Herr Thrun, wir spüren in jüngerer Zeit eine Zurückhaltung der Autohersteller beim autonomen Fahren. Was passiert da gerade?
Ich spüre das auch. Das liegt daran, dass das Thema autonomes Fahren überhypt worden ist. Lange Zeit war es ganz ruhig um das Thema, dann ging es 2015 steil nach oben. Barack Obama sprach darüber, alle sprachen darüber, und die Hersteller machten große Ankündigungen.
Und wie ist der aktuelle Stand?
Es gibt mehrere Firmen, die wirklich testen. Waymo in Phoenix, Aptiv in Las Vegas, Voyage in Florida. Die Projekte sind zwar ökonomisch noch nicht tragfähig. Deshalb sollte man sie aber nicht weniger ernst nehmen. Das autonome Auto kommt.
Hinken deutsche Hersteller den Amerikanern hinterher?
Kennen Sie "Innovator's Dilemma"? Dort heißt es, wenn es disruptive Technologien gibt, die Geschäftsmodelle komplett verändern, kommen die meist von neuen Firmen und nicht von alten. Vielleicht haben wir in 30 Jahren weniger Autobauer, aber dafür haben wir andere Unternehmen. Nehmen Sie Tesla: Elon Musk ist kein Automann, aber Weltmarktführer für Elektroautos. Vor 20 Jahren gab es den Namen noch nicht.
Wie schwer ist das Entwickeln des autonomen Fahrens?
Dass ein Fahrzeug auf einer Autobahn autonom fährt, kann Ihnen ein Student an einem Tag programmieren. Schwer sind die Details: Verkehr in der Innenstadt, Objekte und Subjekte zu 100 Prozent zu identifizieren.
Zumal die Regulierungen immens sein werden in Europa...
Regulierungen passen sich an. Auch in Europa. Die Europäer werden nicht hintanstehen, wenn die Amerikaner sich öffnen.
Braucht es einen gemeinsamen Standard? Ein Betriebssystem?
Das ist heute nicht der Fall. Jedes Auto hat bereits ein Betriebssystem. Autos müssen zwei Dinge: sicher und ökonomisch tragfähig sein. Daraus ergibt sich nicht automatisch, dass Audi und BMW das gleiche Betriebssystem haben müssen. Der Vorteil wäre, dass die Kosten sinken, ja. Aber da müssten sich die Hersteller alle einigen, und das ist nicht unbedingt gegeben.
Kommen wir zu Kitty Hawk, das Start-up, das Sie mit Larry Page gegründet haben. Wie weit sind Sie dort?
Mittlerweile haben wir mehr als 150 Testflugzeuge gebaut und über 25.000 Testflüge hinter uns. Menschen sind bereits mitgeflogen, und wir haben noch nie einen Menschen verletzt. Gleichwohl ist es so: Wenn beim Fliegen etwas schiefläuft, ist das Risiko für Leib und Leben gleich sehr hoch. Wir sind noch nicht auf dem Level, absolut sicher zu sein. Aber wir sind sehr nah dran.
Sie glauben an die Flugmobilität?
Mobilität durch die Luft wird sehr viel schneller sein als das Auto. Und sehr viel sicherer.
Sicherer als das autonome Auto?
Ich habe lang genug am autonomen Auto gearbeitet. Am Boden haben Sie Fußgänger, Mauern, Bordsteine. In der Luft haben Sie nur andere Flugzeuge, und die können kommunizieren.
Warum kooperieren Sie bei Kitty Hawk jetzt mit Boeing?
Ich habe das Gefühl, dass wir im Silicon Valley in bestimmten Sachen sehr gut sind und in anderen nicht. Wir sind gut in Innovation und Crazy New Things. Aber wenn es darum geht, systematisch Hardware zu bauen, haben traditionelle Hersteller mehr Erfahrung.
Wenn Sie einmal herumspinnen: Was ist das nächste große Ding?
Augmented Reality wird uns alle zusammenbringen, ohne dass wir uns physisch treffen müssen. Wir können gemeinsam nach Ägypten reisen, ohne dass wir jemals gemeinsam da gewesen sind. Und bitte endlich besseres Video Conferencing!