Klimaschutz führend?
Natürlich hat Europa hier eine Vorreiterstellung. Aber wir sehen auch eine unheimliche Dynamik im Mittleren Osten oder in Indien. Da ist praktisch ein Wettbewerb zwischen den Ländern entbrannt. Wir müssen uns darauf einstellen, dass diese Länder deutlich schneller aufholen als erwartet. Aber als Unternehmen können wir natürlich unsere Erfahrungen aus Europa, den USA oder China nehmen und auf diese Regionen übertragen, da die Zielrichtung die gleiche ist.
Gibt es ein Beispiel?
Ja, nehmen Sie den digitalen Produktpass zur Nachverfolgung der Lieferkette. Das kommt in der EU zunächst für die Batterie. Hier müssen wir uns als Unternehmen darauf einstellen. Die Erfahrungen lassen sich auf andere Länder übertragen, die hier in Zukunft nachziehen werden.
Bedeutet diese komplexe Regulatorik auch höhere Kosten?
Natürlich, aber wir können dafür nicht einfach mehr Leute einstellen, denn wir müssen nach wie vor profitabel wirtschaften. Wir müssen smarter werden über die Digitalisierung, über KI oder Blockchain. All diese Werkzeuge werden eine wichtige Rolle spielen bei dem Ziel, auf Trends reagieren zu können und agil zu bleiben bei den anstehenden massiven Veränderungen.
Was sind die konkreten Nachhaltigkeitsziele von Nissan?
Wir wollen bis zum Jahr 2050 über alle Bereiche hinweg CO2-neutral werden.
Da sind Sie aber nicht bei den ehrgeizigsten Unternehmen, oder?
Wir reden hier über einen riesigen Bereich, der auf null gestellt werden muss. Nicht alle Teile der Wertschöpfung befinden sich in unserer Kontrolle. Das verlangt nicht nur das Mitdenken der Zulieferer, sondern zum Teil ganz neue Partnerschaften. Wichtig ist eine sinnvolle Priorisierung. Wo die größten Fortschritte erzielt werden können, sollte auch zuerst begonnen werden. Entscheidend ist, dabei glaubwürdig zu sein und beispielsweise nicht alles über Zertifikate zu lösen. Ich habe hier großes Vertrauen in Nissan, wo wir sehr ernst mit dem Thema umgehen.
Wo sehen Sie den größten Hebel?
Der liegt zunächst in der Produktion. Wir haben für unser britisches Werk in Sunderland, das mit dem Nissan-EV36Zero-Projekt unser erstes Vorzeige-EV-Zentrum werden soll, ein neues Crossover-EV angekündigt, das von einer Gigafabrik in der Nähe mit Zellen beliefert wird. EV36Zero ist ein Projekt, das die Produktion von Elektrofahrzeugen, erneuerbaren Energien und Batterien miteinander verbindet und eine Art Blaupause für die Zukunft der Automobilbranche darstellt. Bei allen Neuinvestitionen versuchen wir, dies umzusetzen. Europa ist hier führend. Aber auch unser Werk in Indien ist hier schon sehr weit, hier haben wir beispielsweise große Fotovoltaikanlagen installiert. In der Lieferkette geht es vor allem um Stahl oder Aluminium, das sind die großen Brocken.
Ziehen denn die Automobilzulieferer mit?
Das ist unterschiedlich. Die Richtung stimmt, aber es ist oft auch eine Frage der Kapazitäten. Haben wir genug Plastik-Rezyklat in Europa, um 50 oder 60 Prozent Anteil in ein Auto zu bringen? Und es ist auch eine Frage des Preises. Die Kundinnen und Kunden interessiert das Thema, und sie erwarten hier auch unser Engagement. Aber am Ende will niemand dafür mehr bezahlen, sondern es soll eine Selbstverständlichkeit sein.
Kann Klimaschutz auch ein Kostenvorteil sein?
Es ist oft eine Kombination. Wir müssen sparen, weil alle Rohstoffe und Teile immer teurer werden. Aber am Ende zahlt das auch auf die CO2-Bilanz ein. Gerade bei der Energie merken wir, was der Umstieg auf erneuerbare Quellen und die Einsparung in den Prozessen bewirken kann. Ein weiterer Vorteil ist die Reduzierung von Abhängigkeiten und Volatilitäten am Markt. Aber das funktioniert nicht immer. Und wie entscheidet man sich dann?
Ist Ihre Stimme für Nachhaltigkeit im Unternehmen wichtiger geworden?
Letztlich wurde meine Position deshalb geschaffen, um genau diese Themen voranzubringen und viel zentraler zu positionieren. Und ich merke, dass ich meinen Job gemacht habe, wenn die meist männlichen Kollegen ihre Hand heben und fragen, ob bei einer Entscheidung Kriterien wie Nachhaltigkeit oder Diversität ausreichend berücksichtigt wurden.
Das Interview führte Michael Gerster
Dieser Text stammt aus der Automobilwoche-Edition "Sustainability". Mehr erfahren
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