Herr Knickmann, wie viel Spaß macht es derzeit, Automobilzulieferer zu sein?
Es fühlt sich manchmal wie Kampf an, aber es macht trotzdem Spaß. Erstens weil diese Kombination aus hochinteressanter Technologie, Kunden aus aller Welt und großen Stückzahlen etwas ist, was man heute nicht so häufig in der Industrie findet. Und zweitens kenne ich nichts anderes. Ich habe mein gesamtes Berufsleben in der Autozulieferindustrie verbracht, davon die letzten dreieinhalb Jahre bei Kostal.
Wie verläuft das Geschäftsjahr 2022?
2021 hatten wir uns mit zwölf Prozent Umsatzwachstum und einer ausreichenden Rendite wieder sehr gut aus der Krise herausgearbeitet. 2022 hatten wir einen guten Start. Das erste Quartal hatte sich sehr gut entwickelt, danach gab es Störungen durch eine angespannte Versorgungslage und vor allem wegen einiger Lockdowns in China. Die letzten drei Monate haben sich auf der Umsatzseite wieder gut entwickelt und die Prognose für das Restjahr ist vorsichtig optimistisch.
Können Sie das weiter konkretisieren?
Wir gehen davon aus, dass wir auch 2022 wieder ein deutliches Umsatzplus gegenüber dem Vorjahr erzielen. Selbstverständlich werden wir auch in den schwarzen Zahlen bleiben. Aber es ist ein Kampf. Kein Mensch sorgt dafür, dass wir profitabel sind, außer wir selbst.
Was meinen Sie damit?
Das bedeutet, dass wir immer wieder dafür sorgen müssen, dass steigende Kosten nicht nur aus unserem Ergebnis bedient werden, sondern unsere Kunden das in angemessener Art und Weise mittragen.
Und das passiert auch?
Ich will mich nicht beschweren, aber die Kunden zahlen immer mit einem zeitlichen Versatz und nach schwierigen Verhandlungen. Das bedeutet, dass wir auf unsere Liquidität achten müssen. Im Automobilgeschäft gibt es derzeit sehr unterschiedliche Profitabilitäten. Die Fahrzeughersteller haben die Preishoheit beim Verkauf ihrer Autos an den Endkunden. Das haben sie über ihr Portfoliomanagement und ihr Pricing sehr erfolgreich genutzt.
Was können Sie tun, um die OEMs von einer höheren Beteiligung an ihren Kosten zu überzeugen?
Unsere Kalkulationen sind sehr transparent und der Kunde sieht sehr genau, wo die Kostentreiber sind. Bei den Rohstoffen versteht der Kunde auch den Mechanismus mit börsennotierten Kursen und entsprechenden Gleitklauseln. In der Halbleiterwelt gibt es so etwas nicht. Die Preisausschläge sind immens und jeder Chip und jedes passive Bauelement hat seine eigene Preisentwicklung. Strukturthemen müssen wir allerdings alleine lösen.
Welche wären das?
Beispielsweise die Frage, was wir in welchem Werk produzieren, damit es hinterher ein profitables Geschäft für uns wird. Das kann dann auch zu sehr schwierigen und unpopulären Entscheidungen wie einer Restrukturierung führen.
Wie bei Kostal. Sie wollen die drei deutschen Werke der Kostal Automobil Elektrik bis Ende 2024 schließen. Bis zu 800 Mitarbeiter wären davon betroffen. Warum diese Entscheidung?
Ich habe mir mit der Entscheidung viel Zeit gelassen. Nicht weil sich in den vergangenen drei Jahren grundsätzlich erst herausgestellt hat, dass die deutschen Werke nicht profitabel sind, sondern weil ich versucht habe, gemeinsam mit dem Managementteam und den Mitarbeitern das Bestmögliche herauszuholen. Wenn die letzten drei Jahre nicht so krisenbestimmt verlaufen wären, hätten wir vielleicht noch eine andere zeitliche Perspektive für die Werke gehabt. Aber in der jetzigen Situation muss ich auch gegenüber den Gesellschaftern verantworten, ob wir es uns leisten können, weiterhin jedes Jahr einen hohen Millionenbetrag zu verlieren.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir befinden uns in den Gesprächen mit dem Betriebsrat. Das ist ein schwieriger Prozess. Wir operieren am Herzen der Kostal-Gruppe und von daher muss man akzeptieren, dass es nach dem ersten Schock eine Weile braucht, bis wieder Beratungen und Verhandlungen möglich sind. Ich bin überzeugt, das werden wir schaffen. Es gab 2018 schon einmal einen Sozialplan, bei dem zunächst 300 Mitarbeiter als Zahlengröße im Raum standen. Wir haben damals viel über Freiwilligenprogramme lösen können und hatten letztlich 178 betriebsbedingte Kündigungen.
Könnte es jetzt auch auf ein ähnliches Verhältnis hinauslaufen?
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Wir arbeiten weiter mit den Mitarbeitern an freiwilligen Möglichkeiten, beispielsweise in andere Bereiche der Kostal Gruppe zu wechseln. Wir hören ja nicht mit der Produktion in Deutschland auf. Die Werke der Kostal Kontakt Systeme und der Kostal Industrie Elektrik produzieren weiter. Und wir brauchen die Mitarbeiter auch noch für die laufende Produktion, um hinterher einen geregelten Auslauf zu schaffen. Wir haben einen Plan, der geht bis Ende 2024. Jetzt müssen wir Stück für Stück in Beratungen mit dem Betriebsrat herausfinden, wie wir das sozialverträglich abfedern können.
Hat der Industriestandort Deutschland in der Automobilindustrie generell ein Problem?
Deutschland ist ein hoch attraktiver Standort, den wir nicht aufgeben werden. Für Produkte mit einem hohen Lohnkostenanteil befinden wir uns aber in einem regionalen, teilweise auch internationalen Wettbewerb. Wir müssen akzeptieren, dass die Kunden aus einer bestimmten Region versorgt werden wollen. Aber ein deutscher Fahrzeughersteller mit Fertigung in Deutschland zahlt uns hinterher keinen Eurocent mehr dafür, dass wir ein Teil aus Deutschland liefern. Wir haben es in den vergangenen Jahren geschafft, unsere Produktpipeline immer wieder zu erweitern. Häufig begleitet von der Frage, aus welchem Standort außerhalb Deutschlands wir das liefern können. Einige Länder bieten deutliche attraktivere Konditionen. Davon wollen unsere Kunden profitieren.
Auf welche Produkte stützt sich Kostals künftiges Wachstum?
Wir sind Weltmarktführer bei Lenksäulenmodulen und vielen anderen Systemen. Teilweise versorgen wir mit unseren Produkten jedes zweite Fahrzeug auf der Welt. Wir sind der Erfinder der Lichthupe und des Regensensors. Bei all diesen Produkten sehen wir auch für die nächsten Jahre Wachstumspotenzial, wenn wir es schaffen, unseren Kunden interessante technologische Weiterentwicklungen zu wettbewerbsfähigen Kosten zu bieten. Aber unsere größte Wachstumschance liegt definitiv im Bereich der Onboard-Ladeelektronik.
Können Sie das näher erläutern?
Wir befinden uns in einer Situation, um die uns viele andere mittelständische Automobilzulieferer beneiden. Wir haben kein einziges Bauteil im Portfolio, dass am Verbrennungsmotor hängt. Zudem haben wir vor zwölf Jahren damit begonnen, Wechselrichter aus unserem Bereich Solarelektrik für das Automobilsegment zu adaptieren. Vermutlich hat uns das einige Jahre nur Geld gekostet, aber wir haben Erfahrung gesammelt, haben das Produkt mit dem ersten E-Golf in den Markt gebracht und sind dann zum richtigen Zeitpunkt in die Skalierung gegangen. Die Wachstumsraten im Bereich Ladetechnik sind wirklich beeindruckend. Wir sind mittlerweile bei der fünften Generation von Onboard-Chargern angelangt. Die VW-Gruppe war ein wichtiger Pilotkunde für uns, der das Produkt inzwischen über alle seine Marken ausgerollt hat. Wir haben Aufträge für Onboard-Charger in allen drei Weltregionen mit einer Vielzahl von OEMs, die auch lokal eine entsprechende Fertigung haben möchten. Während wir mit einem Wachstum von sieben bis acht Prozent jährlich bei unseren etablierten Kernsegmenten rechnen, reden wir bei Onboard-Chargern von Umsatzverdoppelungen. Folgendes Beispiel soll diese Dimension verdeutlichen: Vor zehn Jahren hat Kostal Lenksäulen- und Schaltmodule, Sitzverstellungen, Tür- und Sitzsteuergeräte sowie Kameras gefertigt. Wenn man all diese Produkte zusammen nimmt, dann haben sie in Summe einen geringeren Wert pro Fahrzeug als ein guter Onboard-Charger.
Welchen Umsatz haben Sie 2021 mit dem Charging-Geschäft erreicht und welche Entwicklung erwarten Sie?
Ich will keine konkrete Jahreszahl nennen, aber wir hatten 100 Millionen Euro Umsatz, dann 200 Millionen, dann 400 Millionen und wir gehen in Richtung einer Milliarde Euro Umsatz pro Jahr. Unser Auftragsbestand für Onboard-Charger für die nächsten Jahre liegt in einer Größenordnung von vier Milliarden Euro. Und wir akquirieren und investieren weiter. Wir sind ein Familienunternehmen und der feste Wille der Gesellschafter ist, dass wir das auch bleiben. Das bedeutet aber, dass wir mit unserem Geld so haushalten müssen, damit wir in der Lage sind, unser Wachstum vernünftig zu finanzieren.
Welche Bedeutung haben für Sie Kooperationen?
Unsere Einstellung dazu hat sich gewandelt. In der Vergangenheit hat Kostal viele Dinge selbst entwickelt. Doch mit unserem Wachstum und den Anforderungen, die sich aus den Halbleitertechnologien ergeben, wird immer klarer, dass wir das nicht mehr alles alleine machen wollen. Kostal ist also im Prinzip offen für Partnerschaften, so lange wir in der Lage sind, weiter unser Geschäft klar zu strukturieren und zu organisieren. Unser Entwicklungsanteil an Software ist bei unseren Produkten inzwischen größer als der für die Hardware. Es geht uns um Schnelligkeit. Wenn wir ein Ziel mit einer Kostal-Entwicklung in fünf Jahren erreichen können, wir aber eigentlich schon in drei Jahren so weit sein wollen, dann sind wir auch offen für Partnerschaften und Kooperationen.
Käufe sind für Sie auch eine Option?
Käufe haben bei uns keine Priorität.
Wie sehen sie die künftige Rolle Chinas für Ihr Geschäft?
Ich bin ein großer Fan davon, wie schnell und in welcher Intensität sich Dinge in China umsetzen lassen. Von daher ist Kostal ohne China nicht vorstellbar. Vor dem Hintergrund eines globalen, geopolitisch schwieriger werdenden Umfeldes, erwarten wir aber eine stärkere Regionalisierung insbesondere von wichtigen Schlüsselkomponenten und -modulen. Derzeit bedienen wir aus China heraus zum Beispiel US-Fahrzeughersteller in den USA mit Onboard-Chargern. Das ist mit den Kunden so abgestimmt. Aber das wird nicht dauerhaft so bleiben und deshalb bauen wir in Mexiko ein weiteres Werk. In den einzelnen Weltregionen erwarten wir eine größere regionale Eigenständigkeit. Derzeit kann ich mir nicht vorstellen, dass wir uns unabhängig von China machen. Bei einigen Roh-, Halbfertig- und Fertigmaterialien sind wir nach wie vor auf China angewiesen. Für eine Unabhängigkeit von China sind wir noch nicht bereit und ich glaube, auch die Automobilindustrie ist dafür nicht bereit.
In welcher Region wollen sie den Schwerpunkt legen?
Unsere umsatzstärkste Region ist Europa, gefolgt von Asien und dann mit deutlichem Abstand die Amerikas. Wir wollen in den Amerikas deutlich stärker wachsen und sind mit dem schnellen Umstieg unserer OEM-Kunden in Nordamerika in Bezug auf batterieelektrische Fahrzeuge auf der richtigen Zeitschiene unterwegs.
Wann ist das Werk in Mexiko geplant?
Das Werk wird nächstes Jahr hochlaufen. 2025 wollen wir mit der Auslieferung von Teilen beginnen. Ich rechne damit, dass wir unser größtes Wachstum nicht in Europa haben werden, auch wenn ich mir das anders wünschen würde. Aber der Ukraine-Krieg, die Energiekosten und die Inflation werden uns in Europa die Flügel stutzen. Vermutlich wird Kostal schon in zwei Jahren in Asien mehr umsetzen als in Europa. In Asien haben wir mit unseren sieben Werken einen guten Footprint. Wir sehen keine Notwendigkeit für größere Werksneubauten.
Welche Erwartungen haben Sie an die Politik?
Es gibt viele Unternehmen, die nicht wissen, wie sie die drastische gestiegenen Energiekosten stemmen sollen. Zulieferer von Fahrzeugglas oder Gussteilen stehen unter einem enormen Druck. Es hilft auch nichts, wenn jetzt nur die großen Unternehmen unterstützt werden, sondern wir müssen gerade die kleineren Betriebe stabilisieren, denen die finanziellen Möglichkeiten fehlen. Und zwar schnell genug, bevor es in der Branche einen Dominoeffekt gibt. Einige unserer Produkte bestehen beispielsweise aus bis zu 2000 Einzelkomponenten. Wenn eines fehlt, kann das Bauteil nicht an unsere Kunden ausgeliefert werden. Die Halbleiterkrise war ein Weckruf für die gesamte Branche, um zu erkennen, dass das Geschäftsmodell über viele Jahre gut funktioniert hat, ohne dass jemand großartig darüber nachgedacht hat. Das hat sich jetzt dramatisch geändert.
Aus dem Datencenter: