Im November 2015 wirkte es wie der Versuch eines Befreiungsschlags: VW wirbt einen Apple-Manager als Digitalisierungsexperten ab. Von Apple, aus dem Silicon Valley – das klang, als ob der Wolfsburger Konzern mit Johann Jungwirth etwas vom Glanz und Erfolg der "Gafas", also Google, Amazon, Facebook und Apple an den Mittellandkanal holen könnte. Rund zweieinhalb Jahre später scheint der Traum beendet. Einem Bericht der "Welt am Sonntag" zufolge wird Johann Jungwirth (46) den Konzern verlassen.
Mit seinem Auftreten brachte der studierte Elektroingenieur tatsächlich etwas Silicon-Valley-Flair nach Niedersachsen. Anfangs kam er für kurze Zeit noch mit Anzug und Krawatte zur Arbeit - aber nur "um nicht anzuecken und nicht von inhaltlichen Themen abzulenken, damit mich die Kolleginnen und Kollegen hier erst einmal kennen lernen, mich als Mensch mit meinem Know-how und meiner Erfahrung respektieren." Später ging er dann zum lockeren Westküsten-Stil über. Da er – großer Fan des Duzens – sich selbst mit leichtem US-Akzent "Ich bin JJ" vorstellte, war auch im Konzern bald meist von "Jay Jay" die Rede.
"Am liebsten wäre es mir, das Siezen abzuschaffen - aber das ist für Deutschland wohl eher ein 20-Jahres-Plan. Nach acht Jahren Silicon Valley und elf Jahren USA insgesamt, wo es dies halt nicht gibt, ist Siezen arg seltsam", gab JJ damals zu Protokoll.
Angeworben worden war er 2015 als Digitalchef, der direkt an den Vorstandsvorsitzenden berichtet. Diesen Job hat er schon seit gut einem Jahr nicht mehr. Damals hatte der neue Konzernchef Herbert Diess, den Bereich der Fahrzeug-IT an sich gezogen. Jungwirth ging daraufhin wieder zurück nach Kalifornien und arbeitete dort für Volkswagen.
Mit Diess schien es für Jungwirth nicht so gut zu laufen, wie mit dessen Vorgänger Matthias Müller. Den hatte Jungwirth offenbar schon nach wenigen Monaten überzeugt. "Er ist jetzt voll an Bord" verkündete Jungwirth, nachdem Müller beim Genfer Automobilsalon 2016 eine Offensive zum autonomen Fahren angekündigt hatte. Ein halbes Jahr früher, noch als Porsche-Chef, hatte Müller das autonome Fahren noch als "Hype" bezeichnet, der "durch nichts zu rechtfertigen ist".
Seine Vision vom autonomen Fahren beschrieb Jungwirth einmal so: "Mobilität für alle schaffen, und zwar auf Knopfdruck, ob für Kinder, alte oder blinde Menschen." Seine drei Kinder, gab er sich überzeugt, würden in Zukunft keinen Führerschein mehr benötigen. Und die Software werde das Herzstück im Automobil der Zukunft sein. Um darauf hin zu arbeiten, wollte er bei VW einen entsprechenden "Mindset" etablieren.
Ein Schritt dahin sollte die Partnerschaft mit dem Start-up Aurora sein, die JJ Anfang 2018 verkündete. Gegründet hatten das Ex-Google-, -Tesla- und -Uber-Manager, die das autonome Fahren vorantreiben wollten. Damit, so Jungwirth, wolle VW beim autonomen Fahren auf die "Überholspur" wechseln. Allzu lange blieb der Konzern dort nicht. VW kündigte die Partnerschaft nun fast zeitgleich mit dem Bekanntwerden der Trennung von JJ auf.
Begonnen hatte Jungwirth seine Karriere mit einem Elektrotechnikstudium an der dualen Hochschule Baden-Württemberg und einigen Jahren an US-Hochschulen, bevor er 1994 zu Daimler kam. Für Daimler leitete er von 2009 bis 2014 im kalifornischen Sunnyvale das Forschungs- und Entwicklungszentrum von Mercedes-Benz. Von 2008 bis 2014 war er zudem als Vice-President Infotainment and Telematics für Forschung, Technik- und Produktentwicklung von Infotainment- und Connected-Car-Lösungen verantwortlich. Bei Apple arbeitete er dann als Director in der Entwicklung der Mac-Computersysteme und in einer Projektgruppe in Cupertino mit - was genau das beinhaltete, blieb Raum für Spekulationen. Gerüchte gab es jedoch immer wieder, dass er auch an der Entwicklung eines Autos von Apple beteiligt war. Dabei sah er das nicht als Job für den Rest seines Lebens an, sondern wollte zurück in die deutsche Automobilindustrie: "Irgendjemand muss schließlich die verkrusteten Strukturen aufbrechen, wenn die alten Riesen überleben sollen", wurde er damals zitiert.
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