Martina Buchhauser hat als ehemalige Einkaufschefin von Volvo Cars unter anderem die Nachverfolgbarkeit von Kobalt-Lieferketten bei dem Autobauer eingeführt. Sie ist Gründerin der „Procurement Initiative“ für moderne Beschaffung, Co-Autorin des Standardwerks „Responsible Procurement“ und Senior Advisor bei der Unternehmensberatung H&Z Management Consulting.
Frau Buchhauser, was hat der Einkauf mit Nachhaltigkeit zu tun?
Der Einkauf kann sich hier als der Treiber von Veränderung zeigen. Mit einem nachhaltigeren Einkauf fängt die Transformation eines Unternehmens zu mehr Klimaschutz und mehr sozialer Verantwortung an. Wenn am Anfang der Kette die falsche Einstellung steht, kann am Ende kein wirklich nachhaltiges Produkt herauskommen.
Jahrzehntelang ging es im Einkauf im Wesentlichen um den besten Preis – ist das ein Paradigmenwechsel?
Der Einkauf war tatsächlich lange Zeit singulär um den Preis bemüht. Aber das ist mit der weltweiten Klimapolitik und den geopolitischen Umbrüchen endgültig vorbei. Der Einkauf ist hochpolitisch geworden, die Anforderungen an diese Aufgabe sind enorm gewachsen. Heute müssen Einkäufer viel stärker berücksichtigen, welche Naturkatastrophen einer Lieferkette drohen können, welche politischen Veränderungen ganze Länder unerreichbar machen können und welche technischen Disruptionen etablierte Produkte hinfällig und neue erforderlich machen können. Und genau deshalb ist eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Lieferanten die Lösung, eine geteilte Verantwortung – aber das kann nur auf Augenhöhe funktionieren.
Spielt der Einkauf für nachhaltigere, fairer produzierte Produkte heute auch eine größere Rolle beim Endverbraucher?
Das veränderte Kundenverhalten ist ein zentraler Treiber für einen nachhaltigeren Einkauf. Immer mehr Kunden fragen danach und wollen beim Autokauf ein gutes Gewissen haben. Das betrifft nicht nur die Umweltbilanz während der Lebensdauer eines Fahrzeugs, sondern zunehmend auch den gesamten Kreislauf von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Recyclingquote. Da findet gerade tatsächlich eine grundlegende Neubewertung des Automobils statt. Spaltmaße messen ist out, Connectivity, Convenience und Nachhaltigkeit dagegen sind in. Diese neue Sicht auf den Wert eines Autos gilt übrigens nicht nur für die Kunden, sondern auch für die Investoren.
Sie meinen die Forderung nach grünen Investments?
Ja, es wird immer schwieriger für Investoren, in nicht ESG-konforme Unternehmen zu investieren. Ein Fonds, der nicht ein Mindestmaß an ESG-zertifizierten Anteilen enthält, ist nahezu unverkäuflich. Das erhöht natürlich ebenfalls stark den Druck auf den Einkauf.
Die Krux besteht ja wohl darin, dass viele Autokäufer nach grüneren und sozialverträglicheren Autos rufen, aber nicht wirklich bereit sind, mehr dafür zu bezahlen.
Bevor der Kunde mehr zahlt, muss man sich fragen, was die Hersteller tun können, um Kosten aus dem Gesamtsystem zu nehmen. Hier kann Raum geschaffen werden für sicherlich notwendige Investitionen, um auf CO2-reduzierte Verfahren umzusteigen. Aber auch hier gilt es, Bedarfe zu bündeln und Planungssicherheit zu erzeugen, sodass sich Zulieferer auf einen Return verlassen können.
Nennen Sie uns einige Beispiele, bitte.
Ein erheblicher Kostenfaktor im Einkauf ist die Überkomplexität – im Sinne von Überspezifikation und hoher und vielleicht nicht kundenrelevanter Varianz in den Produkten. Die kostet jeden größeren Autobauer Milliarden. Dann gibt es erhebliche Verluste durch Fehlplanungen, unnötige Transporte und auch Fehlentscheidungen im Sourcing-Prozess. Speziell bei der Mammutaufgabe „Umbau zu net zero“ müsste man viel mehr Möglichkeiten und Bedarfe über das eigene Unternehmen hinaus ausschöpfen, wie zum Beispiel bei grünem Stahl. Ich denke, dass auch das Wettbewerbsrecht an dieser Stelle ein Update braucht.
Wie schafft man es in der derzeitigen Gemengelage um anfällige Lieferketten, die Nachhaltigkeit sicherzustellen?
Resilienz und Nachhaltigkeit ergänzen sich hervorragend. Je mehr Transparenz ich in der Lieferkette schaffe und Komplexität herausziehe, unnötige Transportwege abschneide, umso mehr stärke ich die Lieferketten, was sich positiv auf die Resilienz, Nachhaltigkeit und in vielen Fällen auf die Kosten auswirkt. Auch können Krisensituationen so schneller bewältigt werden.
Welche Kompetenzen werden wichtiger für eine smarte Einkaufsorganisation?
Verantwortung übernehmen und für eine gesunde Lieferkette innerhalb des Unternehmens einstehen: hinterfragen, Nein sagen, aufklären. Und mit den Lieferanten gemeinsam in die Verantwortung gehen und Resilienz, Nachhaltigkeit, Kostenreduzierung schaffen. Orchestrieren, zusammenbringen, sich praktisch täglich mit der weltpolitischen Lage vertraut machen.
Welche Faktoren spielen inzwischen eine größere Rolle als noch vor fünf oder zehn Jahren?
Letztlich geht es um die Sicherheit und Resilienz jeder einzelnen Lieferkette. Überraschungen und Krisen wird es weiterhin geben. Und genau deshalb ist es heute viel wichtiger als noch in der Vergangenheit, die Partner, deren Fähigkeiten, deren Mindset zu kennen. Das geht nur, wenn man sich mit den Playern intensiver auseinandersetzt, um dann den echten Partner zu finden, der umgekehrt auch mich als echten Partner anerkennt. Es reicht schon lange nicht mehr, auf einer Exel-Liste das Kreuz an der Stelle mit dem niedrigsten Preis zu setzen.
Sie streiten darum, dem Einkauf auch in den Konzernstrukturen mehr Mitsprache schon in frühen Entscheidungsprozessen zu geben. Warum ist das wichtig?
Wir kämpfen dafür, früh beteiligt zu sein, und dafür, weit stärker ressortübergreifend zusammenzuarbeiten, als das vielfach üblich ist. Wir müssen hin zu einer Kreislaufwirtschaft, und der Einkauf kann mit seiner Expertise schon in der frühen Phase mit Entwicklung, Design und der Produktion zusammen die Weichen für ein profitables und nachhaltiges Produkt stellen.
Erfordert das auch eine offenere Arbeitsorganisation?
Absolut. Vertrauen, Offenheit, Ehrlichkeit, konstruktives Feedback et cetera zählen mehr als je zuvor, wenn es um die beste Teamleistung geht. Und das fängt an der Spitze an. Führungskräfte sollten die erwünschte Kooperation tatsächlich beispielhaft vorleben. Es geht darum, ein selbstbewusstes Team aufzubauen, das gerade auch in Krisensituationen seinen Job macht.
Das Interview führte Michael Knauer
Dieser Text stammt aus der Automobilwoche-Edition "Sustainability". Mehr erfahren
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