Niemand kann ernsthaft sagen, wann wie viele Elektrofahrzeuge verkauft werden. Doch wenn die Nachfrage steigt, muss er liefern können. Deshalb setzt Produktionsvorstand Markus Schäfer für die EQ-Flotte von Mercedes auf eine möglichst enge Verzahnung und auf maximale Flexibilität. Im Interview mit der Automobilwoche erklärt er, wie das gelingen soll.
Herr Schäfer, wie bereiten Sie sich und Ihre Werke auf das Zeitalter des Elektroautos vor?
Aktuell kann niemand zuverlässig vorhersagen, wann wie viele Elektrofahrzeuge verkauft werden. Wir müssen uns deshalb auf einen Mix zwischen konventionellen Fahrzeugen einerseits und den elektrischen Fahrzeugen unserer Produktmarke EQ andererseits einstellen. Das geht nur mit maximaler Flexibilität. Eigene Fertigungsstraßen oder gar Standorte für die Produktion von Elektrofahrzeugen sind für uns keine Option. In Bremen und Sindelfingen wollen wir es so handhaben, wie wir es heute bereits in Rastatt mit der B-Klasse Electric Drive und in Hambach mit dem smart tun: Wir bauen Verbrenner und Elektroautos nicht nur unter einem Dach, sondern sogar auf einer Linie. Damit kann das EQ-Modell künftig auf demselben Band laufen wie das Fahrzeug, das es potentiell ersetzen soll. Maximale Fertigungsflexibilität ist für die Serienintegration des EQ deshalb das A und O.
Wie kann das gehen?
Das gelingt nur, wenn Produktion und Entwicklung noch stärker verzahnt werden und schon in einer sehr frühen Phase zusammenarbeiten. Dann kann man die Fahrzeugarchitektur eines Elektromodells so auslegen und bereits lange vor dem ersten Prototypen digital simulieren, dass sie am Ende übers gleiche Band laufen kann wie ein bestehendes Modell mit konventionellem Antrieb.
Muss man nur das Produkt anpassen oder auch die Produktion?
In der Produktion erreichen wir eine noch höhere Flexibilität, indem wir unsere Fertigungstiefe weiter reduzieren und den Grad der Automatisierung zurückdrehen. Je mehr Roboter und je weniger Menschen arbeiten, desto schwerer fällt die schnelle Anpassung in der Produktion. Deshalb wollen wir weniger auf Roboter hinter Schutzzäunen und mehr auf eine intelligente Kooperation zwischen Mensch und Maschine setzen, damit werden wir deutlich flexibler. Das ist schon bei unserer aktuellen Produktpalette von heute 34 und in naher Zukunft über 40 Modellen von Mercedes-Benz unerlässlich und wird mit der zunehmenden Anzahl von Plug-In-Hybriden und EQ-Fahrzeugen noch wichtiger.Mittelfristig setzen wir auf die so genannte Full-Flex Produktion. In unserem geplanten zweiten Werk in Kecskemét beispielsweise werden sowohl Fahrzeuge mit Front- als auch mit Heckantrieb vom Band laufen.Damit erhöhen wir nicht zuletzt mit Blick auf die Elektromobilität die Flexibilität nochmals deutlich.
Sind Verzahnung und Flexibilität ein dauerhafter Ansatz oder nur eine Strategie für den Übergang?
Sicher werden sich Verbrenner und EQ-Modelle auf den Antrieb bezogen über die Jahre und die Fahrzeuggenerationen hinweg technisch weiter auseinanderentwickeln. Aber gleichzeitig wird unsere Flexibilität weiter wachsen. Wenn wir nach dem Werk Bremen im nächsten Schritt auch in Sindelfingen ein EQ-Modell der Ober und- Luxusklasse bauen, wird es deshalb auf dem gleichen Band wie die Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor produziert werden.
Ist irgendwann auch ein reines EQ-Werk denkbar?
Solange wir eine schrittweise Substitution von Verbrennern durch E-Modelle erwarten, werden wir uns diese Flexibilität erhalten und mit einer gemeinsamen Produktion planen. Und das wird noch eine sehr, sehr lange Zeit so bleiben. Erst recht, wenn wir global denken und berücksichtigen, dass wir aus Bremen oder Sindelfingen auch Länder wie Indien, Brasilien oder Peru beliefern.
Apropos andere Länder: Müssen sie mittelfristig die EQ-Modelle auch im Ausland produzieren?
Wir produzieren ja heute schon in Frankreich bei Smart Elektrofahrzeuge. Aber ganz klar wird sich dieser Trend weiter fortsetzen. Perspektivisch werden wir in jedem unserer Werke weltweit auch EQ-Modelle bauen können und uns auch die Standorte mit CKD-Produktion anschauen, wenn die entsprechenden Märkte reif für die E-Mobilität sind. Plug-in-Modelle zum Beispiel montieren wir in Ländern wie Thailand und Malaysia schon heute vor Ort.
Es heißt immer, Elektroautos seien weniger komplex als Verbrenner. Lassen sich die dann auch einfacher, schneller und womöglich mit weniger Personal bauen?
Zwar ist ein Elektromotor in der Tat weniger komplex und schneller zusammengebaut als ein Verbrenner. Doch ist es damit allein ja nicht getan. Der Elektromotor hat ja auch eine technische Peripherie, eine Leistungselektronik, eine Batterie, eine komplizierte Kühlung und eine aufwändige Ladetechnik. Und egal was den Wagen antreibt, brauchen sie ein Interieur, ein Infotainment, eine Verkabelung und eine Sicherheitsausstattung. Mag sein, dass es in der Vorproduktion Unterschiede gibt. Aber wir gehen für unsere Aufbauwerke davon aus, dass die Fertigungszeiten und der Fertigungsaufwand für EQ-Modelle gleich sind wie bei Benzinern oder Dieseln. Nur weil vermehrt Elektrofahrzeuge vom Band laufen werden, muss niemand um seinen Job fürchten.