Herr Schiefer, Sie haben zu Beginn des Jahres Ihre dritte Generation der Aurix-Mikrocontroller vorgestellt. Was kann diese besser als die ersten beiden?
Die ersten beiden Aurix-Generationen finden sich in vielen Applikationen, vom klassischen Motor-Management, über die Getriebesteuerung bis hin zu neueren Applikationen wie der aktiven und passiven Sicherheit. Die neue Aurix-Generation ist noch besser auf die Anforderungen des vernetzten, intelligenten und elektrischen Autos des nächsten Jahrzentes ausgerichtet. Sie bietet mehr Rechenpower, bessere Konnektivität, unterstützt neueste Safety und Security-Standards und KI-Anwendungen. Das skalierbare Konzept der Familie ermöglicht neue E/E-Architekturen sowie eine gemeinsame Software-Architektur und damit erhebliche Einsparungen bei der Entwicklung einer Plattform.
Wann ist die neue Aurix-Generation verfügbar?
Wir haben die ersten Muster an Kunden ausgeliefert und planen den Serienhochlauf in 2024. Die Systeme werden jetzt mit den Mustern bei den Kunden entwickelt.
Wer sind ihre Kunden?
Fahrzeughersteller und Zulieferer.
Wird Ihr Kontakt zu den Fahrzeugherstellern enger, weil diese das Halbleiter-Thema besser verstehen wollen?
Da spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Einer davon ist, dass die Komplexität der Software zunimmt. Wenn der Fahrzeughersteller in jedem Steuergerät unterschiedliche Mikrocontroller hat, ist der Migrationsaufwand für die Software hoch. Deshalb tendieren immer mehr Fahrzeughersteller dazu, die Rechnerarchitektur für die Steuergeräte direkt oder indirekt vorzugeben. Ein zweiter Punkt ist, dass die Komplexität in der Variantenvielfalt eingegrenzt werden soll. Infolgedessen geben die Fahrzeughersteller ihren Zulieferern vor, welche Rechner und Prozessoren sie einsetzen sollen. Ein dritter Aspekt ist die Komplexität der E/E-Architektur. Schon heute gibt es 50, 80 oder gar 100 dezentrale Steuergeräte, die separat funktionieren. Um diese Komplexität zu reduzieren, sollen die Steuergeräte künftig durch vier oder fünf Domain-Rechner gesteuert werden und im nächsten Schritt in einer Zonen-Architektur stärker geclustert werden. Damit deren Zusammenspiel gut funktioniert, muss zentral eine Mikrocontroller-Architektur vorgegeben werden.
Lassen sie die Aurix-Generation bei Partnern fertigen?
Ja. Bei Strukturbreiten von 65 Nanometer und darunter fertigen wir die Mikrocontroller nicht selbst.
Sind die Aurix-Mikrocontroller eine Standardkomponente oder werden sie für jeden Kunden nochmals individuell angepasst?
Aurix ist weder kunden- noch applikationsspezifisch. Es gibt ein Familienkonzept, bei dem sich die verschiedenen Mikrocontroller in der Rechenleistung und in der Performance unterscheiden. Wir schauen uns die Applikationen an und versuchen Schnittmengen zu finden, um zu definieren, mit welcher Aurix-Variante sich mehrere Applikationen gut abdecken lassen.
Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?
Um die Rechenleistung zu optimieren, haben wir Hardwarebeschleuniger integriert. Diese Rechenbeschleuniger brauchen wir besonders beim Radar oder bei der Kennliniensteuerung im Motor-Management. Das wären dann Gruppen von Applikationen für die jeweils eine spezifische Aurix-Variante genutzt würde.
Welche Rolle spielt Aurix innerhalb des Automotivegeschäfts von Infineon?
Der Aurix ist zentral für wachstumsstarke und sicherheitskritische Anwendungen wie Motorsteuerung oder ADAS. Beispielsweise wird ein führender europäischer Automobilhersteller etwa 35 AURIX-MCUs an Bord eines neuen Fahrzeugs haben, das Mitte dieses Jahrzehnts produziert werden soll. Wir sehen das Auto als holistisches System und verbinden Chips und Software zu einer Gesamtlösung: von der Sensorik, also das Erkennen und Messen der Daten, über die Auswertung und Berechnung der Daten durch Mikrocontroller, bis hin zur Ausübung der Aktivität durch Leistungselektronik. Speicherprodukte, Konnektivität und Datensicherheit runden das Paket ab.
Haben Sie schon einen Kunden für die neue Aurix-Genreation?
Ja, aber wir können den Kunden nicht nennen.
Erwarten Sie weitere Abschlüsse?
Wir sind mit allen Kunden, die den Aurix nutzen, in intensiven Gesprächen darüber, wann und wo der Einsatz der nächsten Generation sinnvoll ist. Ein Schwerpunkt der Vorgängergeneration lag auf den Themen funktionale Sicherheit und Cybersecurity. Sie hat sich als eine Art de-facto-Standard für eine Elektronik entwickelt, die robust und zuverlässig in sicherheitsrelevanten Applikationen funktioniert. Also Applikationen, die mit Themen wie aktive und passive Sicherheit, Fahrerassistenzsystemen, Radar, Motor-Management oder Getriebesteuerung zusammenhängen. Es gibt fast keine Applikation, in der Aurix nicht genutzt wird. Von den ersten beiden Aurix-Generationen haben wir rund 320 Millionen Stück ausgeliefert. Rechnet man die Vorgängerprodukte dazu, sind es rund 845 Millionen ausgelieferter Stück seit 1999.
Welche Umsätze erwarten Sie sich von der dritten Aurix-Generation?
Dazu machen wir keine Angaben.
Wie werden sich die Elektrik-/Elektronik-Architekturen im Fahrzeug verändern?
Heute ist es so, dass in einem mittel bis gut ausgestatteten Fahrzeug 50, 80 bei einzelnen Premium-Autos auch schon mal über 100 einzelne Steuergeräte verbaut sind. Jedes führt dabei eine autarke Funktion aus. Es gibt beispielsweise Geräte, die den Motor, das Getriebe oder den Fensterheber steuern. Aktuell sehen wir den Trend zu einer Domänen-Architektur. Die Fahrzeughersteller wollen damit die Komplexität reduzieren, die mit der steigenden Zahl an Steuergeräten und deren Management durch Software einhergeht. Dafür werden die funktionalen Aufgaben in einem Auto zunächst in eine Handvoll Domänen unterteilt.
Wie sieht eine solche Aufteilung aus?
So lassen sich alle Funktionen, die das Infotainmentsystem und das Cockpit betreffen oder alles rund um Fahrerassistenzsysteme in einer Domäne zusammenfassen. Das können auch die Themen Fensterheber, Schiebedach und Klimatisierung in einer Domäne sein. Erste Autos mit solch einer Domänen-Architektur werden bereits produziert. Diese Trennung nach funktionalen Clustern hat aber auch Nachteile, weil es im Auto neben den Funktionen auch räumlich getrennte Zonen gibt.
Können Sie das weiter erläutern?
Beispielsweise gibt es Zonen vorne und hinten im Fahrzeug. Es ist nicht optimal, wenn ein Kabel von vorne links nach hinten rechts verlegt werden muss, nur weil es unterschiedlichen Domänen zugeordnet ist. Dies führt zu einer Mischform aus Domänen und Zonen-Architektur: die funktionale Clusterung wird hier mit einer lokalen Ausrichtung kombiniert. Das heißt, es gibt eine Zone hinten links, eine hinten rechts und eine weitere vorne. Das reduziert den Verkabelungsaufwand, da nur noch mit einer Leitung zwischen den Zonen kommuniziert wird. Die reine Domänenstruktur ist aus meiner Sicht ein interimistischer Zustand. Langfristig bietet eine Zonenlösung dem Fahrzeughersteller bezüglich Software und Verkabelungsaufwand mehr Vorteile. Hier gibt es dann einen zentralen Rechner, der vom Aurix als Companionchip für sicherheitskritische Anwendungen unterstützt wird, und viele dezentrale Zonenrechner, in denen der Aurix die Steuerungsfunktion übernimmt. Ich gehe davon aus, dass sich diese Zonenarchitektur durchsetzen wird und wir in den nächsten zehn Jahren eine starke Penetration sehen werden.
Wie stellen Sie sich auf die wachsende Nachfrage nach Silizium-Karbid-Halbleitern ein?
Von den ungefähr sechs Millionen E-Autos und Plug-in-Hybriden, die 2021 produziert wurden, ist die Hälfte mit Leistungselektronik von Infineon ausgerüstet. Bei den neuen Fahrzeugprojekten werden wir im großen Umfang einen Umstieg von der siliziumbasierten IGBT-Technik hin zur Silizium-Karbid-Technologie erleben. Deshalb haben wir auch sehr früh damit begonnen, Silizium-Karbid-Chips zu entwickeln. Die erste Generation dieser Halbleiter liefern wir bereits aus, die zweite Generation ist in der Entwicklung und wir arbeiten bereits an der dritten Generation. Der Hyundai Ioniq 5 nutzt unsere Silizium-Karbid-Technologie, wie auch weitere Fahrzeughersteller in Asien oder den USA. Wir werden unsere Kapazitäten stark ausbauen und beispielsweise in Villach investieren, um dem wachsenden Bedarf im Bereich Silizium-Karbid gerecht zu werden.
Fertigen sie die Silizium-Karbid-Chips selbst?
Ja, bei der Leistungselektronik und Sensorik kommt die Differenzierung sehr stark aus der Technologie. Das machen wir selbst. Wenn sich die Mikrocontroller über das Produkt und die Architektur differenzieren und nicht so sehr über die Fertigungstechnik, nutzen wir Fertigungspartner.
Hat sich das Verhältnis zu den Fahrzeugherstellern durch die Chipkrise verändert?
Wir waren schon vor der Krise in engem Kontakt mit den Fahrzeugherstellern, um der Automobilindustrie die richtigen Technologien anbieten zu können. Im Zuge der Lieferengpässe hat sich die Zusammenarbeit gewandelt. Neben einer rein strategischen Diskussion sprechen wir nun auch über operative Themen. Die Fahrzeughersteller versuchen die Mechanismen des Halbleitergeschäfts besser zu verstehen. Wenn beispielsweise klar wird, wie lange es dauert einen komplexen Mikrocontroller zur Marktreife zu bringen, wächst auch das Verständnis und die Bereitschaft der Automobilhersteller, dafür viel längerfristiger zu planen. Wir haben auch gemeinsam darüber nachgedacht, wie wir in der Zukunft über Pufferlager kleinere bis mittlere Krisen besser abfedern können und wie sich die Supply Chain resilienter gestalten lässt.
Arbeiten Sie mit den Kunden an weiteren Lösungen?
Wir diskutieren auch Modelle, wie wir mittelfristig Kapazitätsreservierungen anbieten können. Das machen wir für ausgewählte Segmente. Eines davon ist die E-Mobilität.
Warum dort?
Weil dieses Segment im Vergleich zur klassischen Automobilelektronik noch weniger gut planbar ist und zudem eine steile Hochlaufkurve hat. Solche Programme zur Kapazitätsreservierung sind auch immer mit Diskussionen verbunden, wie sich das kommerziell ausgestalten lässt.
In welchen Schritten erwarten Sie eine Entspannung auf dem Halbleitermarkt?
Bei Mikrocontrollern, die wir außer Haus fertigen lassen, werden wir 2022 noch eine starke Begrenzung haben. Das zweite Halbjahr wird aber besser als das erste. Ich gehe davon aus, dass wir 2023 den Bedarf gut abdecken können. Aber auch in 2023 werden wir noch nicht alle Wünsche für Pufferlager und Aufholaktionen erfüllen können. Bei Produkten die wir selber herstellen, wie die Leistungselektronik und Sensoren, gibt es heute zum Teil schon keine Engpässe mehr und wir werden bis zum Sommer weitestgehend lieferfähig sein. Die letzten Themen werden 2023 gelöst werden.
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