So weit sind deutsche Hersteller bei der E-Revolution

Kaum ein Monat vergeht derzeit ohne die Premiere eines neuen Elektroautos. Nach einer aktuellen Liste des ADAC können Kunden inzwischen unter 97 Baureihen mit 230 Modellversionen auswählen – von Autobauern wie Aiways bis hin zu Volvo. Auch alle deutschen Hersteller befinden sich mitten in der Transformation, das Angebot an verfügbaren Modellen wächst. Interessant ist aber, dass nicht etwa der große VW-Konzern die E-Revolution anführt, sondern ein Premiumhersteller.

So hat aktuell Mercedes mit Abstand das größte Portfolio an rein elektrischen Modellen. Mit EQA, EQB, EQC, EQV, EQS, EQE, EQS SUV und dem elektrischen Smart Fortwo sind bereits acht Modelle aus dem Konzern erhältlich. Noch in diesem Jahr folgen neben dem EQE SUV, der in gut zwei Wochen in Paris Premiere feiert, auch der EQT als Familienvan und der Smart #1 als Viersitzer. „In jedem Segment können Kunden damit mindestens auf eine rein elektrische Lösung zurückgreifen“, so ein Mercedes-Sprecher. Obwohl das Angebot groß ist, ist der Verkaufsanteil aber noch ausbaufähig. Im ersten Halbjahr 2022 lag dieser bei Mercedes mit 45.400 Einheiten noch unter fünf Prozent – verglichen mit dem Gesamtvolumen von fast einer Million Fahrzeugen.

Der Anteil dürfte mit weiteren Modellen der EQ-Familie steigen. So wird es auf der EVA2-Plattform noch einen Maybach-Ableger des EQS SUV geben. Einen Ausblick darauf präsentierte Mercedes im vergangenen Jahr bei der IAA in München. Außerdem ist offenbar ein weiteres Modell geplant, das aber ganz auf den chinesischen Markt zugeschnitten ist. 2024 soll dann die G-Klasse ebenfalls rein elektrisch kommen und die erste Welle rein elektrischer Modelle abschließen, bevor die neuen Plattformen MMA für die Kompaktmodelle und MB.EA für die größeren Baureihen wie C- oder E-Klasse an den Start gehen. Spätestens dann dürfte die Bezeichnung EQ für die elektrischen Varianten hinfällig sein. Der Batterie-Antrieb ist dann der Normalfall. Nur bei den Kompaktmodellen ist noch Platz für einen Verbrenner. ­

BMW galt mit dem 2013 eingeführten i3 zwar viele Jahre lang als Vorreiter bei der Elektromobilität. Doch bis die Münchener neue Modelle nachlegten, dauerte es. Quasi als Nachfolger des inzwischen eingestellten i3 kommt in diesen Tagen das SUV iX1 auf den Markt, das bei BMW den Einstieg in die Elektro-Welt markiert. Den können Kunden sonst nur über die BMW-Tochter Mini mit dem Cooper SE gehen. Im ersten Halbjahr 2022 konnte die BMW Group den Absatz rein elektrischer Fahrzeuge mit 75.890 Einheiten mehr als verdoppeln, das entspricht einem Anteil von 6,5 Prozent am Gesamtabsatz.

Zum Jahresende dürfte die Bilanz dann anders aussehen, denn viele Modelle befinden sich noch im Hochlauf: so zum Beispiel das SUV iX3 und das Premium-SUV iX. Dazu kommen zwei Limousinen im batteriebetriebenen BMW-Angebot: Der i4 ist ein sportliches Coupé mit bis zu 400 kW Leistung und einer Reichweite von über 500 Kilometern. Der erste elektrische Siebener, der i7, rundet das BMW-Portfolio schließlich nach oben ab. Größter Schritt in Richtung Elektromobilität wird bei den Münchenern dann aber die Neue Klasse ab 2025 werden, die als SUV und Limousine auf den Markt kommen wird. Entwicklungsvorstand Frank Weber sagt: „Wir läuten damit eine neue Zeit ein.“

Als dritter Premiumhersteller gehört Audi mit dem 2018 eingeführten SUV e-tron ebenfalls zu den Frühstartern, hat das Angebot inzwischen aber vergößert. Die Modellpalette beginnt aktuell mit dem Q4 e-tron, der als kompaktes SUV eine breite Kundschaft ansprechen soll. Darüber kommt der e-tron, den es auch als Sportback und in vielen unterschiedlichen Leistungsversionen gibt. Bemerkenswert: Fast ein Viertel des Audi-Absatzes entfällt inzwischen auf die E-Modelle: Im ersten Halbjahr waren 50.000 Audis reine Stromer, 23 Prozent des Gesamtabsatzes. Meistverkauftes Batterie-Modell war dabei der e-tron mit 24.700 Fahrzeugen, gefolgt vom Q4 e-tron mit 18.200.

Das Portfolio der Marke mit den vier Ringen wird durch den Supersportler e-tron GT abgerundet, der auf der gleichen Plattform steht wie der Porsche Taycan. Ein Angebot zum Einstieg suchen Audi-Kunden bisher vergeblich. Auch ein Kombi fehlt im Portfolio. Heiß erwartet wird daher der erste elektrische A6, der 2024 sowohl als Limousine als auch als Avant-Version auf den Markt kommen soll. Richtig interessant wird es dann, wenn seine bisher nur als Konzept unter dem Namen "Sphere" gezeigten Modelle in die Serie überträgt. Doch bis zu den neuen Elektroautos, die im Rahmen des "Artemis"-Projekts entwickelt werden, dürften noch einige Jahre vergehen.

Die ehrgeizigsten Ziele hat VW auch nach dem Abgang von Konzernchef Herbert Diess weiter klar im Blick: Bis 2025 will der Wolfsburger Konzern an Tesla vorbeiziehen und weltgrößter E-Auto-Bauer werden, hatte Diess noch kurz vor seinem Abgang angekündigt. Und sein Nachfolger Oliver Blume stellte bereits klar, dass er diesen Kurs fortsetzen will: „Wir werden das bisherige Tempo beibehalten und, wo möglich, erhöhen.“

Bisher hat die Kernmarke VW aber nur folgende E-Modelle im Programm: die drei reinen Stromer ID 3, ID 4 und ID 5 sowie den E-Up, der aufgrund der großen Nachfrage aber regelmäßig ausverkauft ist. Anders als bei den ID-Modellen handelt es sich beim E-Up aber um einen umgebauten Verbrenner. Hinzu kommt der ID Buzz von VW Nutzfahrzeuge, der ab Oktober ausgeliefert werden soll – und für den schon jetzt 14.000 Bestellungen vorliegen.

Im ersten Halbjahr 2022 konnte VW den Absatz seiner E-Modelle bereits deutlich steigern. Während der Gesamtabsatz der Marke wegen fehlender Halbleiter und Kabelbäume um fast ein Viertel einbrach, ging die Zahl bei den E-Modellen um 25 Prozent nach oben. 115.900 E-Autos wurden ausgeliefert.  Das Gros des Absatzes entfällt aber weiter auf Verbrenner, von denen VW im gleichen Zeitraum fast zwei Millionen absetzte. Der E-Auto-Anteil lag damit bei 5,6 Prozent. Meistverkaufter Stromer der Marke ist der ID 4, auf den mit 63.000 mehr als die Hälfte des Elektro-Absatzes entfiel. Den nächsten Schub könnte es dann geben, wenn im nächsten Jahr mit dem elektrischen Passat als ID.7 auch eine Limousine und ein Kombi ins Portfolio aufgenommen werden.

Ein Phänomen ist die Sportwagen-Tochter Porsche. Mit dem Taycan und dessen Ablager Taycan Cross Tourismo hat der Sportwagenhersteller zwar streng genommen nur ein einziges Modell am Start. Doch das verkauft sich so gut, dass der Anteil rein elektrischer Fahrzeuge deutlich höher ist als bei Mercedes, BMW, oder VW. 18.877 verkaufte Taycan im ersten Halbjahr 2022 bedeuten einen Anteil von fast 13 Prozent am Gesamtabsatz von 145.860 Fahrzeugen.

Diese Zahl dürfte mit Einführung des rein elektrischen Macan noch deutlich steigen. Denn mit dem SUV stellt Porsche Anfang 2024 seinen Verkaufsschlager auf elektrischen Antrieb um. Und Produktionschef Albrecht Reimold hat gegenüber der Automobilwoche bereits erklärt, dass er auf lange Sicht ähnlich hohe Verkaufszahlen wie beim Verbrenner erwartet. Diese liegen in der Regel jenseits der 80.000 Einheiten pro Jahr. Bis Ende des Jahrzehnts sollen dann alle Modelle umgestellt sein. Nur beim 911 könnte eine Lösung noch etwas länger dauern, da der Antrieb mit Batterie fahrdynamische Herausforderungen bereithält.

Die spanische VW-Tochter Seat überlässt die Elektrifizierung weitgehend ihrem Ableger Cupra, den die Spanier zur reinen E-Marke umbauen wollen. Der ursprünglich als Seat geplante Born, der sich Technik und Plattform mit dem VW ID.3 teilt, ging am Ende als Cupra in Serie. Auch das zweite E-Modell der Spanier, das SUV-Coupé Tavascan, soll 2024 als Cupra in Serie gehen, ebenso wie ein Jahr später der Kleinwagen Urban Rebel, den die Spanier dann auch selbst produzieren wollen. Seat selbst hatte dagegen nur ein E-Modell im Programm: Den inzwischen eingestellten Kleinwagen Mii electric, der auf dem E-Up von VW beruhte und wie dieser ein umgebauter Verbrenner war. Der Cupra Born ist damit derzeit das einzige E-Modell der Spanier.

Das dünne E-Portfolio spiegelt sich im Absatz wieder: Zusammen kamen Seat und Cupra nur auf 8300 E-Autos – bei insgesamt 236.000 Auslieferungen. Der E-Anteil lag damit bei nur 3,5 Prozent. Allerdings sehr ungleich verteilt zwischen den beiden Marken: Cupra allein kam bei insgesamt 68.400 Auslieferungen dank des Born auf einen E-Anteil von 12 Prozent. Seat ohne Cupra lag dagegen mangels E-Modellen bei null.

Auch die Konzernschwester Skoda hat bisher nur ein E-Modell im Programm: Den Enyaq iV (inklusive Coupé). Dieses Modell ist aber äußerst erfolgreich: 22.200 Fahrzeuge wurde im ersten Halbjahr verkauft, jeder zehnte Skoda war damit ein Stromer. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum stieg der E-Absatz um gut ein Viertel. Im VW-Konzern spielt Skoda dabei eine Sonderrolle: Anders als die Konzernschwestern Cupra und Audi lassen sie ihren ID-Ableger nicht bei VW in Zwickau bauen, sondern fertigen ihn im Stammwerk in Mlada Boleslav selbst.

Bis Ende 2026 will Skoda drei weitere E-Modelle an den Start schicken: ein kompaktes E-SUV El-Roq und ein Einstiegsstromer als Pendant zu Cupra Urban Rebel und VW ID.1 oder 2 und ein neues Top-Modell auf Basis der Studie Vision 7S, die 2026 als Elektro-Octavia in Serie gehen könnte.

Aus dem Datencenter:

Entwicklung der reinen Elektroautos 2020 bis August 2022