Herr Willand, warum sollten sich Fahrzeughersteller, Kommunen und Verkehrsplaner mit dem Thema Smart Mobility befassen?
Wir wissen, dass die Verkehrsleistung weltweit noch deutlich steigen wird. Bis 2030 rechnen wir alleine in Deutschland gegenüber dem Basisjahr 2010 mit einem Wachstum im Personenverkehr von zwölf Prozent, im Güterverkehr sogar von 38 Prozent. Und dieser Trend wird anhalten. Angesichts dieses Wachstums brauchen wir deutlich mehr smarte Lösungen, um auf einer kaum wachsenden Verkehrsfläche mehr Verkehr abwickeln zu können.
Wirkt sich die Corona-Pandemie auf diese Entwicklung aus?
Absolut. Durch Corona steigt nochmals der Anteil des individuellen Verkehrs, während im öffentlichen Nahverkehr die Nutzerzahlen teilweise dramatisch sinken. Angesichts der Hygiene-Probleme steigen die Menschen wieder lieber in ihr privates Auto.
Viele Carsharer hatten gehofft, dass ihr Angebot recht schnell einen relevanten Teil der Mobilität einnimmt. Das scheint aber nicht der Fall zu sein.
Natürlich hat die Corona-Pandemie dem Carsharing einen Dämpfer verpasst. Aber auch ohne diesen Einfluss werden Mobilitätsangebote wie Carsharing oder Ride-Sharing nicht eine so große Rolle spielen, wie man das vielleicht vor zwei oder drei Jahren gedacht hat. Wenig von den teilweise hochfliegenden Plänen der Anbieter ist eingetreten.
Wie schafft man es dann, mehr Menschen von den neuen Angeboten zu überzeugen?Dafür muss der Zugang zu diesen Angeboten so einfach wie möglich gestaltet werden. In Stuttgart zum Beispiel wurden in einer Studie rund 30 Mobilitätsangebote identifiziert: 30 Apps, 30 Registrierungen, 30 mal Zahlungsdaten angeben. So etwas kann nicht funktionieren.
Wie macht man es besser?
Einen besseren Weg als Stuttgart schlägt derzeit Berlin mit der Plattform Jelbi ein. Das Motto dort lautet: Einmal anmelden und alles fahren: Bus, Bahn, Roller, Fahrrad, Auto und Carsharing. Dabei dienen die Berliner Verkehrsbetriebe als Orchestrierer, denn sie sind mit einem Marktanteil an allen Berliner Personenkilometern von über 30 Prozent der mit Abstand größte Anbieter. Der Autobauer Volkswagen beispielsweise hat in Berlin einen Anteil von zwölf Prozent an allen Personenkilometern. Der BVG verhält sich neutral – das macht es für alle anderen Partner attraktiv, sich zu beteiligen.
Projekte wie Jelbi scheinen die meisten Fahrzeughersteller aber noch kalt zu lassen.Ja. Bei den OEMs gibt es vielfach noch Berührungsängste. Dabei wäre eine Beteiligung durchaus förderlich, auch für die Fahrzeughersteller. Die Autobauer versuchen derzeit noch, mit ihrer jeweiligen Marke als einziger Vertreter auf der Angebotsseite zu agieren. Mit Alleingängen werden die Autobauer jedoch scheitern. Das ist eine Erkenntnis aus der Plattform-Ökonomie. In meinen Augen ist es ideal, wenn der ÖPNV als neutraler Mittler eine Plattform betreibt und von allen übrigen Anbietern akzeptiert wird.
In dieser smarten Mobility-Welt stellt sich aber künftig die Frage, wer von der Wertschöpfung profitiert.
Ja, die gesamte Wertschöpfungskette verschiebt sich. Es treten neue Akteure auf wie Energieversorger, Logistikanbieter, Plattformbetreiber. Diese Mobilitäts-Ökosysteme werden von Plattformen dominiert, nicht mehr von Automobilmarken. Der Hauptgrund dafür ist: Die Plattformen wie beispielsweise Uber und Amazon oder Didi und AliBaba haben schon heute mehrere hundert Millionen registrierte Nutzer. Am schnellsten werden sich diese Ökosysteme in China und in den USA ausbreiten, in Europa aufgrund des Föderalismus etwas langsamer. Dort ist der Marktzugang für große Plattformanbieter schwieriger.
Besteht in dieser schönen neuen Mobilitätswelt nicht die Gefahr, dass irgendwann alle "User" mit ein- und demselben Volks-Trabi fahren und dass somit der Markt für die Autohersteller massiv schrumpft?
Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage im Premiumbereich in den nächsten zehn bis 15 Jahren relativ stabil bleibt. Bei den Volumenmarken aber rechnen wir mit einer weitergehenden Konsolidierung. Dort wird das Fahrzeugmodell aus Sicht der Kunden in den Hintergrund treten, wichtiger werden seine Funktionen, das Interieur und natürlich der Preis. Der Verbrennungsmotor wird seine Rolle als Differenzierung immer stärker verlieren. In dieser Situation zählen Skaleneffekte immer mehr.
Gibt es noch die Chance, dass sich Europa bei dieser Entwicklung nicht von amerikanischen oder chinesischen Giganten vereinnahmen lässt?
Durchaus. Aber in Europa spielen der ÖPNV und der Bahnverkehr eine wesentlich größere Rolle. Wenn diese Player dazu bereit sind, smarte Mobility-Konzepte unter anderem mit den Autoherstellern zu organisieren, dann können durch maßvolle Regulierung und Anschubfinanzierung neutrale Plattformen geschaffen werden, die Resilienz gegenüber den angesprochen Giganten schaffen. Die technischen Mittel dafür sind längst da.
Woran hapert es dann noch?
Vor allem am Tempo. Beim Aufbau neuer digitaler Plattformen muss Europa wesentlich schneller werden – und koordiniert vorgehen. Wie zäh die Strukturen hier noch sind, sind man z.B. bei der Plattform Urbane Mobilität oder Nationalen Plattform Mobilität. Am Beispiel der Corona-App hat man studieren können, wie schnell es gehen kann. Sogar eine europäische Lösung ist jetzt in Planung.
Brauchen wir für die kommenden Smart Mobility-Szenarien überhaupt das autonome Fahren oder funktionieren diese auch mit Lenkrad?
Das autonome Fahren wird das nächste Level für smart Mobility bedeuten. Level 4 und 5 werden kommen. Sie ermöglichen einen Quantensprung bei der Steigerung der Effizienz im gesamten Verkehr. Der begrenzte Verkehrsraum wird dadurch nochmals wesentlich effizienter genutzt werden können. Im Güterbereich wird dieser Effekt noch dramatischer ausfallen. Wir sparen künftig den Fahrer und haben hohe Rationalisierungspotenziale. Die hohen Investitionen in diese Technologie werden sich deshalb vor allem im Güterverkehr rasch lohnen.
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