Herr Franz, inwiefern wirft die Coronakrise Ihre Planungen für das Jahr 2020 durcheinander?
Wir hatten für 2020 schon relativ vorsichtig geplant, weil wir bereits im vergangenen Jahr gesehen haben, dass Wachstum auch im Aftermarket kein Automatismus ist. Insbesondere im zweiten Quartal sehen wir jetzt erhebliche Einschnitte, auf die wir uns einstellen müssen.
Welche wären das?
Zum einen benötigen wir weniger Kapazitäten, wenn die Umsätze geringer ausfallen. Zum anderen können wir jetzt beweisen, wie wir unsere Kunden durch die Krise begleiten. Wir unterstützen unsere Kunden intensiv, um mit ihnen diese Krise gemeinsam zu bewältigen. Unser Beitrag ist neben vielem anderen volle Lieferfähigkeit.
Was haben Sie unternommen, um Engpässe zu vermeiden?
Wir haben bereits Anfang Januar damit begonnen, unsere Bevorratungen in die Wege zu leiten. Da war noch gar nicht absehbar, dass es in Europa zu solchen Auswirkungen kommt. Aber wir wollten auf Nummer sicher gehen. Für uns ist Lieferfähigkeit alles, das höchste Gut! Wenn wir da Schwächen zeigen, ist das nicht gut für uns und auch nicht für unsere Kunden.
Außerdem sind wir der Meinung, dass während der Krise das Werkstattgeschäft geschützt werden muss. In Deutschland werden jeden Tag zwischen 100.000 und 300.000 Pkw repariert oder gewartet. Wenn wir da ins Hintertreffen geraten, wird sich innerhalb eines Monats ein Bestand von mehreren Millionen Fahrzeugen aufbauen, die nicht ordnungsgemäß gewartet oder repariert wurden. Damit käme auch die gesamte Volkswirtschaft schlechter aus der Krise heraus.
Die Teileversorgung ist das eine. Wo können Sie noch Hilfe in Corona-Zeiten leisten?
Wir liefern an mehr als 15.000 Werkstätten in Deutschland mehrmals täglich bis vor die Haustür. Das behalten wir bei. Zudem haben wir eine ganze Reihe von Informationsportalen rund um die Themen Betriebsführung, Finanzierung und Gesundheit auf die Beine gestellt.
Wir unterstützen unsere Kunden auch bei der Beantragung von Fördermitteln und Liquiditätshilfen, die Bund und Länder zur Verfügung stellen. In vielen Fällen unterhalten wir jahrelange Geschäftsbeziehungen zu unseren Kunden und wollen dabei helfen, dass gesunde Betriebe jetzt nicht in Bedrängnis kommen, weil der Antragsweg stockt. Da helfen wir, wo wir können.
Können Sie das näher erläutern?
Wir stellen unseren Kunden eine Bestätigung unserer Geschäftsbeziehungen als Bonitätsauskunft zur Verfügung. Dieser kann dann mit dem Förderantrag bei der Hausbank einreicht werden. Wir befürchten, dass dieser gesamte Prozess viel zu bürokratisch abläuft und zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Zudem sehen wir die Gefahr, dass die Banken nur zögerlich die 10 bis 20 Prozent Restrisiko bei den Krediten übernehmen. Dabei wäre jetzt eine gute Gelegenheit gewesen, sich an unserem Gemeinwesen dafür zu revanchieren, was vor zehn Jahren das Gemeinwesen für die Banken getan hat. Der KfW-Schnellkredit schließt jetzt die Lücke.
Und wie halten Sie in diesen Zeiten den Kontakt zu den Kunden?
Ich habe allen unseren Mitarbeitern gesagt, dass jetzt die Zeit ist, um möglichst nah am Kunden zu sein. Wenn man nicht mehr einfach durch die Werkstatttür marschieren kann, müssen wir unsere Kontakte telefonisch oder per Videokonferenz aufrechterhalten. Nur so erfahren wir, was die Kunden auf dem Herzen haben. Wir haben alle medialen Kanäle zum Thema Corona aktiviert, damit Werkstätten wissen, was Sie tun können. Wir müssen dafür sorgen, dass die Werkstätten offenbleiben. Dafür kämpfen wir, weil wir auch volkswirtschaftlich glauben, dass es der falsche Schritt wäre, sie zu schließen.
Und wenn die Menschen ihre Fahrzeuge einfach nicht in die Werkstätten bringen?
In Zeiten in denen jeder zu Hause bleibt, gewinnen Hol- und Bringdienste an Bedeutung.
Wie ist es um die Lieferketten von LKQ bestellt?
Die erste Sorge war natürlich, dass alles Probleme bereiten könnte, was direkt oder indirekt mit Zulieferungen aus China zu tun hat. Mittlerweile haben wir einen eingeschwungenen Algorithmus, der die Nachfrage analysiert, Prognosen berücksichtigt und entsprechend auch unsere Bevorratungen steuert. Wir haben für viele Wochen, teilweise sogar auf Monate hinaus, ausreichend Ware auf Lager. Logistisch sind wir also absolut auf Vordermann und können auch längere Durststrecken ohne Probleme überstehen.
Wie lautet Ihr Ausblick für 2020?
Ich gehe davon aus, dass wir 2020 auf jeden Fall einen Rückgang gegenüber 2019 sehen werden. Wann die Erholung eintritt, hängt vom Staat ab, vom Bund, den Ländern und den Nachbarstaaten. Vielleicht haben wir gegen Ende des zweiten Quartals wieder eine Chance auf Erholung, vielleicht aber auch erst im dritten Quartal.
Werden die Investitionen für dieses Jahr zurückgestellt oder setzen Sie neue Schwerpunkte?
Eine große Investition in diesem Jahr ist die Errichtung unseres neuen Zentrallagers für die Niederlande. Dafür stellen wir einen mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Betrag bereit. Es ist geplant, dieses Projekt bis Ende des Jahres abzuschließen. Daran ändert sich nichts. Nach einem ähnlichen Projekt in Großbritannien ist dieses unsere zweite große Zentrallager-Investition in Europa. Aber natürlich stehen andere Investitionen auf dem Prüfstand. Das macht jeder Unternehmer. Nicht nur wegen der Kapazitätsanpassung, sondern auch zur Liquiditätssicherung.
Warum ist LKQ nicht in China vertreten?
LKQ ist in den USA beheimatet. Seit der Gründung 1998 hat sich das Unternehmen über einen Zeitraum von 13 Jahren ausschließlich mit dem US-Geschäft beschäftigt. 2011 erfolgte dann der Einstieg in Europa und zwar mit über 70 Akquisitionen. Wir haben in 22 Ländern investiert und in vielen Fällen den Marktführer übernommen. So geschehen beispielsweise in Deutschland vor zwei Jahren mit der Firma Stahlgruber. Mit diesem Zukauf haben wir eine große geographische Lücke im Herzen Europas geschlossen. Wir sind heute der einzige gesamteuropäische Automobilteile-Großhändler. Das ist eine Position, die wir auch nutzen wollen und werden, um die Zukunft im freien Aftermarket mitzugestalten. Trotzdem sind wir in Europa sicherlich noch nicht da, wo wir hinwollen. Und China ist bisher noch kein Schwerpunkt für uns gewesen.
Und wie sieht es auf der Sortimentseite aus?
Wir sind Vollsortimenter. Aber es gibt auch noch Bereiche wie das Karosserie- und Lackgeschäft, wo wir Wachstumspotenziale sehen. Jetzt steht aber erst einmal unsere Integration im Vordergrund.
Wird die Konsolidierung in Ihrer Branche weiter fortschreiten?
Es würde mich überraschen, wenn nicht. Das Handelsgeschäft mit Fahrzeugteilen in Europa ist ein 100-Milliarden-Euro-Markt. LKQ erzielt in Europa einen Umsatz von knapp über fünf Milliarden Euro. Insgesamt arbeiten im Fahrzeugteilehandel insgesamt rund 700.000 Menschen, davon 27.000 Mitarbeiter beim Marktführer LKQ. Das sind nur gut drei Prozent. Europa ist also ein hochfragmentierter Markt, aber für die in Zukunft notwendigen Investitionen benötigt man eine bestimmte Größenordnung. Wir haben die, viele andere nicht.
Rechnen Sie mit amerikanischen Verhältnissen, wo nur wenige Teile-Großhändler das Geschäft bestimmen?
Europa ist nicht Amerika. Der Markt in Europa ist viel differenzierter. Denken Sie nur an verschiedenen Gesetze, Sprachen oder die unterschiedlichen Kulturen. Da lässt sich nicht ein einziges Konzept durchgängig ausrollen. Das funktioniert nicht. Wir haben bei LKQ eine ganz klare europäische Strategie. Das ist keine US-Strategie als Klon, sondern sie ist mit viel Gespür auf die Eigenheiten des europäischen Marktes ausgerichtet. Das halten wir für das Erfolgsrezept.
Welche Bedeutung hat für Sie der Online-Verkauf?
Der entwickelt sich generell nach oben und zwar gar nicht so sehr im Bastler- und Do-it-yourself-Markt, sondern weil die Menschen im Internet bestellen und dann die Teile in die Werkstatt tragen, um sie dort verbauen zu lassen. Das ist ein Trend, der jedoch seine Grenzen hat. Aber wir glauben dennoch, dass sich die digitale Wertschöpfungskette sehr stark weiterentwickeln wird und wir daran unseren Anteil haben werden. Logistikleistungen die wir heute bringen, können von digitalen Generalisten nicht erbracht werden. Umso mehr arbeiten wir weiter an der Verbesserung und Weiterentwicklung unserer Prozesse.
Welchen Einfluss haben E-Mobilität, autonomes Fahren oder Sharing-Dienste auf ihr Geschäft?
Früher wurde fast jeder Motor aufgemacht, überholt und die Kolben ausgetauscht. Das gibt es heute nicht mehr. Viele Bauteile halten ein Autoleben lang und die Schwerpunkte von Service und Reparatur haben sich in andere Bereiche verlagert. Die steigende E-Mobilität wird da sicherlich ihren Einfluss haben. Durch den Plug-in-Hybrid erwarten wir einen gewissen Schub für die Werkstatt, die dann sowohl mit konventioneller Antriebsstrang- wie auch mit Hochvolttechnologie umgehen muss. Aber langfristig rechnen wir mit weniger Geschäft aus dem Bereich Antrieb und dafür mehr aus den Bereichen Karosserie und Assistenzsysteme. Darauf werden sich die freien Werkstätten genauso einstellen wie heute schon die Vertragshändler.
Wie gut ist die Branche auf die Veränderungen vorbereitet?
Ich bin davon überzeugt, dass die Kfz-Innungen gemeinsam mit anderen Beteiligten einschließlich des Handels einen sehr guten Job machen in der Qualifizierung der Fachkräfte. Über 40.000 Hochvoltschulungen sind für deutsche Werkstätten bereits gelaufen. Deutschland und andere Länder sind mit ihren Werkstätten bestens vorbereitet auf das, was da kommt.
Wie beeinträchtigt die Zunahme von Software ihr klassisches Geschäft mit Autoteilen?
Es ist klar, dass der Trend von der Hardware zur Software geht. Auch auf deutschen Straßen sind Autos unterwegs, die nicht zu 100 Prozent funktionieren. Das müssen wir ändern. Wenn wir wirklich wollen, dass Autos nicht mehr am Straßenrand liegenbleiben, wenn wir wollen, dass Autos immer verkehrssicherer werden, wenn wir wollen, dass Autos immer umweltfreundlicher werden, dann müssen wir ran an die Konnektivität. Dabei muss der Autofahrer entscheiden, ob und wem er seine Daten indirekt oder genauso auch direkt zur Verfügung stellt: Der Autofahrer sollte seine Werkstatt frei wählen können, auch im digitalen Zeitalter.
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